Wir treffen uns in der „Schote“ auf der Rü, wie die Rüttenscheider Straße in Essen liebevoll genannt wird. Die „Schote“ ist Nelson Müllers Gourmet-Restaurant, das einen Michelin-Stern trägt.
Was war das für ein Gefühl, als Sie vom Michelin-Stern erfuhren?
Das war ein ganz tolles Gefühl! Ich habe lange Zeit meines Lebens in der Sternegastronomie gearbeitet und deshalb war es natürlich auch immer mein Ziel, das auch selbst zu erreichen. Ich hatte es gar nicht für möglich gehalten.
Ist es schwieriger, Sternekoch zu werden oder es zu bleiben?
Ich glaube, es ist schwieriger, es zu werden. Man muss ja erstmal die Tester davon überzeugen.
Verwenden Sie hier im Restaurant auch Bio-Produkte?
Ja, zum Teil setzen wir Bio ein. Das ist ein Prozess, den ich Stück für Stück weitertreibe. In manchen Dingen sind wir aber auch bewusst nicht bei Bio. Zum Beispiel beim Tierwohl geht mir Bio oft noch nicht weit genug. