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Öko-Saatgut und Hybridsorten

Ökologisches Saatgut – ein heißes Thema. Besonders an den umstrittenen Hybrid-Sorten entzündet sich die Diskussion. Sind sie mit den Grundsätzen des biologischen Landbaus vereinbar?

Debatte um Öko-Saatgut und Hybridsorten

Oder widersprechen sie dem Prinzip: Lasst unsere Nahrung so natürlich wie möglich? Weltweit diskutieren Ökolandbauverbände über neue Richtlinien im Saatgutbereich. Wir informieren über die wichtigsten Positionen.

Stumm liegen sie in den Kisten und Körben der Bio-Läden, geben sich knollig, glattschalig oder hochgewölbt, und heißen „Superschmelz“, „Rodelika“ oder „Neckarperle“. Vielleicht auch „Noriko“, „Nantaise“ oder „Erfurter Zwerg“ – den Namen der Sorte weiß keiner so genau, wenn es sich schlicht um Kohlrabis, Möhren und Blumenkohl handelt.

Aus ökologischem Anbau kommen sie allemal, von den roten Rüben „Monalisa“ bis zum Fenchel „Zarter aus Florenz“. Sie könnten viel erzählen über Jauche, Mist und Mulch, den richtigen Zeitpunkt von Saat und Ernte, Stoffkreisläufe, strenge Kontrollen und Qualitätssiegel. Doch über ihre Kinderstube in der Samentüte schweigen sich die Öko-Zöglinge meistens aus.

Fragt ja auch keiner – galt doch bisher das Hauptaugenmerk den ökologischen Anbaubedingungen. Und da muss laut EU-Bioverordnung auch das Saatgut ökologisch sein, falls es verfügbar ist. Wenn nicht, darf der Ökobauer notgedrungen auf konventionelles Saatgut zurückgreifen. Und das geschieht derzeit noch in mindestens zwei Dritteln der Fälle. Dr. Klaus-Peter Wilbois, zuständig für den Bereich Pflanzenzüchtung beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Berlin spricht von „einer Verfügbarkeit von 25 bis 30 Prozent der benötigten Menge“.

Ausnahmen bis 2003. Möglich macht das die oben erwähnte Ausnahmeregelung, die schon einmal verlängert wurde und noch bis Ende 2003 gilt. Danach darf Bio-Gemüse nur noch aus ökologischem Saatgut gezogen werden. Für diese Zeit stehen die Anbieter bereits in den Startlöchern: Vor einem Jahr hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) im schweizerischen Frick zusammen mit Saat- und Pflanzgutexperten aus verschiedenen europäischen Ländern die Internet-Datenbank OrganicXseeds aufgebaut. Sie bietet eine aktuelle Plattform für alle, die ökologisches und gentechnikfreies Saat- und Pflanzgut nach EU-Standards anbieten oder danach suchen.

Was ist unter ökologischem Saatgut zu verstehen?

„Zunächst einmal ist es wichtig, zwischen Zucht und Vermehrung zu unterscheiden. Ökologisches Saatgut stammt mehrheitlich aus konventionellem Zuchtmaterial, das unter Öko-Bedingungen vermehrt wurde“, erklärt Klaus-Peter Wilbois. Die EU definiert ökologisches Saatgut ausschließlich mit Bezug auf die Vermehrung. Demnach gilt eine konventionell gezüchtete Sorte als ökologisch, wenn sie mindestens ein Jahr lang in einem ökologischen Betrieb vermehrt wurde (bei mehrjährigen Pflanzen zwei Vegetationsperioden). Die gesetzlich geschützte Bezeichnung „ökologisch“ sagt also nur etwas über die Art und Weise der Vermehrung aus – jedoch nichts darüber, was da eigentlich vermehrt wurde.

Gerade die modernen Hybridsorten werden mit zunehmend komplizierten biotechnologischen Methoden hergestellt, die eine Abgrenzung zur Gentechnik eventuell schwierig machen. Sie haben im Verlauf der letzten zwanzig Jahre die herkömmlich durch bloße Kreuzung und Auslese gezüchteten Sorten so gründlich vom Markt verdrängt, dass Sorten wie Mais, Möhren, Brokkoli, Spinat oder Tomaten fast nur noch als Hybridsaatgut erhältlich sind.

Erzwungene Selbstbefruchtung

Hybride entstehen aus der Kreuzung künstlich erzeugter Inzuchtlinien, wodurch sich bestimmte Merkmale, z.B. Ertrag und Resistenz, ausprägen. Zum Beispiel werden fremdbefruchtende Arten wie Möhren, Lauch oder Kohl durch erzwungene Selbstbefruchtung reinerbig gemacht. Und obwohl diese reinerbigen „Elternlinien“ während des Inzuchtprozesses zunehmend degenerieren können, entstehen bei einer Kreuzung in der nachfolgenden Pflanzengeneration – „F1“ genannt – groß gewachsene, widerstandsfähige Nachkommen.

