ÖKO-KONTROLLE Ob Bauer oder Hersteller, alle werden kontrolliert. Dabei soll ein ausgefeiltes System sicherstellen, dass Bio drin ist, wo Bio draufsteht. Das funktioniert, fast immer. // Leo Frühschütz
Alfred Hammann führt Tagebuch. Sorgfältig trägt er darin ein, was er jeden Tag so macht – draußen auf dem Acker. Wann er den Dinkel ausgesät hat, welche Felder er wann und mit was gedüngt hat, wie gut die Ernte war. Alle Daten tippt der Bioland-Bauer in seine elektronische Schlagkartei – so heißt das Tagebuch, das die meisten Landwirte führen, bio und konventionell. „Ich kann mich ja nicht an alles erinnern“, erklärt Alfred Hammann die Bedeutung dieser Dokumentation für seine Arbeit. „Und ich brauche die Daten für die Bio-Kontrolle.“
Wie bei jedem Bio-Betrieb kommt auch auf Hammanns 50 Hektar großen Hof in Rheinland-Pfalz jedes Jahr der Inspekteur der Öko-Kontrollstelle vorbei. Er kündigt sich vorher an, damit der Landwirt und alle wichtigen Dokumente auch parat stehen. „Hin und wieder schaut ein Kontrolleur auch unangemeldet vorbei“, erzählt Hammann. Und wenn er dann nicht da ist? „Dann sehen die sich alleine um, ob sie etwas Auffälliges finden.“ Mindestens 20 Prozent aller Bio-Kontrollen müssen unangekündigt durchgeführt werden, schreibt das Gesetz vor.
Alle Daten müssen auf den Tisch
Doch bei der Jahreskontrolle braucht der Inspekteur den Landwirt, dessen Akten und die Schlagkartei. Er selbst bringt den Betriebsspiegel mit, in dem die Öko-Kontrollstelle die wichtigsten Daten zusammengefasst hat: Eigentümerstruktur, Betriebsgebäude, Flächen- und Tierzahlen, Fruchtfolgen, Vermarktungswege. Am Anfang der Kontrolle werden diese Daten aktualisiert, dann geht es in die Details: „Besonders genau wird immer der Einkauf von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln geprüft“, erzählt Hammann. Denn Bio-Landwirte dürfen nur sehr wenige und nur natürliche Substanzen zukaufen, um Nährstoffe auf die Felder zu bringen und Schädlinge oder Krankheiten abzuwehren. Die Schlagkartei sagt dem Prüfer, was ausgebracht wurde. Über die Rechnungen kann er nachprüfen, um welches Produkt es sich handelte, ob es öko-kompatibel ist und ob die eingekauften Mengen zu den angegebenen Flächen passen. Schließlich verrät ein Blick in die Buchhaltung, ob der Landwirt irgendwelche Betriebsmittel eingekauft hat, die in den anderen Unterlagen nicht auftauchen. Wäre das der Fall, würden die Alarmglocken schrillen.
Erntemenge muss plausibel sein
Alfred Hammann baut auf seinem 50 Hektar großen Hof Dinkel, Roggen und Lupinen an. Dazu auf sechs Hektar Koriander und auf zwei Hektar Blattkräuter wie Oregano, Estragon oder Salbei. Mit den Daten über die Anbauflächen kann der Prüfer abschätzen, welche Ernte der Landwirt eingefahren hat und ob dessen Angaben und Verkaufsmengen plausibel sind. „Natürlich schwankt der Ertrag, je nach Wetter und Bodenqualität“, sagt Alfred Hammann. Das lässt sich im Gespräch erläutern. „Aber wenn ich behaupten würde, ich hätte acht Tonnen Weizen von einem Hektar eingebracht, wäre der Kontrolleur zu Recht misstrauisch.“
Der Bio-Landwirt spricht aus Erfahrung, denn er hat früher selbst Betriebe kontrolliert. Als er 1986 seinen Hof auf Bio umstellte, gab es noch keine Öko-Kontrollstellen. Die einzige Kontrollinstanz waren Bio-Anbauverbände wie Bioland, Demeter und Naturland, bei denen sich die Landwirte gegenseitig überprüften. „Ich war damals auch einige Jahre lang unterwegs und habe für Bioland die Betriebe von Kollegen überprüft“, berichtet Hammann.
