Geduldig steht die braunweiß gefleckte Milchkuh da, während neben ihr eine Frau in Gummistiefeln steht, auf die hintere Wirbelsäule deutet und erklärt: „Wenn hier die senkrechten Dornfortsätze der Wirbelsäule und die waagerechten Querfortsätze deutlich zu sehen sind, wäre das ein Alarmzeichen“. Zu sehen ist nichts, also kein Alarm. Die Frau macht ein Häkchen in der Liste und wendet sich dem nächsten Tier zu.
Rita Brunner ist Diplom-Wirtschaftsingenieurin, auf einem Milchviehbetrieb groß geworden und arbeitet als Kontrolleurin für die Öko-Kontrollstelle ABCERT.
Gerade inspiziert Rita Brunner inspiziert Milchviehbetrieb mit eigener Verarbeitung, die Alztaler Hofmolkerei von Franz Obereisenbuchner im südostbayerischen Garching an der Alz. 50 Milchkühe und deren Nachwuchs leben auf diesem Betrieb, der Mitglied beim Anbauverband Biokreis ist. Zu prüfen, ob es den Tieren gut geht, ist eine der Aufgaben von Brunner. Dazu gehört der Ernährungszustand, den ein geschultes Auge, wie gerade demonstriert, an bestimmten, stark hervorstehenden Knochen erkennen kann.
„Hat die was? War der Tierarzt schon da?“
Milchkühe sind Hochleistungstiere, die mit ihrem Futter genug Eiweiß und Kohlenhydrate aufnehmen müssen. Liefert die Futterration zu wenig davon oder kann ein Tier aufgrund einer Erkrankung die Nährstoffe nicht umsetzen, lebt es von der Substanz und magert ab. Fällt Rita Brunner nur ein einzelnes mageres Tier auf, weist sie den Landwirt darauf hin und fragt nach: „Hat die was? War der Tierarzt schon da?“ Sind mehr als zehn Prozent der Tiere schlecht ernährt, gilt das als Verstoß. Dann muss der Betrieb nach der Ursache suchen und sie abstellen. Denn vermutlich liegt ein Fehler im System vor. Vielleicht passt die Futterqualität nicht oder die Tiere haben Würmer.
Bei Franz Obereisenbuchner passt alles. „Die Tiere sind gut ernährt“, sagt Rita Brunner, und auch sonst hat sie beim Tierwohl nichts zu beanstanden. Sie schaut sich im Stall das vorgelegte Heu an, „kein Schimmel“, und prüft die Tränken: „Funktioniert“. Danach geht es auf die Weide direkt hinter dem Hof, auf der die meisten Kühe gerade grasen. „Ich kontrolliere, ob Euter und Hinterseite der Tiere sauber sind, ob sie Parasiten wie Läuse im Fell haben oder auffällige Ekzeme, Geschwüre oder Verletzungen.“
Weil es heiß wird, bewegen sich die Tiere langsam Richtung Stall und Rita Brunner schaut ihnen beim Gehen zu. Zwei der Tiere lahmen leicht. Rita Brunner erkundigt sich nach der Klauenpflege. „Die lassen wir zweimal im Jahr machen, heuer war er im Februar da“, antwortet Franz Obereisenbuchner. Jetzt, zum Zeitpunkt der Kontrolle, ist es Juli. „Lahmheiten passieren im Sommer öfter, wenn es viel regnet und warm ist“, erklärt der Bauer. Dann infizieren Bakterien die Haut zwischen den Klauen und verursachen eine schmerzhafte Entzündung. Panaritium ist der Fachausdruck dafür, beim Menschen heißt es Nagelbettentzündung.