Dieser so genannte „Heterosiseffekt“ hat jedoch keinen Bestand – schon in der nächsten Generation spalten sich die äußerlich einheitlichen Kulturen wieder in eine Vielzahl unterschiedlicher Pflanzenformen auf. Sie sind für Erwerbsgärtner und Landwirte in den meisten Fällen wertlos – das Saatgut ist nicht samenfest. Das bedeutet, dass aus der F1-Generation meistens kein Saatgut für die nachfolgende Kultur gewonnen werden kann, sondern zu diesem Zweck wieder auf die beiden Inzucht-Elternlinien zurückgegriffen werden muss. Der Nachbau, und damit die Entwicklung von hofeigenen Sorten, ist mit modernen Hybriden, deren Elternlinien in den Labors großer Saatgutkonzerne unter Verschluss gehalten werden, stark eingeschränkt und meist nicht möglich, was einem „eingebauten“ Sortenschutz gleichkommt.

Vor- und Nachteile von Hybridsaatgut

Durch den Einsatz von Hybriden wird die natürliche Generationenfolge aufgelöst, und die fruchtbare Weiterentwicklung, die dem Menschen seit Tausenden von Jahren die Zucht von Kulturpflanzen ermöglicht hat, kommt zum Stillstand. Als Vorteil sehen die Befürworter von Hybrid-Saatgut die höheren Erträge, eine bessere Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten sowie die gute technische Handhabbarkeit möglichst einheitlicher, an möglichst vielen Standorten gedeihender Pflanzen. Kritiker halten dagegen, dass sich Vergleichbares auch mit samenfesten Sorten erreichen ließe, deren Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft sei. Sie verweisen auf Qualitätsprobleme bei Hybriden, auf hohe Preise, eine zunehmend eingeschränkte Sortenvielfalt und die vermehrte Abhängigkeit von großen Saatgutkonzernen. Das stellt vor allem für Dritte-Welt-Länder ein folgenschweres sozio-ökonomisches Problem dar. Aus ganzheitlicher Sicht erweisen sich die grünen Emporkömmlinge somit als kümmerliche „Scheinriesen“, denen jede Nachhaltigkeit abgeht.

Drei Kategorien von Saatgut

Verständlich, dass der Stellenwert des Hybridsaatguts im ökologischen Anbau von den Verbänden intensiv diskutiert wird. Sie wollen im August 2002 beim Weltkongress ihres Dachverbandes IFOAM (International Federation of Organic Agriculture Movements) in Kanada erste Richtlinien erarbeiten. Die westeuropäischen Anbauverbände haben sich bereits im November 2001 auf eine Richtlinienvorlage geeinigt und das vorhandene Saatgut in die drei Kategorien „Rot“, „Gelb“ und „Grün“ eingeteilt:

  • Saatgut der „roten Kategorie“ kommt für Ökolandbau nicht in Frage. Es umfasst die gentechnisch veränderten Pflanzen und die durch Protoplastenfusion entstandenen CMS-Hybriden (mit gentechnisch erzeugten Merkmalskombinationen verschiedener Pflanzenarten).
  • In der „gelben Kategorie“ findet sich ökolgisches Saatgut im Sinne der EU-Bioverordnung, bei dem manche Anbauverbände jedoch zwei bis drei Pflanzengenerationen oder Vegetationsperioden Abstand zu den konventionellen Vorläufern fordern. Dazu gehören auch die ohne Gentechnik erzeugten Hybridvarianten.
  • Die „grüne Kategorie“ ist für Sorten reserviert, die nicht nur ökologisch vermehrt, sondern unter den Bedingungen des Öko-Landbaus mittels Kreuzung und Auslese gezüchtet wurden. Möglicherweise kann auch hier die Hybridtechnik zum Einsatz kommen, allerdings unter stark eingeschränkten Bedingungen.

Druck der Fakten

„Die westeuropäischen Landbauverbände werden sich wohl, zum Teil unter dem Druck der bereits geschaffenen Realitäten, für einen eingeschränkten Einsatz von Hybridsorten aussprechen“, berichtet Christina Henatsch, Pflanzenzucht-Expertin vom biologisch-dynamisch orientierten Verein Kultursaat e.V. Sie sieht die zukünftige Kompromisslinie der Verbände irgendwo im „gelben Bereich“. Das heißt: Bestimmte Hybride werden wahrscheinlich weiterhin im Ökolandbau zulässig sein, auch wenn etwa der Demeter- Verband den Kunstprodukten sehr skeptisch gegenüber steht. „Zwar sind Hybride nicht grundsätzlich gentechnisch verändert“, argumentiert Christina Henatsch. Aber: „Die Zuchtmethoden sind selbst für Spezialisten schwer als gentechnisch oder nicht gentechnisch zu definieren. Für den Verbraucher ist das überhaupt nicht mehr möglich.“

Die neue Freisetzungsverordnung der EU könnte für die ökologische Pflanzenzüchtung eigentlich schon Klarheit schaffen: die Protoplastenfusion ist als eine Methode der Gentechnik beschrieben. Da der Ökolandbau keine Gentechnik erlaubt, sind die durch Protoplastenfusion entstandenen CMS-Hybriden verboten. Für Christina Henatsch geht das noch nicht weit genug, auch wenn sie sich für eine Übergangszeit die ökologische Vermehrung von Hybridsaatgut vorstellen kann:

Für die Zukunft der Züchtung ist eine klare Linie notwendig, sonst stehen diese Kompromisse der Entwicklung von samenfesten Sorten und neuen, ganzheitlichen Züchtungsmethoden im Weg.

