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Dumping im Supermarkt

Viele Lebensmittel werden in Deutschland billig verramscht. Die Zeche zahlen Landwirte. Warum ist das so? Und wer kann das ändern?

Sie kamen am Abend nach Greven, Hesel, Lingen, Rinteln und Aichtal. Mit ihren Traktoren blockierten verzweifelte Landwirte Ende vergangenen Jahres in diesen Kleinstädten die Einfahrt zu den Zentrallagern des Discounters Aldi – und forderten höhere Preise für Milch und Schweinefleisch. „Es geht um unsere Existenz“ und „Uns steht das Wasser bis zum Hals“, sagten sie in die Mikrofone. Aldi signalisierte Gesprächsbereitschaft, die Bauern beendeten ihre Blockaden. Doch eine Woche später, Anfang Januar, senkten Aldi und die anderen großen Lebensmittelhändler die Einkaufspreise für deutsche Butter um 56 Cent je Kilogramm.

Warum der Lebensmittelhandel so mächtig ist

Wie kommt es eigentlich, dass der Lebensmittelhandel die Preise diktieren kann? In Deutschland verkaufen laut Bundeskartellamt vier große Konzerne 85 Prozent aller Lebensmittel. Mit dieser Marktmacht ist es ein Einfaches, Lieferanten unter Druck zu setzen. Nein zu sagen, können sich selbst große Hersteller von Lebensmitteln nicht leisten. So musste im Mai 2018 der Nestlé-Konzern einlenken, nachdem Edeka im Streit um bessere Preise und Konditionen monatelang rund 200 Nestlé-Produkte boykottiert hatte.

Für die meisten Landwirte kommt hinzu, dass sie nicht direkt mit Aldi&Co. verhandeln. Sie liefern Milch an die Molkereien, Schweine an die Schlachtkonzerne, Getreide an die Mühlen sowie Obst und Gemüse an Zwischenhändler. Diese stehen selbst im harten Wettbewerb um die Verträge mit dem Lebensmittelhandel und damit unter Preisdruck. Ein Symptom dafür sind die skandalösen Arbeitsbedingungen in den Großschlachtereien. Den Preisdruck geben die Verarbeiter an die Landwirte weiter. „Wir stehen am Ende einer Lieferkette und sind die Restgeldempfänger“, erklärt Berit Thomsen, Pressesprecherin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

Handel: konzentrierte Macht

  • Edeka (mit dem Discounter Netto) ist mit einem Umsatz von 61,2 Milliarden Euro in 2019 der größte deutsche Lebensmittelhändler. Auf Platz zwei liegt die Rewe-Gruppe mit dem Discounter Penny und dem Großhändler Lekkerland. Umsatz 2019 52,7 Milliarden. Der Dritte im Bunde ist die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland mit 41,2 Milliarden Umsatz. Das Quartett komplettieren die beiden Aldi-Gesellschaften Nord und Süd mit 29,5 Milliarden Umsatz.
  • Lidl und Aldi verkaufen auch in anderen Ländern, was ihre Einkaufsmacht vergrößert. Edeka und Rewe sind genossenschaftlich organisiert und gehören einigen Tausend selbstständigen Kaufleuten. Die Schwarz-Gruppe und die beiden Aldis sind Familienunternehmen. Ihre Besitzer gehören zu den reichsten Menschen Deutschlands.

Stehen Genossenschaften für faire Preise?

Dabei gehören zahlreiche Verarbeiter von landwirtschaftlichen Produkten sogar den Landwirten. Zwei Drittel der in Deutschland erzeugten Milch liefern die Bauern an genossenschaftlich organisierte Molkereien. Deren Besitzer sind sie selbst als Genossen. Und die Genossenschaftsversammlung ist das höchste Entscheidungsgremium. Auch Westfleisch, der drittgrößte deutsche Schlachtkonzern, ist als Genossenschaft organisiert, ebenso der Gemüsevermarkter Landgard.