Bio-Verbände kontrollieren das Tierwohl ausführlich
Abends beim Melken wird Franz Obereisenbuchner nachschauen, ob es vielleicht ein eingetretener Stein ist oder tatsächlich eine Entzündung. Dann muss der Tierarzt ran. Auch hier gilt: Ein Einzelfall ist kein Problem. Tritt die Lahmheit dagegen bei mehreren Tieren auf, würde die Kontrolleurin das vermerken. Ein solcher Vermerk ginge dann an den Verband, bei dem der Landwirt Mitglied ist. Diese ausführliche Tierwohlkontrolle lassen die Bio-Verbände Naturland, Bioland, Biokreis, Gäa und Ecoland seit 2014 jährlich zusammen mit der normalen Öko-Kontrolle nach EU-Biorecht durchführen.
Denn die EU-Öko-Verordnung beschränkt sich darauf, bestimmte Haltungsbedingungen vorzuschreiben wie ausreichend Tageslicht und Frischluft, Einstreu im Ruhebereich oder Mindestflächen pro Tier. EU-weit geregelt ist auch, wann und wie Medikamente eingesetzt werden dürfen und dass die Tiere Bio-Futter bekommen müssen. Doch Kriterien für das Tierwohl lässt die EU-Öko-Verordnung nicht abprüfen. Das machen nur die fünf Verbände. Demeter war am Anfang auch dabei, geht inzwischen aber seinen eigenen Weg, mit eigenen Prüfkriterien und einer risikoorientierten Kontrolle, bei der jedes Jahr im Schnitt die Hälfte der Betriebe geprüft wird.
5 Fakten zur Bio-Kontrolle
- Die EU-Öko-Verordnung legt fest, dass Lebensmittel nur als „Bio“ oder „Öko“ ausgelobt werden dürfen, wenn die Unternehmen, die sie erzeugt, verarbeitet und gelagert haben, im Öko-Kontrollsystem sind. Das gibt es in allen EU-Staaten und es gilt auch für Lebensmittel, die in die EU eingeführt werden.
- In Deutschland gibt es 19 private Kontrollstellen. Sie werden von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zugelassen, jährlich überprüft und von den Länderbehörden überwacht. Zusätzlich müssen alle Kontrollstellen eine Akkreditierung durchlaufen und sie regelmäßig erneuern.
- Auf jedem Bio-Lebensmittel ist die Kontrollstelle mit einem Kürzel aus Länderbuchstaben und dreistelliger Nummer angegeben. „DE-ÖKO-006“ steht für den deutschen Öko-Zertifizierer ABCERT.
- Will sich ein Unternehmen bio-zertifizieren lassen, sucht es sich eine Kontrollstelle aus, schließt mit ihr einen Vertrag und bezahlt sie für ihre Arbeit. Damit kommt der Betrieb ins Kontrollsystem. Nach einem ersten Audit überprüft die Kontrollstelle mindestens einmal jährlich mit Voranmeldung, ob das Unternehmen die Kriterien der EU-Öko-Verordnung einhält. Zusätzlich werden 10 – 20 Prozent unangemeldete zusätzliche Kontrollen durchgeführt.
- Erhebliche Verstöße melden die Kontrollstellen an die Öko-Kontrollbehörde des jeweiligen Bundeslandes. Diese entscheidet dann über eine Sanktion wie den Entzug des Bio-Zertifikats. Diese Aufgabenteilung zwischen privater Vor-Ort-Kontrolle mit Zertifizierung und staatlichen Sanktionen gibt es in vielen Bereichen, etwa wenn der TÜV ein Auto überprüft und es gegebenenfalls aus dem Verkehr zieht.
Ronja Zöls-Biber, Sprecherin von Biokreis, erklärt, was passiert, wenn ein Verband einen Kontrollvermerk mit Tierwohlverstößen bekommt. „Bei uns entscheidet eine unabhängige Anerkennungskommission je nach Art und Schweregrad des Verstoßes über Auflagen“. Diese reichen von einem einfachen Hinweis über einen verpflichtenden Maßnahmenkatalog bis zum Entzug des Biokreis-Zertifikates. „Abweichungen werden außerdem an die Biokreis-Beratung weitergegeben, welche dem Betrieb bei der Erarbeitung von Maßnahmen zur Seite steht“. Verbandsübergreifend werden die Verstöße im Rahmen der AG-Tierwohl ausgewertet, um das Tierwohl voranzubringen.