Christina Henatsch

Eine Mehrzahl der ökologischen Anbauverbände wird sich jedoch vermutlich auf den differenzierten und maßvollen Einsatz von Hybridsaatgut einigen. Die wichtigsten Kriterien hierbei werden sein: Die Samen müssen fruchtbar sein und die Elternlinien unter biologischen Bedingungen erhalten werden. „So ist wenigstens gewährleistet, dass nur relativ starke Elternlinien als Zuchtlinien verwendet werden“, erklärt Eric Wyss vom FiBL Schweiz. „Die pflanzlichen Krüppel, die nur noch im Labor existieren können, fallen von ganz alleine weg.“ Die Hybridisierung ohne Zuhilfenahme gentechnologischer Elemente sieht Eric Wyss als Bestandteil eines ganz normalen Züchtungsvorgangs.

30 Prozent Mehrertrag

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt spielt das Hybridsaatgut auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten noch eine große Rolle. Immerhin kann der Mehrertrag bis zu 30 Prozent ausmachen. „Die Erträge sollten so sein, dass der Betrieb davon leben und konkurrenzfähig sein kann. Und auch die Verbraucherpreise müssen stimmen“, gibt Bioland-Vorstand Thomas Dosch zu bedenken. Er verweist auf die schwierige Verfügbarkeit des ökologischen Saatguts.

Dagegen arbeiten die biologisch-dynamischen Züchter und der Demeter-Verband konsequent an einer schrittweisen Abschaffung der Hybriden. Deren augenblicklich höhere Ertragssicherheit führen sie darauf zurück, dass die samenfesten Sorten in der Vergangenheit züchterisch vernachlässigt wurden. Als erster und einziger ökologischer Anbauverband hat Demeter den Anbau von Hybridsorten im Getreidebau (mit Ausnahme von Mais) untersagt. Ziel der Demeter-Bewegung ist die Entwicklung von Saatgut der „grünen Kategorie“ – die Pflege altbewährter, schon beinahe vergessener Sorten sowie die Züchtung möglichst vieler ökologischer Sorten von Anfang an.

Hier wird Saatgut als Kulturgut verstanden, die achtsame Pflege dieses Kulturguts und seiner Vielfalt als gesellschaftliche Aufgabe. Ziele sind die optimale Angepasstheit an die jeweiligen Bodenbedingungen, allgemeine Widerstandsfähigkeit und Vitalqualität. Dadurch lassen sich auch hohe Erträge erreichen, die bereits jetzt in Einzelfällen über denen vergleichbarer Hybridsorten liegen können.

Vollgepumpt mit Chemie

Beim Bundessortenamt dagegen stellt man einen allgemeinen Trend in Richtung Hybride fest: Der EU-weite Hybridanteil an Rosenkohl und Chinakohl beispielsweise liegt zwischen 85 und 93 Prozent, bei Tomaten über 80 Prozent. Hohe Erträge und angezüchtete Resistenzen, die ein geringes Maß an chemischen Spritz- und Düngemitteln erfordern, sprechen auf den ersten Blick auch im Ökolandbau für den Einsatz von Hybridsorten. Doch die biologisch-dynamischen Züchter halten dagegen: „Es ist ein Leichtes, auf Agrochemikalien zu verzichten, wenn in den vorgelagerten Stufen so viele davon zum Einsatz kommen, dass im Anbau selbst keine mehr notwendig sind“ (so Züchter Amadeus Zschunke im Schweizer Mitteilungsblatt Bio aktuell vom November 2001). Denn im Labor werden die Chromosomen der High-Tech-Hybriden beispielsweise mit dem Pflanzengift Colchyzin behandelt, um die erwünschten reinerbigen Elternlinien möglichst schnell herstellen zu können.

Bei allem Abwägen der anbautechnischen Vor- und Nachteile sind die ökologischen Zuchtmethoden jedoch letztlich auch eine Frage der Weltanschauung. Der Verbraucher ist daher zum sortenbewussten Einkauf und zum gründlichen Nachfragen aufgerufen, solange es noch keine Kennzeichnung von „hybridfreiem“ Gemüse gibt. „Klasse statt Masse“ gilt nicht nur für die Tierhaltung – wo die Biographie von Kühen Bestandteil des Einkaufs geworden ist, da darf auch der Name der Rübe kein Geheimnis mehr sein.

Konsequenzen des Hybrid-Verzichts

  • Verzicht auf alle Hybriden: Viele etablierte Gemüsesorten müssten ersetzt werden. Das würde die ökologische Gemüseproduktion in den nächsten 5 bis 15 Jahren sehr erschweren
  • Verzicht nur auf CMS-Hybriden: Wenige moderne Kohl-, Endivien-, Lauch- und Chicoréesorten scheiden für den Ökolandbau aus.
Warum ist Bio besser?
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