Reportage

Schlachten gehört dazu

Schrot&Korn-Redakteurin Gabriele Augenstein besuchte einen ökologischen Schweinemastbetrieb und begleitete die Tiere zum Schlachter.

Montagfrüh um sechs rollt der Tiertransporter auf den Bioland-Hof Marwede bei Eschede. Morgendämmerung, Vögel zwitschern, noch ist es kühl, ich bin froh über meine Kapuzenjacke. Ein paar Frühaufsteher-Schweine stöbern gemächlich mit ihren Rüsseln im eingestreuten Stroh, zotteln hierhin und dorthin, kauen genüsslich auf den Halmen herum.

Heute sollen 50 der insgesamt 400 Schweine im Bio-Stall zum Schlachten abgeholt werden. Jungbauer Carsten Marwede treibt die rund 130 Kilogramm schweren, schlachtreifen Tiere zur Laderampe des Tiertransporters. Das geht schön flott. Fahrer Thorsten Steinke sagt grinsend: „Bio-Schweine können ganz schön rennen.“ Ich frage: „Die anderen nicht?“ – „Nein“, antwortet er. „Die haben meist zu wenig Platz, um sich zu bewegen. Sollen ja fressen.“ Er weiß, wovon er spricht, fährt täglich Schweine zum Schlachthof, die wenigsten stammen aus Bio-Haltung.

Ökoland: „Fleischkonsum bis 2050 halbieren“

60 Millionen Schweine landen jährlich in deutschen Schlachthöfen. Nur ein halbes Prozent der Tiere ist aus Bio-Haltung. „Das muss sich dringend ändern“, sagt Patrik Müller, der Geschäftsführer von Ökoland. Seit über 25 Jahren arbeitet er aktiv mit an dieser Veränderung. Ökoland vermarktet für Bio-Bauern Fleisch. Dafür musste sich Müller von Verfechtern des Vegetarismus schon oft Kritik anhören. Er sagt lapidar: „Wir sind die Guten von den Bösen.“

Nutztiere gehören aus Sicht des Agraringenieurs seit Tausenden von Jahren zur Landwirtschaft. Der 50-Jährige stammt selbst von einem kleinen Bauernhof in Süddeutschland und erinnert sich: „Wir hatten immer sechs bis acht Schweine im Stall. Nach dem Schlachten habe ich mit meinem Opa frische Brühe mit Fleisch gegessen, das war für alle ein Festtag. Aber natürlich müssen wir weg von diesem hohen Fleischbedarf.“ Als persönliches, politisches Ziel nennt er die „50-50-50-Formel: Bis 2050 den Fleischkonsum halbieren und den Bio-Anteil auf 50 Prozent erhöhen. Das halte ich für realistischer, als dass alle Menschen bis 2050 Veganer werden.“

Bald sind alle Schweine im Transporter, die Tür ist zu, die Fahrt zum Schlachthof kann losgehen. Ein neugieriger Rüssel schnüffelt durch einen Spalt an der Klappe. Sonst ist alles ruhig. Die Tiere legen sich hin während der Fahrt zum Schlachthof, die nur eine Dreiviertelstunde dauert. Kurze Transportwege sind nicht nur Müller wichtig, sondern auch dem Schlachthof, zu dem wir fahren, denn es erspart den Schweinen Stress. Hencke ist einer der letzten mittelständischen Schlachthöfe Niedersachsens, die allermeisten sind dem Konkurrenzdruck von Großschlachtereien gewichen.

Auf dem Schlachthof

Ankunft auf dem Schlachthof. Geschäftsführer Andreas Hencke, dessen Urahn die Schlachterei vor fast 150 Jahren gegründet hat, begrüßt uns mit freundlichem Händedruck. Ein feingliedriger Mann Anfang fünfzig. Will nicht, dass im „sensiblen Bereich“ fotografiert wird und möchte mit Vorurteilen aufräumen: „Meine Mitarbeiter sind keine harten Kerle, sondern ganz weich.“ Er beschäftigt keine Schlachterkolonnen, wo alle nur einen einzigen Handgriff können und den im Akkord wiederholen. Alle seine Mitarbeiter sind ausgebildete Schlachter, die ihr Handwerk verstehen, nach Tarif bezahlt werden und teils seit Jahren Teil des Schlachthofes sind.

Rückwärts fährt der Tiertransporter an die Laderampe des Schlachthofes. Klappe runter, Tür auf. Raus gucken neugierig die vordersten Schweine, tasten sich vorsichtig auf der Rampe abwärts. Der Tierarzt guckt den Tieren zu, macht „Lebendbeschau“, stellt fest: Alle Tiere heile. Nun drängeln die Hinteren nach, wollen raus. Männer schieben Gatter hin und her, lenken die Ankömmlinge in Wartebuchten, wo sie – innerhalb ihrer sozialen Gruppe – ausruhen und trinken dürfen, ganz ohne Stress. Dass die Schweine in ihrer Gruppe bleiben dürfen, erspart ihnen Rangkämpfe und damit Stress. Auch hier setzen Ökoland und Schlachterei Hencke Kriterien für Tierschutz um. Und wenn es losgeht, werden die Tiere nicht zum Schlachtraum getrieben, sondern einzeln von Licht hineingeführt. Schweine sind neugierige Tiere.

