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Neue EU-Richtlinie

Viel Ärger um Babybrei: Eine neue Richtlinie der Europäischen Union sorgt bei den Herstellern ökologischer Babynahrung für Ärger und bei den Eltern kleiner Kinder für Unsicherheit.

Viel Ärger um Babybrei

Eine Richtlinie der Europäischen Union sorgt bei den Herstellern ökologischer Babynahrung für Ärger und bei den Eltern kleiner Kinder für Unsicherheit. Die EU-Kommission hat festgelegt, daß Lebensmittel, die speziell für Säuglinge und Kleinkinder im Alter zwischen fünf Monaten und drei Jahren hergestellt werden, in Zukunft bestimmte Mindestgehalte an Vitaminen und Mineralstoffen sowie Höchstmengen an Fett und Kohlenhydraten aufweisen müssen.

Was als Beitrag zu einem einheitlichen und hohen Qualitätsstandard für Babynahrung gedacht war, schießt weit übers Ziel hinaus. Denn die in der sogenannten Beikost-Richtlinie festgelegten Werte für Vitamine sind so hoch, daß sie sich durch den natürlichen Vitamingehalt der Rohwaren nicht erreichen lassen. Die Hersteller müssen also gegen ihren Willen und gegen die Philosophie des ökologischen Landbaus manche Produkte mit künstlichen Vitaminen anreichern. Stichtag für die Umstellung ist der 1. Juli 1999. "Es ist geltendes Recht, wir haben keine Wahl", sagt Jürgen Runge, dessen Firma Marktführer bei Getreidebrei ist.

Betroffen von dieser Regelung sind vor allem Getreidebeikost - also Breie, Flocken oder Schleime, die selbst angerührt werden müssen - Fertigbreie im Gläschen und Zwieback. Die Richtlinie schreibt einen Mindestgehalt an Vitamin B1 (Thiamin) im "verzehrfertigen Produkt" vor, der so hoch angesetzt ist, daß kein Getreide, außer Hafer, ihn erreichen kann. Dr. Petra Kühne vom Arbeitskreis für Ernährungswirtschaft über die Folgen: "Alle Getreidezubereitungen für Säuglinge und Kleinkinder bis zu drei Jahren müssen mit synthetischem Vitamin B1 angereichert werden." Doch damit nicht genug. Zusätzlich wurde eine Höchstgrenze von 3,3 Gramm Fett je 100 Kilokalorien im fertigen Brei festgelegt. Wird der Brei mit Vollmilch angerührt, ist der Wert überschritten. Die Hersteller müssen also auf ihren Packungen die Verwendung einer Mischung aus Vollmilch und Wasser empfehlen.

Nicht im selben Ausmaß betroffen sind die Abfüller von Frucht- und Gemüsesäften, die nach dem Willen der EU zukünftig Vitamin A und C zugeben müssen. Bei Sunval experimentiert man mit Acerolo-Kirschenmark aus kontrolliert biologischem .Anbau, um den Vitamin C-Gehalt auf natürliche Weise anzuheben. Bei Vitamin A geht das nicht. Hier sind die Hersteller gezwungen, auf den synthetischen Stoff zurückzugreifen. Dabei müssen sie darauf achten, daß das Vitamin A ohne Hilfe gentechnischer Methoden hergestellt wurde. Keine Probleme haben die Firmen Beutelsbacher und Voelkel, da deren Demeter-Säfte - im Gegensatz zu Sunval - von ihrer Etikettierung her nicht als Babysäfte vertrieben werden.

Nur ein Notbehelf: Durch synthetische Vitamine werden Nahrungsmittel nicht besser

Bisher war es ein Markenzeichen der Naturkosthersteller, auf künstliche Vitamin-Zusätze zu verzichten. "Vitaminierung wird nicht als Verbesserung des Lebensmittels angesehen, sondern als ein Notbehelf, wenn die Lebensmittelqualität gemindert ist", schreibt Petra Kühne in ihrem Ernährungsrundbrief. Die wenigen erlaubten Zusatzstoffe sind in den Rahmenrichtlinien der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (AGÖL) und der Bundesverbände Naturkost Naturwaren (BNN) genau aufgelistet. Dort wird aber auch vorausgesetzt, daß die Produkte alle gesetzlichen Bestimmungen einhalten. Der erzwungene Zusatz von Vitamin B 1 ist also kein Verstoß gegen die allgemeinen Verarbeitungsrichtlinien. Nur beim Demeter-Verband wird es eine eigene Richtlinie für vitaminierte Babykost geben. Dort wird das Dilemma so gelöst, daß auf der Verpackung vitaminierter Produkte unter dem Demeter-Logo der Zusatz "Getreide" oder "aus Demeter Getreide" stehen muß.

