Interview

Sarah Wiener: „Rezepte sind politisch“

Mit Kochrezepten, Mut und politischem Willen können wir die Welt zum Besseren verändern, sagt die Aktivistin und Köchin Sarah Wiener. Mit welcher Politikerin sie gerne mal unter vier Augen sprechen würde, verrät sie im Interview.

Was würdest Du auf einem Fragebogen als Beruf ankreuzen? Autorin, Unternehmerin, Köchin?

Ohne Frage Köchin, denn kochen ist meine größte Leidenschaft. All meine anderen Aktivitäten haben letztendlich ihren Ursprung im Kochen.

Kochst Du nach Rezept?

Ich bin eine respektvolle, aber rezeptlose Köchin. Ich liebe gute Rezeptbücher. Von den Rezepten lass ich mich inspirieren, halte mich aber nicht daran. Ich schreibe Rezeptbücher als Inspiration und als Boden, auf dem andere tanzen können. Für mich ist jedes Rezept politisch. Rezepte machen Aussagen und sie haben Auswirkungen – vor allem beim Einkauf der Zutaten. Wer Bio kauft, entscheidet sich für eine natürliche Landwirtschaft, die die Natur, den Boden und das Klima schützt. Damit können und müssen wir die Welt zum Besseren verändern.

Wie viele Bücher hast Du bis heute geschrieben?

So um ein Dutzend wird es schon sein.

„Gerichte, die die Welt veränderten“ ist Dein jüngstes Buch. Gibt es ein Gericht, das die Welt am meisten verändert hat?

Gerichte haben vielfältige Wirkungen, die gute und schlechte Folgen haben. Das von der NASA erfundene Schockfrosten und die Haltbarmachung von Lebensmitteln für die Reise zum Mond waren sicher wegweisende Entwicklungen. Erwähnenswert ist auch die Erfindung der Pflanzenmargarine: Die war wesentlich, um die Kriegsheere von Napoleon zu ernähren. Die Margarine ermöglichte erst die mörderischen Raubzüge Napoleons. Gleichzeitig war sie aber auch ein Ersatz für Butter, die sich arme Leute nicht leisten konnten.

In dem Buch schreibst Du „Wer sein Mahl teilt, muss miteinander reden“. Mit wem würdest Du gerne tafeln?

Oh, das sind einige. Ich würde mich gerne mit einem großen griechischen Philosophen bei einem Mahl austauschen. Das wäre gewiss spannend und ich könnte sicher viel lernen – besonders was Demut, Weisheit und Gelassenheit angeht. Freude würde mir auch ein Essen mit Edmund Hillary machen. Er war mit dem Sherpa Tenzing Norgay nicht nur Erstbesteiger des Mount Everest, sondern auch Imker. Ich fände es auch spannend, mit Angela Merkel unter vier Augen über Lebensmittelproduktion und die Zukunft der Landwirtschaft zu sprechen. Außerdem würde ich gerne wissen, was ihr in Gesprächen mit unsachlichen, narzistisch gestörten Männern hilft.

Zur Person Sarah Wiener

... wurde zwar in Westfalen geboren, wuchs aber in Wien auf und fühlt sich entsprechend als „echte Wienerin“. Die erfolgreiche Unternehmerin – Wiener betreibt ein Restaurant, eine Bäckerei und ein Catering-Unternehmen – engagiert sich für gute Lebensmittel, Tierzucht und die Umwelt. Aktuell unterstützt sie den Kinofilm „Unser Saatgut“, der seit April auch als DVD und Download erhältlich ist (www.wfilm.deunser-saatgut). Seit fünf Jahren ist Sarah Wiener Mit-Eigentümerin vom Gut Kerkow, einem biologisch bewirtschafteten Hof in der Uckermark. Mit ihrer Stiftung (www.sw-stiftung.de) engagiert sich die 56-Jährige für Ernährungsbildung für Kinder.

Du engagierst Dich als Patin für den Film „Unser Saatgut – wir ernten, was wir säen“. Warum machst Du das?

