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Saatgut für alle

Große Agrarkonzerne wie Monsanto wollen sich die Macht über das Saatgut sichern. Bio-Züchter halten dagegen: Ihre Sorten sind gemeinnützig. Doch Bio-Saatgut ist längst noch nicht etabliert.

Ute Kirchgaesser ist die Hüterin dieser Samen. Sie gehört zum Team der Gärtnerei der Lebensgemeinschaft Bingenheim, die Saatgut in Demeter-Qualität vermehrt. Außerdem leitet sie dort die Züchtung. Oft führt sie Interessierte durch die Gewächshäuser und erzählt von ihrer Arbeit. „Für viele kommt der Strom aus der Steckdose und das Saatgut aus der Tüte. Doch die Samen sind kein Betriebsmittel wie Schmierfett, Öl oder Diesel. Sie sind der Ursprung unserer Lebensmittel.“ Deswegen sei es so enorm wichtig, was da unter welchen Bedingungen in die Tüte komme. Damit ihre Zuhörer das besser verstehen, muss Ute Kirchgaesser etwas ausholen.

Als die Menschheit vor 10 000 Jahren sesshaft wurde und mit dem Ackerbau begann, waren zuerst die Priester die Hüter des Saatguts. So hoch wurde damals der Wert dieser neuen Kulturtechnik eingeschätzt. Später übernahmen die Bauern und Gärtner diese Rolle. Sie suchten interessante Wildpflanzen aus, kreuzten besonders ertragreiche Exemplare und züchteten neue Sorten. Im Laufe der Jahrtausende entstand so eine weltweite Vielfalt von 5 000 Nutzpflanzenarten mit zwei Millionen unterschiedlichen Sorten, angepasst an Boden und Klima vor Ort. Wir leben heute von diesem Geschenk der Vergangenheit. Neue Wildpflanzen zu Kulturpflanzen zu machen, dauert in der Regel Jahrhunderte.

Geldgeschäft Saatgut

Anfang des 20. Jahrhunderts bemächtigte sich die Naturwissenschaft der Pflanzenzüchtung. Die im 19. Jahrhundert von dem Augustinermönch Gregor Mendel beschriebenen Vererbungsregeln wurden neu entdeckt, Chromosomen und Gene als Träger der Erbinformation identifiziert. Die Genetik als Zweig der Biologie etablierte sich. 1923 brachte der spätere US-Landwirtschaftsminister Henry A. Wallace den ersten Hybridmais auf den Markt und gründete Pioneer HiBred. Heute teilen sich Pioneer, Monsanto und einige andere Agrarkonzerne zwei Drittel des auf 22 Milliarden US-Dollar geschätzten Weltmarkts an Saatgut – legal. Das hat Folgen, sagt Ute Kirchgaesser:

Bei der kommerziellen Züchtung stehen nicht die Pflanze und der Mensch, der sie später verzehrt, im Vordergrund, sondern der Profit.

Ute Kirchgaesser

Die Idee, aus Samen Geld zu machen, ist relativ neu. Bis vor wenigen Jahrzehnten war es üblich, dass ein Bauer aus der Ernte Saatgut zurückbehielt und es im nächsten Jahr wieder aussäte. Man tauschte mit den Nachbarn, probierte mal eine neue Sorte aus und war unabhängig von Lieferanten. Die neuen, von Unternehmen mit Profitinteresse gezüchteten Sorten versprachen höhere Erträge, kosteten aber Geld. Denn die Züchter wollten ihren Aufwand, ihr Wissen und ihr eingesetztes Kapital bezahlt haben. Am liebsten mehrfach. Ein Bauer, der nur einmal Saatgut kauft und danach Samen aus der Ernte behält und neu aussät, ist als Kunde verloren. Deshalb versuchen die Agrarkonzerne, ihr Saatgut vor solchem Nachbau zu schützen. Denn nur dann können sie die Landwirte jedes Jahr zur Kasse bitten.

Saatgut, das Bienen tötet

Konventionelles Saatgut wird oft mit Neonicotinoiden behandelt, sprich gebeizt. Diese Wirkstoffe gelten als eine der Ursachen für das weltweite Bienensterben. Denn sie können aus dem Boden und dem Samen bis in den Pollen gelangen. Die minimalen Konzentrationen genügen, um die Bienen zu schwächen oder zu verwirren. Zudem gelangt das Gift mit den Pollen in die Bienenstöcke und schädigt dort den Nachwuchs. Tödlich können diese Beizmittel sein, wenn sie als Abrieb beim Aussäen direkt in die Umwelt gelangen. In Deutschland starben 2008 deshalb am Oberrhein und in einigen anderen Regionen Millionen von Bienen.