Weniger Stress gleich mehr Tierschutz

Es geht los mit der Schlachtung. Ich ziehe Überschuhe an, einen Plastikkittel, eine Haube, desinfiziere die Hände, passiere die Schleuse zum Schlachtraum. Es riecht nach Fleischerei. Schweinehälften hängen. Maschinenlärm. Hencke erklärt mir den Schlachtbetrieb, zeigt hierhin und dorthin. An verschiedenen Stationen im Raum hantieren routiniert Männer in weißen Schürzen. Ab jetzt geht alles ganz schnell und gleichzeitig: Durch die Tierschleuse trappelt auf einem schmalen Gang ein Schwein herein. Der Gang endet in einer Metallbox. In Sekundenschnelle wird es elektrisch an Gehirn und Herz betäubt. Fertig, nächste Station: Kette ums Hinterbein, hochgezogen, Schwein hängt betäubt und bewusstlos über Kopf. Einer zieht es über die Blutwanne, sticht ein Messer in die Hauptschlagader: Blut schießt heraus. Kein Quieken, kein Grunzen, keine Gegenwehr. Nur das Dröhnen des Brühautomats: Das tote Schwein gleitet ins 62 Grad Celsius heiße Wasser, wird automatisch entborstet. Der gebrühte Leib wieder raus und auf den Tisch: Zwei Männer ziehen die Klauen ab, putzen nach, rasieren letzte Borsten weg. Zurück an den Haken, mit Wasser sauber spritzen, fertig.

Der geputzte Schweineleib hängt an den Hinterbeinen fixiert kopfüber an einer Laufschiene, die bis ins Kühlhaus führt. Nächste Station: Bauch öffnen, Innereien raus. Der Tierarzt untersucht Organe, macht Tests, notiert Besonderheiten. Jetzt beginnt in der Schlachtersprache der reine Bereich: Der Schweineleib wird mit der Säge der Länge nach halbiert. Letzte Station: Ein Piks in die Hinterbacke misst den pH-Wert. Dieser, neben dem Fettgehalt, entscheidet mit, ob es später Schinken oder Würstchen gibt.

Frische Luft sorgt für Tierwohl

Ob Schweine in der Landwirtschaft bio oder konventionell gehalten wurden, kann man meist bis hinein ins Kühlhaus noch unterscheiden. „Bio-Schweine haben noch ihr Ringelschwänzchen“, erklärt Müller. Konventionell gehaltene Schweine in der Regel nur einen Stummel. Sie werden kupiert, damit sie sich nicht gegenseitig aus lauter Langeweile und Enge die Schwänze abbeißen. Bewegungsmangel in der konventionellen Schweinehaltung ist gewollt, denn so werden sie schneller dick. Aus demselben Grund verbringen die Tiere oft ihr gesamtes Leben im Stall, denn Frischluft verbrennt ebenfalls Kalorien.

Schweine für das ökologische Prinzip der Kreislaufwirtschaft

Die Schweine vom Bioland-Hof Marwede bekommen ihr Stroh, auch wenn das für Vater und Sohn, die beide im Betrieb arbeiten, aufwendiger ist. Marwedes Schweine sind viel an der frischen Luft, sie gehen nur zum Fressen und Schlafen nach drinnen. Da Schweine reinliche Tiere sind, trennen sie gerne ihren Ess- und Schlafbereich vom Klo. Carsten Marwede erzählt: „Ihr Geschäft machen die draußen. Die schieben sogar ihr Hinterteil ans Gatter zur Nachbargruppe und pinkeln zu den anderen rüber.“ Zwei bis drei Mal pro Woche mistet er die Außenbuchten: Dann müssen alle Schweine in den Stall, Bauer Marwede klappt die Gatter zwischen den Buchten weg und schiebt mit dem Trecker Stroh und Mist raus.

Schweine sichern auf Hof Marwede das ökologische Prinzip der Kreislaufwirtschaft: Ihr Dung nährt die Felder, auf denen in Fruchtfolge Kartoffeln und Getreide, etwa Dinkel für Brot oder Gerste für die Tiere wachsen. Vater und Sohn sind froh, 2015 in den neuen Schweinestall mit 400 Mastplätzen investiert zu haben, denn erstens macht der moderne Stall mit Solardach den Betrieb zukunftsfähig und zweitens fühlen sich die Schweine darin wohl und das ist den Marwedes wichtig. Die beiden beobachten sehr genau, wie es ihren Tieren geht. Als sich etwa gezeigt hat, dass im Sommer die schattigen Plätze in den Außenbuchten immer von den ranghöchsten Tieren belegt waren, haben sie nachträglich Markisen installiert. Es soll den Schweinen gut gehen. Dafür der Mehraufwand und die höheren Kosten.

„Der Umgang mit Tieren muss in andere Gleise kommen“

Ökoland entstand ursprünglich Anfang der 90er-Jahre aus einer Bioland-Erzeugergemeinschaft, um Produkte vom Feld und aus dem Stall zu vermarkten. Heute ist die Firma eigenständig und pflegt langjährige, faire Partnerschaften mit Erzeugern und Herstellern. Im Sortiment sind über 130 Bio-Lebensmittel: Wurstwaren, Schinken, Konserven- und Tiefkühlgerichte. Etwa 25 Prozent des Umsatzes macht Ökoland mit vegetarischen Lebensmitteln und stellt alle Wurstwaren ohne Nitritpökelsalz her. Patrik Müller, Agraringenieur und seit 1993 dabei, hat ein ethisches und politisches Interesse daran, dass „der Umgang mit Tieren und Fleisch wieder in andere Gleise kommt, weil dieser völlig aus der Spur gelaufen ist.“ Fleisch ist für ihn das hochwertigste aller Lebensmittel, weil dafür Tiere sterben. Er plädiert nicht nur dafür, Fleisch aus Bio-Haltung zu essen, sondern auch dafür insgesamt weniger Fleisch zu essen. Ökoland engagiert sich darüber hinaus in der Flüchtlingshilfe, für SOS-Mütterzentren und Naturschutz. Mit der klimaneutral zertifizierten „Superwurst“ hat Ökoland vor fast zehn Jahren eine Vorreiterrolle beim „Klimaschutz mit Lebensmitteln“ übernommen.

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