Bei allen Betroffenen ist der Ärger über die "EU-Bürokraten" und ihre "absurden Regelungen" groß. Doch überraschend kam der Vitaminstoß aus Brüssel nicht. Die Beikostrichtlinie der EU wurde bereits im Februar 1996 beschlossen, unbemerkt von den Betroffenen. "Das war wie ein Geheimkommando", schimpft Klaus Wagener vom BNN-Hersteller-Verband. "Sogar Branchengrößen wie Milupa wurden von der EU außen vorgelassen." Im Prinzip sei die Richtlinie ein Erfolg der Lobby-Arbeit des Chemiekonzerns und Vitaminherstellers Hoffmann-La Roche.

Bereits zum 30. September 1997 hätte die Bundesrepublik diese EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen müssen. Doch nichts passierte. Seit Anfang 1998 versuchten mehrere Hersteller mit Hilfe eines Anwalts die Umsetzung positiv zu beeinflussen. Bei einer Anhörung des zuständigen Gesundheitsministeriums konnten sie die dortigen Beamten davon überzeugen, daß die Werte der EU-Richtlinie zum Teil auf fachlichen Fehlern und Irrtümern beruhen und diese Richtlinie voraussichtlich in einigen Jahren wieder korrigiert werden muß (siehe Interview). "Die haben das eingesehen und trotzdem darauf bestanden, die jetzige Richtlinie mit ihren Fehlern umzusetzen", ärgert sich Christine Stuhlmann von Evers über die Sturheit der EU-Behörden. Die Hersteller konnten lediglich erreichen, daß die von der EU vorgesehene Umstellungsfrist vom 1. April 1999 auf den 1. Juli 1999 verlängert wurde. Zudem dürfen die bis dahin hergestellten Produkte ohne künstliche Zusätze bis zum Ende ihres Haltbarkeitsdatums verkauft werden.

Die neuen Produkte kommen frühestens im Herbstauf den Markt

Peter Kropf von der Schweizer Firma Holle geht deshalb davon aus, daß vitaminierte Produkte frühestens im September oder Oktober in den Handel kommen. Die Hersteller wollen die Frist ausreizen und die Zeit nutzen, um ihre Verpackungen zu ändern. Außerdem sollen Erfahrungen mit der Dosierung und dem Handling des neuen Zusatzstoffes gesammelt sowie Kunden und Einzelhandel auf die Änderung vorbereitet werden.

Im Mittelpunkt steht dabei neben den rechtlichen Hintergründen die ungeschmälert hohe Qualität der Produkte. Jürgen Runge etwa will die umfangreiche Prüfung der verwendeten Rohwaren auf diverse Schadstoffe und Rückstände, etwa Schimmelgifte wie Aflatoxine, herausstellen, die den Eltern zusätzliche Sicherheit gebe. Beate Walch von Barnhouse verweist auf den hohen und konstanten Nährstoffgehalt der Fertigprodukte. Allgemein rechnet die Branche nicht mit einem Rückgang der Verkaufszahlen. Dies bestätigen auch die Erfahrungen, die Peter Kropf mit der Säuglingsanfangsnahrung gesammelt hat. Für diese Produkte, die als alleinige Nahrung für nicht gestillte Säuglinge dienen, ist die Zugabe von Vitaminen schon seit Jahren vorgeschrieben.

Leo Frühschütz


"Vollwertprodukte sind keine Mangelnahrung"

Interview mit Dr. Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund

S&K: Haben Vollwertprodukte zu wenig Vitamine?

Mathilde Kersting: Definitiv nein. Vollwertprodukte sind nährstoffreiche und gesunde Lebensmittel und keine mangelhafte Nahrung, die durch zusätzliche Vitamine verbessert werden müßte. Außerdem handelt es sich hier um einzelne Produkte der Beikost, die nur einen Teil dessen umfassen, was Säuglinge täglich essen. Da ist eine zusätzliche Vitaminierung erst recht unnötig.

Aus welchen Gründen hat die EU die Werte so hoch festgelegt?

Der wissenschaftliche Lebensmittelausschuß der EU hatte als Meßlatte den Vitamin B1-Gehalt von Vollkornweizen vorgeschlagen, bezogen auf das trockene Produkt, etwa Breipulver. In der Richtlinie ist die Bezugsgröße plötzlich der verzehrfertige Brei. Da die Milch für den Brei weniger Vitamin B1 enthält, reicht der B1-Gehalt des Getreides alleine nicht mehr aus, um den Mindestwert einzuhalten. Ein Irrtum der Bürokratie also.

Die Zugabe von Vitamin C und A bei Säften ist nicht nachvollziehbar. Es gibt keinen Grund, warum ein Apfelsaft, der von Natur aus wenig Vitamin C enthält, ebensoviel Vitamin C enthalten soll wie Vitamin C-reicher Orangensaft. In einer ausgewogenen Ernährung gibt es genug Quellen für die notwendigen Vitamine.

Gilt das auch für Fett? Nach der EU-Richtlinie dürften Breie nur noch mit verdünnter Milch angemacht werden.

So müssen es die Hersteller auf die Verpackung schreiben. Wir empfehlen den Eltern wie bisher, Vollmilch zu verwenden. Gestillte Säuglinge sind fettreiche Muttermilch gewöhnt und sollten deshalb nur langsam an eine fettärmere Kost gewöhnt werden.

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