Erst 1992 beschloss die EU mit ihrer Öko-Verordnung einen einheitlichen Rechtsrahmen – und private Kontrollstellen übernahmen die Inspektionen. Sie prüfen die EU-Standards und bei Mitgliedern der Bio-Anbauverbände zusätzlich, ob sie die Richtlinien ihrer Verbände einhalten. Das passiert parallel zur EU-Öko-Kontrolle, um den Aufwand gering zu halten. 17 private Kontrollstellen sind in Deutschland zugelassen und werden von den Öko-Kontrollbehörden von Bund und Ländern überwacht. Aussuchen kann sich jeder Betrieb die Kontrollstelle selbst, so wie jede Privatperson selbst entscheiden kann, ob TÜV oder Dekra die Sicherheit ihres Autos bestätigen. „Es wird heute viel genauer hingeschaut wie früher“, ist Hammanns Erfahrung aus 30 Jahren Bio-Anbau. In dieser Zeit hat er viele Inspekteure erlebt, denn diese dürfen einen Betrieb nur zwei Jahre hintereinander kontrollieren, damit keine zu große Nähe entsteht.
Auch Felder und Ställe werden inspiziert
Nachdem sich der Prüfer durch die Dokumentation gearbeitet hat, sieht er sich den Betrieb an und einige der Felder – immer auf der Suche nach Auffälligkeiten. Bei Tierhaltern wird auch der Stall inspiziert. Die EU-Öko-Verordnung gibt bauliche Maßnahmen wie Mindestflächen oder Bodenbeschaffenheit vor und verlangt Einstreu. Doch der Zustand der Tiere selbst spielt in dem Regelwerk keine große Rolle. Deshalb haben die Anbauverbände für die Kontrolle ihrer Mitglieder einen Tierwohl-Check entwickelt. Die Prüfer müssen auch Sauberkeit und Gesundheitszustand der Tiere erfassen und auf typische Probleme, etwa ausgerupfte Federn bei Legehennen, achten.
Alfred Hammann hält keine Tiere, deshalb geht es bei ihm etwas schneller: Nach drei Stunden verabschiedet sich der Prüfer. Im Büro wird er seinen Inspektionsbericht schreiben und ihn an die Kollegen in der Firma weitergeben, die letztendlich für die Zertifizierung zuständig sind. Beide Bereiche müssen organisatorisch getrennt sein. Ebenso wie die Rotation der Inspektoren soll das eventuelle Korruption erschweren. Von der Zertifizierungsabteilung erhält Alfred Hammann schließlich sein Bio-Zertifikat – und einen Auswertungsbericht mit Anmerkungen, was er noch erledigen muss. Obwohl er ein alter Hase ist, finden die Kontrolleure auch bei ihm „immer ein paar Kleinigkeiten. Dann bekommt er eine Frist gesetzt, um die fehlenden Dokumente nachzuliefern.
Öko-Kontrolle beim Hersteller
Das Bio-Zertifikat braucht Bauer Hammann, wenn er seine Erzeugnisse als Bio vermarkten will. Einer seiner Kunden ist der oberbayerische Kräuterspezialist Herbaria. Dort hat Qualitätsmanagerin Elisabeth Zimmermann Hammanns Zertifikat ordentlich abgelegt – für die nächste Öko-Kontrolle. Denn neben den Erzeugern werden auch Verarbeiter und Händler mindestens einmal jährlich kontrolliert. „Wir müssen für jeden Lieferanten das Zertifikat vorlegen und angeben, was wir von ihm bezogen haben“, erklärt Elisabeth Zimmermann. Anhand von zwei, drei zufällig ausgewählten Produkten checkt der Prüfer, ob der Verarbeiter auch so viele Bio-Zutaten eingekauft hat, wie dann als fertige Produkte das Lager verlassen. Besonders wichtig ist das bei Unternehmen, die sowohl konventionelle als auch biologische Lebensmittel herstellen. Zwar müssen beide Bereiche strikt getrennt werden, aber das Risiko, dass sich etwas vermischt, ist hoch.