„Auf dem Papier ist das so“, bestätigt Berit Thomsen: „Aber das sind große Konzerne, die von einem Management gesteuert werden, das sich kaum von Genossenschaftsversammlungen beeinflussen lässt.“ Als Beispiel nennt sie Deutsches Milchkontor (DMK), die größte deutsche Molkerei, deren Geschäftsstrategie der Export von Milch sei. „Die brauchen billige Milch, damit sie auf dem Weltmarkt bestehen können.“ Doch gerade diese Exportabhängigkeit macht Bauern besonders anfällig. „Landwirte, die Standardprodukte wie Fleisch, Milch und Getreide produzieren, hängen von der Preisentwicklung auf internationalen Märkten ab“, erklärt der Agrarökonom Achim Spiller: „Sie sind austauschbare Produzenten für Handelsmarken, bei denen kaum Preisspielräume bestehen“.

So können Landwirte mehr verdienen

Die Entwicklung ist nicht neu. Die Landwirte produzieren unsere Lebensmittel, doch sie verdienen kaum etwas daran. Von einem Euro, den die Verbraucher für Lebensmittel ausgeben, bekommt der Landwirt nur 22,3 Cent, hat das Thünen-Institut für Marktanalyse berechnet. Das ließe sich einfach ändern: Die Verbraucher zahlen zehn Prozent mehr, also 1,10 Euro. Handel und Verarbeiter reichen die zehn Cent an die Landwirte weiter. Dadurch würden deren Erlöse um 50 Prozent steigen – auf 32,3 Cent. Einen solchen „Soli“-Zuschlag haben auch die AbL und andere Bauernorganisationen bei ihren Demos im vergangenen Jahr gefordert. Dass ein solches Konzept funktionieren kann, hat die Upländer Bauernmolkerei schon vor 15 Jahren gezeigt, als sie ihre Bio-Milch mit Fair-Preis-Aufschlag verkaufte.

Solche Zuschläge können kurzfristig Existenzen sichern. Langfristig braucht es faire Preise für die Bauern. Ein breites Bündnis aus Bio- und Umweltverbänden hat deshalb vorgeschlagen, eine Preisbeobachtungsstelle einzurichten. Sie soll Richtwerte für existenzsichernde Preise wichtiger Produkte ermitteln und veröffentlichen. Ein Beispiel dafür ist der Milch-Marker-Index: Wissenschaftler haben im Auftrag einer Milchbauern-Organisation errechnet, wie viel ein Durchschnitts-Landwirt für einen Liter Milch bekommen müsste, damit er für seine Arbeit angemessen entlohnt wird. Das Ergebnis: 47 Cent statt derzeit 33 für konventionelle Milch und 65 Cent statt derzeit 49 Cent für Bio-Milch. Handelsketten könnten dann Produkte mit Verweis auf diesen Richtwert vermarkten und müssten sich – zumindest bei einem Teil ihrer Kunden – rechtfertigen, wenn sie keine fairen Preise zahlen.

Lebensmittelpreise: Wie fair zahlt Bio?

Dass Bio-Bauern zu niedrige Preise bekommen, mag verwundern. Aber auch für Bio-Lebensmittel gelten die Gesetze des Marktes und der Preisdruck des Handels. Dennoch zeigen gerade Bio-Pioniere, wie partnerschaftliches Handeln funktionieren kann. Da werden nicht Verträge alle paar Monate neu ausgeschrieben und an den billigsten Anbieter vergeben, sondern langfristige und verlässliche Partnerschaften aufgebaut. Preise werden nicht diktiert, sondern zusammen festgelegt, etwa wenn sich die Bio-Mühlen, -Keltereien und -Brauereien mit den Erzeugergemeinschaften, die sie mit Getreide, Obst oder Gerste versorgen, zusammensetzen. Genossenschaften wie Tagwerk bei München und Landwege in Lübeck haben regionale Wertschöpfungsketten organisiert und dabei die Verbraucher eingebunden. Denn diese müssen natürlich auch bereit sein, höhere Preise zu zahlen.

Das tun sie auch, wenn die Standards transparent sind, wie die Initiative „Du bist hier der Chef!“ zeigt. Bei ihr legen Verbraucher fest, welche Standards Lebensmittel erfüllen sollen und welchen Preis sie dafür zahlen wollen. Die Initiative sucht dann Erzeuger, Verarbeiter und Händler, die bereit sind, diese Bedingungen zu erfüllen. Das erste „Du bist hier der Chef!“-Produkt ist eine Bio-Weidemilch in Hessen, für die der Landwirt 58 Cent bekommt, garantiert für drei Jahre. In den beteiligten Läden kostet sie einheitlich 1,45 Euro.

