Er ist ein Wunderwerk der Technik: der HPLC-ICP-MS. Mit diesem Messgerät kann ein Labor Schwermetalle wie Arsen in einer Konzentration von 10 Millionstel Gramm (10 Mikrogramm) je Kilogramm nachweisen. Anders gesagt: Man wirft 10 Stück Würfelzucker in ein olympiataugliches 50-Meter-Schwimmbecken, rührt um, und das Messgerät „schmeckt“ den Zucker heraus. Der Fortschritt der Technik hat Folgen. Denn damit lassen sich nun Rückstände in Lebensmitteln finden, die früher nicht messbar – und deshalb kein Thema in der Öffentlichkeit waren. Was passiert, wenn der HPLC-ICP-MS zum Beispiel Spuren von Arsen im Bio-Reis findet? Ist der Reis dann nicht mehr bio? Ist er dann womöglich gefährlich und muss auf den Müll?
Meldungen über Schadstoffe in Lebensmitteln verunsichern Verbraucher. Insbesondere, wenn die Schlagzeile den gefundenen Stoff mit Krebs in Verbindung bringt: etwa Dioxin im Ei, Pyrrolizidine im Tee oder Arsen im Reis. Die R+V-Versicherung fragt seit Jahren die Ängste der Deutschen ab. 2020 lag die Angst vor Schadstoffen in Nahrungsmitteln auf Platz acht, noch vor Klimawandel oder der Angst vor weiteren Pandemien.
Welche Folgen hat das Festlegen von Schadstoff-Grenzwerten?
Das Wissen um diese Angst drängt die Verantwortlichen in Politik und Behörden dazu, neu gefundene Schadstoffe zu reglementieren. Sie fordern Minimierungsmaßnahmen, empfehlen Höchstmengen oder legen Grenzwerte fest. Die Folgen bringt Alexander Beck, Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) auf den Punkt: „Was gestern noch genussvoll verspeist wurde, ist morgen nicht mehr verzehrfähig und muss entsorgt werden.“ Das Wegwerfen von Lebensmitteln ist aber nicht die einzige Folge von genauer messenden Methoden.
Wann gilt ein Stoff als gefährlich?
Die meisten Grenzwerte basieren auf Tierversuchen. Dabei wird die Dosis ermittelt, bei denen sich im Versuch keine negativen Effekte bei den Tieren zeigen. Diese Dosis wird dann noch durch einen Sicherheitsfaktor von 100 oder 1000 geteilt und als Grenzwert festgelegt. Einbezogen werden dabei auch Daten über giftige Wirkungen auf den Menschen und Abschätzungen, wie viel von dem Schadstoff ein Mensch zu sich nimmt. Für Stoffe mit krebserregender Wirkung gilt das ALARA-Prinzip: Lebensmittel sollen so wenig von dieser Substanz enthalten, wie sich vernünftigerweise erreichen lässt. Das kann auch mehr als Null sein.
Wie kommen Schadstoffe in Lebensmittel?
Im Falle von Arsen im Reis hat die EU 2015 Grenzwerte erlassen. 200 bis 300 Mikrogramm Arsen je Kilogramm sind, je nach Produkt, noch im Reis erlaubt. Für Baby- und Kinderkost gelten 100 Mikrogramm. Das gilt für Bio-Ware genauso wie für konventionelle Ware. Lebensmittel, die diese Werte übersteigen, dürfen nicht mehr verkauft werden. Nun können sich die Bauern vor Arsen nicht schützen. Es ist von Natur aus in unterschiedlicher Konzentration im Boden und gelangt von dort in den Reis. Bei Herstellern und Bauern wirft das weitreichende Fragen auf. Soll ein betroffener Hersteller seinen Lieferanten wechseln, weil dieser das Pech hat, in einer Region zu leben, in der mehr Arsen im Boden steckt als anderswo? Das Arsen reichert sich im Reis überwiegend in der Schale an. Soll der Hersteller deshalb nur noch geschälten, weißen Reis anbieten und die Schale mit ihren wertvollen Mineralstoffen wegwerfen? Und was soll der Bauer tun, wenn sein mit Arsen belasteter Reis keine Abnehmer mehr findet?