Bei Herbaria ist das nicht der Fall, da der Tee- und Gewürzspezialist nur Bio-Produkte herstellt. Trotzdem schaut der Kontrolleur genau hin. Beim Koriander zum Beispiel wird zuerst geschaut, ob neben Hammann noch andere Landwirte geliefert haben, damit klar ist, wie viel Koriander Herbaria insgesamt eingekauft hat. Dann werden alle Produkte aufgelistet, in denen Koriander drin ist, auch wenn es nur ein paar Prozent sind. Dazu kommen noch die Verkaufszahlen der einzelnen Produkte. „Dann zückt er den Taschenrechner und überprüft, ob die Mengen zusammenpassen“, sagt Elisabeth Zimmermann.
Die Standards der Bio-Anbauverände werden beim Besuch der Öko-Kontrolle mit abgeprüft. (© BLE, Bonn/Thomas Stephan)
Cross Check: auf Nummer sicher gehen
Will es ein Prüfer ganz genau wissen, macht er einen sogenannten Cross Check. Dazu mailt er die Kontrollstelle des Bauern an und bittet sie nachzuschauen, ob denn die Lieferung an einen Hersteller auch in dessen Büchern korrekt aufgeführt ist. So kann sich etwa herausstellen, dass ein Landwirt weit mehr Bio-Getreide verkaufte, als er angegeben hatte. Damit stünde dann der Verdacht im Raum, dass konventionelles Getreide als Bio-Getreide verkauft wurde. Oder ein Zwischenhändler kann nicht belegen, dass er die Möhren tatsächlich von einer Bio-Gärtnerei bezogen hat. In solchen Fällen wird die verdächtig gewordene Ware erst einmal gesperrt und der Fall untersucht.
Bio-Betrügereien gibt es immer wieder. So ermittelt die Staatsanwaltschaft Schwerin zurzeit gegen zwei Landwirte, die konventionelle Schweine als Bio-Schweine verkauft haben sollen. Geschätzter Gewinn der beiden: bis zu einer Million Euro. Immer wieder betrogen wird bei Importen von Getreide und Futtermitteln aus Süd- und Osteuropa. Meist läuft die Ware über mehrere bio-zertifizierte Zwischenhändler und Silos, sodass nicht mehr nachvollziehbar ist, ob die Ware tatsächlich auf einem Bio-Acker wuchs. Dennoch gibt es Kunden, die solche Ware kaufen: Hauptsache das Zertifikat liegt vor und der Preis stimmt.
Eine solche anonyme Bio-Ware käme bei Herbaria nicht ins Haus: „Wir kaufen, soweit es möglich ist, direkt bei den Erzeugern ein“, sagt Elisabeth Zimmermann. „Die Kollegen vom Einkauf schauen sich neue Lieferanten genau an, befragen sie, prüfen Zertifikate und analysieren Proben.“ Am liebsten bezieht Herbaria Rohstoffe aus biofairen Projekten, „weil sie auch soziale Bereiche abdecken, die in den Bio-Richtlinien nicht geregelt sind.“
Neben der Feldarbeit führt Bauer Alfred Hammann genau Buch – für die jährliche Öko-Kontrolle. (© bioland/F. Krick)
Interview: „Auch bei Kontrollstellen gibt es Unterschiede“
Die Öko-Kontrolle steht immer wieder in der Kritik. Welche Herausforderungen sehen Sie für das Kontrollsystem?
Wir haben drei Ebenen, den nationalen Markt, den EU-Markt und Bio-Anbau in Drittländern, also außerhalb der EU. Jede dieser Ebenen steht vor eigenen Herausforderungen. In Deutschland haben wir ein sehr ausgereiftes und sicheres System, das manchmal zu Überregulierungen neigt.
Auf EU-Ebene sind es 28 Mitgliedsstaaten ...