Franz Obereisenbuchner liegt das Wohl seiner Tiere am Herzen. Deshalb baut er gerade einen neuen Stall mit noch mehr Platz. Weil er mittlerweile nur noch mit hornlosen Bullen züchtet, muss er seine Tiere nicht mehr enthornen.
Rita Brunner lässt sich von Obereisenbuchner als Nächstes das Stallbuch zeigen, in dem der Tierarzt seine Besuche und verschriebenen Medikamente vermerkt. Auch die doppelte Wartezeit ist dort vermerkt, die Bio-Betriebe nach einem Medikamenteneinsatz einhalten müssen, bevor sie wieder Produkte der Tiere vermarkten dürfen. Die Kontrolleurin findet einen Antibiotikaeinsatz bei einer Milchkuh, die wie üblich acht Wochen vor der Geburt des Kalbes aus der Produktion genommen, also trocken gestellt wurde. In der konventionellen Landwirtschaft werden oft alle trocken gestellten Tiere vorbeugend mit Antibiotika behandelt, um Euterentzündungen zu vermeiden. Bio-Kühe dürfen nur mit Antibiotika behandelt werden, wenn das Euter tatsächlich entzündet ist. Zudem muss der Erreger bekannt sein, damit der Tierarzt möglichst zielgerichtet behandeln kann. „Wo ist der Erregernachweis?“ fragt Rita Brunner deshalb, bekommt ihn gezeigt und macht ihr Häkchen.
Sie schaut sich auch die Tierbestandslisten an, die zentral im Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere (HIT) geführt werden. In diese Datenbank müssen alle Landwirt:innen, die Wiederkäuer oder Schweine halten, ihre Tiere zusammen mit der jeweiligen Nummer auf den gelben Ohrmarken eintragen. „Hier überprüfe ich, ob es auffällig viele Todesfälle, etwa bei Kälbern gibt“, erklärt Rita Brunner. Findet sie in der Datenbank ein neues zugekauftes Tier, lässt sie sich dessen Tierpass zeigen und kontrolliert, ob es von einem Bio-Betrieb kam.
Öko-Kontrolle: Ist auch der Schnittlauch im Käse bio?
Die Bio-Herkunft ist nicht nur bei den Tieren ein entscheidender Kontrollpunkt. Alles was Franz Obereisenbuchner für die Milcherzeugung und -verarbeitung einkauft, muss Bio sein: Das Saatgut für Körnermais, Triticale und die Kleegras-Luzerne-Mischung, die er als Viehfutter anbaut. Aber auch die Kräuter für den Käse und die Fruchtmischung für die Buttermilch, die er in der Hofmolkerei herstellt. Also kontrolliert Rita Brunner bei Lieferscheinen und Rechnungen, ob die Lieferanten zertifizierte Bio-Betriebe sind und die Bio-Eigenschaft des jeweiligen Produktes vermerkt ist.
Brunner rechnet auch nach, ob die Saatgutmengen zu den Flächen passen, auf denen sie ausgesät wurden. Oder ob die verarbeiteten Milchmengen mit der Milchleistung der 50 Kühe übereinstimmen. Ein wichtiger Kontrollpunkt sind außerdem Subunternehmer und Dienstleister. Franz Obereisenbuchner etwa lässt sein Getreide mit dem zugekauften Mineralfutter zu einem Mischfutter verarbeiten. Der Dienstleister macht das auch für konventionelle Betriebe, weshalb er seine Mischtrommel vor dem Bio-Einsatz reinigen und das dem Landwirt schriftlich bestätigen muss. Bestätigung liegt vor, Häkchen.