Patentierte Lebewesen

Das wichtigste rechtliche Instrument der Konzerne sind Patente und daraus resultierende Lizenzzahlungen. Seit Jahren versuchen die Konzerne, neben ihrem Gentech-Saatgut auch herkömmliche Pflanzen und Tiere patentieren zu lassen. Solche Patente beruhen auf sogenannten Marker-Technologien. Damit kann man Gen-Sequenzen feststellen, die zum Beispiel eine Pflanze besonders viel eines wertvollen Inhaltsstoffes produzieren lassen. Doch die Patente umfassen nicht nur das Marker-Verfahren. Ein Beispiel dafür ist das von Monsanto angemeldete Patent WO2008021413. Darin erklärt der Konzern auf mehr als 1000 Seiten die verschiedensten Genvariationen von Mais und Soja als seine Erfindungen. Er beansprucht alle Mais- und Sojapflanzen, die diese Gene natürlicherweise enthalten. Weiterhin soll das Patent für alle Futter- und Lebensmittel sowie Biomasse gelten, die aus diesen Pflanzen erzeugt werden.

Das wichtigste biologische Instrument der Züchter sind Hybridsorten. Bei Hybriden zwingt der Züchter die Elternlinien über Generationen hinweg zur Selbstbefruchtung, bis bestimmte erwünschte Eigenschaften wie Fruchtfarbe oder Resistenz reinerbig und damit sicher auf die nächste Generation übertragen werden. Durch die Kreuzung zweier solcher Inzuchtlinien gewinnt man Hybridsaatgut. Das wächst nicht nur zu Pflanzen heran, die die positiven Eigenschaften beider Elternlinien vereinen.

Bio-Läden für Unabhängigkeit

Die 20 Bio-Läden des Vereins Naturata International unterstützen die biologisch-dynamische Gemüsezüchtung auf besondere Weise. Sie zahlen bis 2017 jedes Jahr 0,3 Prozent ihres Nettoumsatzes an Obst und Gemüse an den Verein Kultursaat. Ihr Motiv: „Wir haben erkannt, dass wir heute die unabhängige Gemüsezüchtung fördern müssen, wenn wir in zehn Jahren noch unseren Kunden Kohl, Möhren und Tomaten anbieten wollen, die zum Öko-Landbau passen.“

Hybridsaatgut auch bei Ökos

Durch den sogenannten Heterosiseffekt liefern diese, oft als „F1“ bezeichneten Hybride, besonders hohe Erträge und vom Aussehen her einheitliche Pflanzen, die sich gut vermarkten lassen. Doch schon in der nächsten Generation, also bei den Samen dieser Hybridpflanzen, verlieren sich die Eigenschaften. Sie taugen deshalb nicht für eine Aussaat im nächsten Jahr. Hybridsaatgut müssen Bauern und Gärtner jedes Jahr neu einkaufen. Wegen der hohen Erträge tun es die meisten. Der größte Teil unseres Gemüses, Sonnenblumen, Mais und ein Teil von Raps und Roggen stammen von Hybriden – auch im Öko-Landbau.

Immer mehr Öko-Gärtner und -Bauern sehen das mit Unbehagen. Nicht nur, weil durch die Konzentration auf wenige Elternlinien die Artenvielfalt leidet. „Das sind mehr oder weniger schwachwüchsige Inzuchtpflanzen“, sagt Ute Kirchgaesser über die Elternlinien der Hybridsorten. Sie ist davon überzeugt, dass die Eingriffe in die Biologie der Pflanze deren Vitalität und Ernährungsqualität negativ beeinflussen. Besonders drastisch sind die Eingriffe bei den sogenannten CMS-Hybriden. CMS steht für Cytoplasmatische Pollensterilität und meint Folgendes: Beim Herstellen von Hybridsaatgut dürfen sich die Elternlinien nicht selbst befruchten. Der Züchter muss deshalb bei einer Linie die Staubbeutel entfernen – mit Pinzette und Schere. Das ist aufwendig. Deshalb versuchen große Züchtungsunternehmen, im Labor in eine Linie Pollensterilität einzuschleusen. Diese Eigenschaft kommt natürlicherweise bei japanischem Rettich oder Sonnenblumen vor. Um sie auf andere Arten zu übertragen, wird im Labor eine Zelle, deren Erbgut nur diese Eigenschaft enthält (jedoch keinen Zellkern mehr), mit einer Zelle der zu sterilisierenden Sorte verschmolzen. Das klingt ziemlich gentechnisch – und ist es auch.