Ein anderes Beispiel sind Pyrrolizidinalkaloide (PA) im Tee. PA sind natürlich vorkommende Stoffe, mit denen sich viele Pflanzen gegen Fraßinsekten schützen. Einige PA können die Leber schädigen und im Tierversuch Leberkrebs auslösen. Findet ein Testmagazin Spuren davon im Tee, schlägt es Alarm. Dabei gibt es für PA keinen Grenzwert, weil viele wissenschaftliche Fragen ungeklärt sind. Allerdings empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nur eine extrem niedrige Aufnahmemenge.
PA sind in manchen Wildkräutern enthalten. Das macht es für Bio-Betriebe besonders schwierig. Denn sie spritzen unerwünschte Wildkräuter nicht mit Pestiziden tot, sondern akzeptieren eine gewisse Menge auf Feldern und Äckern. Diese pflanzliche Artenvielfalt bietet Insekten und Vögeln Nahrung und stabilisiert das Ökosystem. Bei der maschinellen Ernte können die Wildkräuter aber zusammen mit den Teekräutern in den Tee gelangen. Bio-Firmen versuchen deshalb mit großem Aufwand und hohen Kosten PA zu minimieren. „Wir haben unsere Anbauer geschult, die einschlägigen Pflanzen zu erkennen und sie gezielt von den Feldern zu entfernen“, berichtet Rosi Fritz, die beim Tee- und Kräuterspezialisten Lebensbaum das Qualitätsmanagement leitet. Darüber hinaus lässt die Qualitätsmanagerin eingehende Kräuterlieferungen regelmäßig auf PA untersuchen – und auf viele andere Schadstoffe und Pestizide. „Lebensbaum hat 2018 im Rahmen der Qualitätssicherung über eine Million Euro ausgegeben für externe Laboranalysen“, so Rosi Fritz. Das sind fast zwei Prozent des Umsatzes von 62 Millionen Euro.
Vernünftige Balance zwischen Lebensmittelsicherheit und -qualität
Folgen wie das Wegwerfen von Lebensmitteln oder den zusätzlichen Analyseaufwand gibt es nicht nur bei natürlich vorhandenen Schadstoffen, sondern auch bei Verunreinigungen mit Dioxin oder Pestiziden. „Wir Menschen haben unsere Umwelt jahrzehntelang mit schädlichen Chemikalien belastet“, sagt Beck. „Aber was richten wir an, wenn wir jetzt versuchen, jede Kontamination unserer Lebensmittel mit diesen Stoffen zu vermeiden?“ So könnten winzigste Spuren von Dioxinen, die Freilandkühe beim Grasen aufnehmen, dazu führen, dass deren Fleisch als belastet gilt und nicht mehr verkauft werden darf.
Wo soll all das hinführen, fragt sich Alexander Beck, „schließlich produzieren wir nicht unter einer Glasglocke.“ Keim- und schadstofffreie Lebensmittel ließen sich nur im Labor herstellen. „Aber wollen wir das?“ Beck will bei Behörden und Politikern einen Abwägungsprozess anstoßen, eine vernünftige Balance finden zwischen Sicherheit und Qualität von Lebensmitteln.
Bei natürlich vorkommenden oder überall verbreiteten Schadstoffen brauche es „vernünftige Maßnahmen zu Minimierung“, argumentiert er. Grenzwerte etwa, die die Gesundheit gut genug schützen und möglichst wenige unerwünschte Nebenwirkungen haben. Bei der Zulassung neuer Chemikalien will Alexander Beck an der Quelle ansetzen. „Dort müssen wir als Gesellschaft genau hinsehen. Eben weil wir inzwischen wissen, wie solche Stoffe sich in den Öko-Systemen verteilen und sie belasten.“
Der Artikel ist eigentlich aus Februar 2019. Da das Thema immer noch atkuell ist, haben wir ihn für euch noch mal ausgegraben.
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