Nach dem Aktenstudium geht es hinaus aufs Feld. Rita Brunner sucht sich in der Schlagkartei, dem Verzeichnis der Anbauflächen, drei Felder aus – je eins mit Kleegras/Luzerne, Triticale und Körnermais. „Ich achte auf Auffälligkeiten, etwa Stellen mit verdorrtem, weil womöglich weggespritztem Ampfer“, erklärt sie. Später nimmt sie noch eine Probe von einem eigenerzeugten Futtermittel für ein Standard-Pestizid-Screening.
Der siebenstündige Kontrollbesuch endet mit dem Ausfüllen diverser Checklisten und dem Feststellen des Ergebnisses. Das geht an die Kontrollstelle ABCERT, wo ein Fachreferent den Bericht prüft und dann erst das Bio-Zertifikat ausstellt, so dass immer vier Augen auf einen Vorgang schauen. Vorgeschrieben sei auch, dass eine Kontrolleur:in im Regelfall nur dreimal hintereinander denselben Betrieb überprüfen darf, sagt Rita Brunner. „Sonst wird man betriebsblind“. Sie selbst hat in zehn Jahren rund 2000 Betriebe überprüft und keinen gefunden, der absichtlich betrogen hätte. „Wenn Verstöße passiert sind, dann war es Unwissenheit“, sagt sie.
Warum Kontrolle wichtig ist
Auch wenn das Kontrollnetz dicht ist und ernste Verstöße oft aus Unwissenheit geschehen: Es gibt auch vereinzelte schwarze Schafe, die bewusst betrügen. Denn es lohnt sich, wenn aus konventioneller Ware plötzlich ein Bio-Lebensmittel wird.
So wurden in den letzten Jahren konventionelle Masthähnchen oder Schweine aus Deutschland oder Tomatenmark aus Italien als Bio-Ware verkauft. Die mengenmäßig bedeutendsten Betrügereien passierten mit Getreide oder Futtermittel, die in die EU importiert wurden.
Gemeinsam war den Fällen, dass sich die Abnehmer auf die Importeure und die vorgelegten Zertifikate verließen und selber keinen Kontakt zu den erzeugenden Betrieben hatten.
Wollt ihr noch näher hinschauen?
ag-tierwohl.de
Leitfaden zur Tierwohlkontrolle der Bio-Verbände Bioland, Naturland, Biokreis, Gäa und Ecoland
bioc.info
Datenbank, in der Kontrollstellen aus zahlreichen Ländern die zertifizierten Unternehmen eintragen.
oeko-kontrollstellen.de
Webseite des Bundesverbands der deutschen Öko-Kontrollstellen
Wie erhält ein Betrieb das Bio-Label?
Will sich ein Unternehmen bio-zertifizieren lassen, sucht es sich eine von 19 privaten Öko-Kontrollstellen in Deutschland aus, schließt mit ihr einen Vertrag und bezahlt sie für ihre Arbeit. Damit kommt der Betrieb ins Kontrollsystem. Nach einem ersten Audit überprüft die Kontrollstelle mindestens einmal jährlich mit Voranmeldung, ob das Unternehmen die Kriterien der EU-Öko-Verordnung einhält. Zusätzlich werden 10 – 20 Prozent unangemeldete zusätzliche Kontrollen durchgeführt.
Was passiert bei Verstößen gegen die Öko-Verordnung?
Öko-Kontrollbehörden legen Maßnahmen fest, die von einfachen Hinweisen bis zum Entzug des Bio-Zertifikats reichen.
Was ist ein Stallbuch?
In einem Stallbuch vermerkt ein Tierarzt seine Besuche und verschriebenen Medikamente. Auch die doppelte Wartezeit ist dort vermerkt, die Bio-Betriebe nach einem Medikamenteneinsatz einhalten müssen, bevor sie wieder Produkte der Tiere vermarkten dürfen.
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