Doch offiziell zählt die CMS-Technik nicht zur Agro-Gentechnik und ist nach der EU-Öko-Verordnung erlaubt. Die Bio-Anbauverbände haben sie in den letzten Jahren verboten und führen Schwarze Listen mit Hybridsorten, bei denen die Elternlinien mit CMS in Berührung gekommen sind. Vor allem bei Kohl ist das häufig der Fall. Kennzeichnen müssen die Züchter CMS-Hybriden nicht. Herkömmliche F1-Hybriden erlauben auch die Anbauverbände. Lediglich Demeter hat bei Getreide, außer Mais, Hybridsaatgut verboten.

Die Alternative zu F1-Hybriden sind samenfeste Sorten wie der Paprika Sweet Dreams, den Ute Kirchgaesser in zwei langen Reihen in einem ihrer Foliengewächshäuser anbaut. Sie erntet die Schoten, wenn sie dunkelrot und fast schon überreif sind. Mit der Hand werden sie aufgeschnitten und die weißen Samenkörner entnommen. Die Lebensgemeinschaft Bingenheim liefert die Samen an die Bingenheimer Saatgut AG gleich nebenan. Dort werden sie getrocknet, gereinigt, auf Keimfähigkeit und andere Eigenschaften getestet und schließlich in Tüten verpackt, als Saatgut für Berufs- und Kleingärtner. Saatgutvermehrung nennt sich dieser Teil der Arbeit in Bingenheim.

Wo die Elite wächst

Bei einigen der Paprikapflanzen sind die Holzstangen rot markiert. Hier wächst Ute Kirchgaessers Elite. Ausgiebig hat sie alle Pflanzen inspiziert und diejenigen ausgewählt, die den Sorteneigenschaften von Sweet Dreams am nächsten kommen: „Helle gelbgrüne, rot abreifende Früchte, rund drei Zentimeter dick, 15 Zentimeter lang und spitz zulaufend; süßer, vollmundiger Geschmack, üppiger Fruchtansatz“. Denn bei samenfesten Sorten wachsen nicht alle Pflanzen einheitlich und gleichförmig wie bei Hybriden.

Da kommt das Spielerische der Natur zum Ausdruck.

Ute Kirchgaesser

Dadurch würden die bestimmenden Eigenschaften einer samenfesten Sorte im Laufe der Jahre verflachen. Deswegen sucht die Gärtnerin bei jeder Vermehrung die besten Pflanzen heraus und erntet deren Saatgut extra. Es geht nur an die Betriebe, die im nächsten Jahr die Paprikasorte zur Saatgutvermehrung anbauen. Erhaltungszucht heißt dieser Schritt.

Ute Kirchgaesser vermehrt und erhält die Sorten nicht nur, sie züchtet auch. Zurzeit versucht sie einen Sommerfenchel zu ziehen. Fenchel beginnt zu schießen, sobald die Tage länger werden. Deshalb müssen die Knollen bis Mai, später im Jahr ab Oktober geerntet werden. Im Sommer gibt es im Bio-Laden bisher kaum frischen Fenchel. Um diese Lücke zu schließen, hat Ute Kirchgaesser von einer Fenchelsorte diejenigen Pflanzen ausgewählt, die im Sommer verspätet blühen. Nun konzentriert sie sich auf die wenigen Exemplare unter ihnen, von denen sich zudem ertragreiche und geschmacksvolle Knollen ernten lassen. In einem Gewächshaus hat sie die für die Überwinterung ausgesuchten Fenchelpflanzen gepflanzt. Im nächsten Sommer werden sie blühen, im Herbst reifen die Samen. Erst dann kann die Züchterin mit der nächste Anbaurunde beginnen. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis die neue Fenchelsorte im Laden zu kaufen ist.