... die ganz verschiedene Rechtsstrukturen haben und die Öko-Verordnung unterschiedlich umsetzen. Es gibt Mitgliedsstaaten mit großen Bio-Märkten, bei denen die Öko-Kontrolle kaum Unregelmäßigkeiten meldet oder sehr großzügig damit umgeht. In anderen Ländern greifen die Behörden schon mal hart durch. Hier wäre Harmonisierungspotenzial für die EU-Kommission gewesen. Leider hat sie stattdessen alle Akteure über drei Jahre mit einer überflüssigen Revision der EU-Öko-Verordnung beschäftigt.
Und bei Importen aus Drittländern?
Es gibt ein Dutzend Länder, deren Kontrollsystem die EU als gleichwertig anerkennt, da es dort Gesetze und Standards gibt, die den europäischen entsprechen. Dazu gehören die Schweiz, Argentinien oder die USA. In allen anderen Staaten ist das nicht der Fall. Dort müssen Kontrollstellen einem Exporteur die Gleichwertigkeit der Öko-Erzeugnisse bestätigen. Sie spielen also eine tragende Rolle. Die EU autorisiert diese Kontrollstellen, ist aber nicht in der Lage, ihre Arbeit angemessen zu überwachen.
Was folgt daraus für hiesige Importeure?
Sie sollten sehr genau darauf schauen, woher die Ware kommt, wie viele Stationen sie durchlaufen hat und welches Risiko sich daraus ergibt. Wenn es undurchsichtig wird, sollten sich Importeure nicht nur auf Dokumente und Bescheinigungen verlassen.
Importe
Wie sicher ist Bio aus dem Ausland?
Bei der EU-Kommission haben die Mitgliedsstaaten im vergangenen Jahr 398 Fälle mit verdächtiger Bio-Ware gemeldet. Zum Einordnen: Kontrolliert werden einige Hunderttausend Betriebe im Jahr. Der Grund für eine Meldung war meist eine Pestizidbelastung.
In über 80 Prozent der Fälle sei die Ursache nicht ermittelt worden, beklagt die EU-Kommission. Sie bemängelt, dass die länderübergreifende Zusammenarbeit und der Informationsfluss zwischen den an der Kontrolle Beteiligten zu langsam sei. Auch würden die Mitgliedsstaaten mit Verdachtsfällen unterschiedlich umgehen. Doch es tut sich etwas. So müssen in Italien seit Anfang des Jahres alle Transaktionen mit Bio-Getreide in eine Datenbank eingespeist werden. Sie ermöglicht es, Lieferungen bis zum Erzeuger zurückzuverfolgen – auch wenn der in der Ukraine oder Kasachstan ackert. Gleichzeitig enthält sie alle Zertifizierungsdaten der beteiligten Betriebe. Fällt jemand auf, springt die Ampel auf rot.
Viele Verdachtsmeldungen betreffen Ware aus Drittländern, etwa China. Korruption und gefälschte Zertifikate kommen hier öfter vor. Auch verstehen die Landwirte „Bio“ nicht unbedingt so wie ihre deutschen Kunden. Hier sichern nur intensive Beratung und sehr enge Kontakte zwischen Importeur und Erzeugern die Bio-Qualität. Viele Hersteller des Naturkostfachhandels haben deshalb eigene Projekte aufgebaut.
www.oekolandbau.de
Im Menüpunkt „Service“ finden sich Gesetze und Verordnungen sowie die Adressen von Kontrollbehörden und Kontrollstellen.
www.bioc.info
Datenbank, in der fast alle Kontrollstellen die von ihnen zertifizierten Unternehmen eintragen.
www.organic-integrity.org
Die „Antifraud Initiative“ ist ein Zusammenschluss von Kontrollstellen, Öko-Händlern und Behörden, die das Kontrollsystem verbessern möchten.
www.oeko-kontrollstellen.de
Webseite des Bundesverbands der deutschen Öko-Kontrollstellen (KdK)
www.eocc.nu
Im European Organic Certifiers Council (EOCC) haben sich europaweit Öko-Kontrollstellen zusammengeschlossen.
www.hpslex.de
Der Rechtsanwalt Hanspeter Schmidt ist Experte für das EU-Bio-Recht.
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