Bessere Preise lassen sich auch dort erzielen, wo Landwirte ihre Produkte direkt vermarkten oder mit regionalen Lebensmittelhändlern zusammenarbeiten. Komplett ohne Handel funktioniert die solidarische Landwirtschaft, bei der eine Verbrauchergruppe dem Landwirt die Ernte zu einem vorher vereinbarten fairen Preis abnimmt. Doch noch sind solche Modelle Nischen. Der größte Teil der Verbraucher versorgt sich über Aldi&Co. Auch die Geschäftsmodelle der meisten Landwirte sind darauf ausgerichtet.

Faire Preise per Gesetz – ist das die Lösung?

Deshalb braucht es jemanden, der die großen Händler an die Kandare nimmt und für Fairness in der Lebensmittelkette sorgt. Angefangen damit hat die EU mit ihrer Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette – kurz UTP-Richtlinie. Bis Mai 2021 haben die Mitgliedsstaaten Zeit, deren Vorgaben umzusetzen. Die Bundesregierung hat dazu im November 2020 einen Gesetzentwurf beschlossen. Er verbietet etwa, dass Handelsketten vereinbarte Salatlieferungen 14 Tage vorher stornieren und den Gärtner auf der Ware sitzen lassen. Auch dürfen sie keine zusätzlichen Rabatte mehr einseitig festlegen. Listungsgebühren, Werbekostenzuschüsse und andere Zahlungen der Lieferanten müssen vorab vertraglich vereinbart werden. „Es ist traurig, dass man solche Praktiken gesetzlich regeln muss, die eigentlich gar nicht zum Bild des ehrbaren Kaufmanns passen“, sagte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner.

Den von solchen Praktiken Betroffenen geht der Gesetzentwurf gegen unlautere Handelspraktiken nicht weit genug. Sie wollen, dass alle unfairen Handelspraktiken verboten werden, auch wenn sie in Verträgen stehen. Denn „aufgrund der Marktmacht der führenden Lebensmittelhändler werden die Lieferanten im Zweifel immer zu entsprechenden vertraglichen Zugeständnissen bereit sein, um ihre Lieferungen sicherstellen zu können“, schrieb die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie.

Die UTP-Richtlinie wird das Machtungleichgewicht auch nicht ändern.


Achim Spiller, Agrarökonom

Diese Marktmacht werde dazu führen, dass es – wie bisher schon – kaum Beschwerden Betroffener etwa beim Kartellamt geben wird, argumentierten die Bio-Anbauverbände Bioland und Demeter. Statt auf solche Beschwerden zu warten, sollten die zuständigen Behörden „regelmäßige, stichprobenartige und verdachtsunabhängige Kontrollen“ durchführen. Die Bußgelder dürften nicht – wie im Gesetzentwurf – begrenzt sein, sondern sollten den erzielten wirtschaftlichen Vorteil einkassieren.

Mit den Geldern wollen die Bio-Verbände einen Fonds füllen, der Hinweisgebern Schäden durch drohende Auslistung ersetzt. Unterstützen könnte die Behörden eine unabhängige Ombudsstelle, die anonyme Hinweise auf unlautere Handelspraktiken, Dumpingpreise sowie Verstöße bei Löhnen untersucht und dokumentiert.

Das Gesetz hat zudem einen grundsätzlichen Webfehler: Es bezieht sich nur auf das Verhältnis des Handels zu seinen Lieferanten. Es müsste auch für das Verhältnis zwischen Landwirten und Verarbeitern wie Molkereien, Mühlen und Schlachtereien gelten, monierte der Bundesverband der Milchviehhalter und forderte: „Unlautere Handelsbeziehungen sollten auch auf dieser Ebene umfassend verboten werden.“ Zudem gilt das Gesetz nur fürs Inland. Unter dem Druck der Handelsketten leiden aber auch Bauern, die Kaffee, Bananen oder Kakao anbauen. Hier könnte das sogenannte Lieferkettengesetz helfen, das die Bundesregierung versprochen, aber immer noch nicht umgesetzt hat. Es soll einklagbar sicherstellen, dass deutsche Unternehmen in ihren internationalen Lieferketten dafür sorgen, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Und dazu gehört auch ein existenzsicherndes Einkommen. Überall.

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