Saatgut ist Kulturgut

Bei Jannis hat es neun Jahre gedauert. Jannis ist eine runde, früh reifende Rote Bete mit mild aromatischem Geschmack. 1999 hatte Ute Kirchgaesser auf einem norddeutschen Standort mit der Züchtung begonnen und 2001 in Bingenheim fortgesetzt. 2008 wurde die Sorte beim Bundessortenamt angemeldet und knapp zwei Jahre später zugelassen. Seither darf das Saatgut verkauft werden. Profitorientierte Züchter hätten ab diesem Zeitpunkt versucht, mit der Sorte Geld zu verdienen. Bei Jannis geht das nicht. Denn Jannis gehört allen.

„Saatgut ist Kulturgut“, sagt Petra Boie. Sie ist Vorstand bei der Bingenheimer Saatgut AG. Das Unternehmen verkauft samenfestes Öko-Saatgut, darunter auch Jannis und 39 andere biologisch-dynamische Gemüseneuzüchtungen. Deren Besitzer ist der Verein Kultursaat. „Wir alle sind Teil eines Netzwerkes“, erklärt Petra Boie. Das entstand in den 80-er-Jahren, als sich einige Demeter-Gärtner zu einem Initiativkreis zusammenschlossen, um noch erhaltene samenfeste Gemüsesorten biologisch zu vermehren. 2001 entstand daraus die Bingenheimer Saatgut AG. Für die Züchtung neuer Sorten speziell für den Öko-Landbau gründeten die Gärtner 1994 den Verein Kultursaat.

Der Verein koordiniert und finanziert die Erhaltung bestehender sowie die Züchtung neuer Sorten. Knapp 20 Demeter-Züchter aus verschiedenen Regionen Deutschlands sowie den Niederlanden und der Schweiz arbeiten daran. Noch vor der Sortenanmeldung testen die Gärtner die Neuentwicklungen in der Praxis und unter regionalen Anbaubedingungen. Die Erfahrungen fließen in die Vermarktung ein.

Ein ähnliches, 20 Jahre altes Netzwerk bilden 14 Gärtnereien, die verschiedenen Anbauverbänden angehören. Unter dem Namen Dreschflegel vermehren und vermarkten sie das Saatgut von rund 650 verschiedenen Sorten. Viele davon sind alte, vernachlässigte regionale Arten und Sorten, die von den Dreschflegel-Betrieben züchterisch bearbeitet werden. Weil zahlreiche Sorten nicht mehr zugelassen sind, dürfen sie nur zur nicht-gewerblichen Nutzung, also an Kleingärtner, verkauft werden.

So fördern Sie Bio-Züchter

Um neue Sorten zu züchten, brauchen Bio-Züchter Unterstützung. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • Öko aussäen: Wer selbst im Garten oder auf dem Balkon Pflanzen ansät, kann im Frühjahr im Bio-Laden eine große Auswahl an Samen finden: keine Hybriden, sondern nur samenfeste Sorten aus ökologischer Aufzucht.
  • Im Bio-Laden kaufen: Viele Bio-Läden bieten Gemüse aus samenfesten Öko-Sorten an. Der Einkauf hilft den Gärtnern, die diese Sorten anbauen anstatt Hybriden.
  • Vereine fördern: Alle wichtigen Züchtungsinitiativen sind als gemeinnützige Vereine organisiert. Man kann sie durch eine Mitgliedschaft oder durch Spenden unterstützen (siehe Liste am Ende).
  • Der Saatgutfonds: Auch dieser von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft verwaltete Fonds unterstützt Züchtungsinitiativen. Er veranstaltet Tagungen und betreibt Öffentlichkeitsarbeit. Er ist der wichtigste Förderpool für die Bio-Züchter. www.saatgutfonds.de
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Beste Backqualität

Karl-Josef Müller leitet die Getreidezüchtungsforschung Darzau. Er züchtet seit Jahren Getreide unter biologisch-dynamischen Anbaubedingungen, die vor allem für die leichten Böden im Norden und Osten Deutschlands geeignet sind. In Darzau sind mehrere neue Einkornsorten entstanden, die Speisegerste Lawina oder der Goldblumenweizen. Dieser Winterweizen bringt zwar weniger Ertrag als Sorten aus konventioneller Züchtung, liefert aber Körner mit hervorragender Backqualität und wächst gut auf mageren, trockenen Standorten. Neu ist auch der Lichtkornroggen, der seinen Namen den für Roggen ungewöhnlich hellen Körnern verdankt. Aus ihm lassen sich hellere Roggenbrote mit milderem Geschmack backen.