Mich faszinieren die unglaubliche Vielfalt und Schönheit der verschiedenen Samen. Beeindruckend ist auch, wie viel Freude Menschen haben, die Saatgut schützen. Diese Menschen kommen in dem Film zu Wort. Sie sind für mich glückliche Hüter des Grals. Denn man muss für diese Vielfalt kämpfen, weil ein paar Agrarchemie-Konzerne dabei sind, das Saatgut zu monopolisieren und damit bestimmen, was wir essen. Letzten Endes kontrollieren sie damit unser Leben. Doch bei aller Bedrohung, im Moment gibt es noch eine unglaubliche Vielfalt von Saatgut und auch Sorten. So schätzt man etwa, dass es weltweit 100 000 Tomatensorten und noch über 300 000 Reissorten gibt.

Was muss sich im Saatgutgeschäft ändern?

Wir brauchen Saatgutzüchtungen, die unabhängig sind von Konzerninteressen. Bäuerinnen und Bauern haben über Zehntausende von Jahren die Saatgutvielfalt geschaffen. Das Saatgut gehört nur in ihre Hände. Wir brauchen den politischen Willen und Mut, diese Monopole aufzubrechen beziehungsweise solche Monopole mit rechtlichen Mitteln unmöglich zu machen. Dafür braucht es viel Aufklärung und politischen Druck. Das gleiche Engagement ist übrigens in der Tierzucht nötig. Hier ist zum Beispiel die Hühnerzüchtung schon lange total monopolisiert.

Das Gute und Richtige hat immer eine Chance!

Sarah Wiener, Köchin

Hat David beim Kampf gegen die Saatgut-Goliaths à la Bayer, Syngenta und DowDuPont eine Chance?

Auf jeden Fall. Wir haben noch eine Vielfalt, für die es sich lohnt zu kämpfen. Außerdem glaube ich, dass das Gute und Richtige immer eine Chance hat. Aber David wird nicht alleine gewinnen. Dazu braucht es viele Davids. Und die Natur unterstützt die Unterstützer und Aktivisten. Zum Beispiel seelisch durch ihre Schönheit, aber auch andersherum, beispielsweise dadurch, dass sie bei vielen Eingriffen zurückschlägt – mit Resistenzen, Superunkräutern, kranken Böden.

Greifst Du auf Deinem Hof komplett auf Bio-Saatgut zurück?

Selbstverständlich nutzen wir auf unserem von Naturland zertifizierten Betrieb Bio-Saatgut und das sogar weitgehend aus eigenem Nachbau. Hin und wieder müssen wir Saatgut von außerhalb in den Kreislauf bringen, wenn es etwa eine Pilzinfektion gegeben hat, die wir über das eigene Saatgut weitertragen würden. Und auch da achten wir darauf, dass es bio ist. Da gibt es keine Kompromisse.

Du bist auch eine begeisterte Imkerin? Wie kam es dazu?

Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Bienen sind für mich die interessantesten Wildtiere. Ich lerne seit einigen Jahren bei anderen Imkern stetig dazu. Seit vier Jahren imkere ich alleine.

Demnächst kommt Dein Buch „Bienenleben“ heraus. Ist es eher ein Sachbuch oder Lesestoff für die Hängematte?

Das Buch ist eher etwas für die Hängematte. Es enthält zwar auch sachliche und wissenschaftliche Erkenntnisse. Doch der rote Faden sind meine persönlichen Erlebnisse mit den Bienen und die Freude, die sie bereiten.

Was können Nicht-Imker tun, um die bedrohten Bienen zu retten?

Wer Zugang zu Land oder einen Garten hat, kann blühende Wildpflanzen anpflanzen, anstatt den Rasen korrekt auf fünf Millimeter zu trimmen. Auch eine bunte Rainbepflanzung an Straßen kann helfen. Jeder kann durch seine Wahl beim Einkaufen und Essen aktiven Bienenschutz betreiben. Zum Beispiel mit Lebensmitteln aus Bio-Anbau, denn die Pflanzenvielfalt, die es hier gibt, kommt den Bienen und besonders den Wildbienen zunutze.

Für Schrot&Korn hat Sarah Wiener Frühlings-Rezepte kreiert.

Zu den Rezepten
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