Ein Problem, das die Bio-Getreidezüchter umtreibt, sind Pilzerkrankungen wie Weizenstinkbrand oder Haferflugbrand. Diese werden, wenn die Saatkörner von Sporen infiziert sind, auf die neue Aussaat übertragen. In der konventionellen Landwirtschaft wird das Saatgut deshalb mit bedenklichen Chemikalien gebeizt.

Im Öko-Landbau darf das Saatgut nur kurz in heißem Wasser und in Pflanzenschutzmitteln auf der Basis von Senfmehl oder Mikroorganismen baden. Solche Maßnahmen wirken nicht 100-prozentig. Deshalb brauchen die Öko-Bauern möglichst brandresistente Sorten. Daran arbeiten Karl-Josef Müller und Züchterkollegen wie Peter Kunz in der Schweiz oder Hartmut Spieß auf dem Dottenfelder Hof in Hessen mit Hochdruck. Dabei sind sie weit erfolgreicher als die Gentechniker der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Deren stinkbrandresistenter Genweizen floppte im Feldversuch. Die Sorte Butaro vom Dottenfelder Hof dagegen wurde 2009 zugelassen. Sie widersteht nicht nur dem Stinkbrand, sondern auch mehreren anderen Pilzkrankheiten.

Saatgut: Da muss Bio besser werden

Die Anforderungen der EU-Öko-Verordnung an Saatgut sind nicht sehr hoch. Das bringt Probleme mit sich. Saatgut muss nach der Öko-Verordnung grundsätzlich „öko“ sein. Dafür genügt es jedoch, wenn die Saat „während einer Generation“ nach den Vorschriften der EU-Öko-Verordnung erzeugt wurde. Es reicht also, wenn konventionelles Saatgut zur Vermehrung auf einem Öko-Betrieb angebaut wurde. Auch ist es möglich, konventionell gezogene Elternlinien auf einem Bio-Hof zu kreuzen und das dabei entstehende F1-Hybridsaatgut als „öko“ zu verkaufen.

Selbst diese geringen Vorgaben werden durch Ausnahmen umgangen. Zwar listet in jedem EU-Staat eine Datenbank das in Öko-Qualität verfügbare Saatgut und die Pflanzkartoffeln sowie deren Anbieter auf. Doch wer andere als die verfügbaren Sorten anbauen will, kann eine Ausnahmegenehmigung beantragen. In einigen Fällen, etwa bei Blumenkohl oder Lagermöhren, genügt sogar eine einfache Meldung an die Kontrollstelle, um konventionelles Saatgut einsetzen zu dürfen (solange es nur ungebeizt und gentechnikfrei ist). Die Statistik für 2009 listet für Deutschland 8 147 solcher Ausnahmegenehmigungen auf. Die Details zeigen: So mancher Öko-Bauer sät leider noch konventionellen Futtermais von KWS, Monsanto und Pioneer auf seine Felder.

Selbst manches Öko-Saatgut kommt von einem der großen Konzerne. So hat die durch ihre Gentechnik-Zuckerrüben bekannte deutsche Firma KWS, weltweit die Nummer sieben auf dem Saatgutmarkt, auch eine Öko-Abteilung für Saatgutvermehrung. Die niederländischen Firmen Rijk Zwaan und Enza Zaden gehören zwar nicht zu den Top Ten, versuchen aber auch, mit Patenten auf konventionelle Züchtungen die Natur zu privatisieren.

Problematisch ist Bio-Saatgut, das anonym durch viele Hände geht. Im Frühjahr 2009 etwa fand eine große Handelskette in jedem dritten Tütchen ihres Bio-Saatguts für die Hobbygärtner Pestizide. Der Lieferant der Tütchen hatte sich auf seine Saatgut-Lieferanten und die sich wiederum auf die Zertifikate von Erzeugern verlassen. Gemessen hatte allerdings keiner.

Bücher und Links

Christ, Manfred(Hrsg.): Bedrohte Saat. Pforte Verlag, 2010, 328 Seiten, 14 Euro

Heistinger, Andrea (Hrsg: Arche Noah / Pro Specie Rara): Handbuch Samengärtnerei.
Löwenzahn Verlag, 2010, 432 Seiten, 29,90 Euro

Verhaag, Bertram: Percy Schmeiser– David gegen Monsanto. Denkmal Filmgesellschaft, 2009, 65 Minuten, 16 Euro.

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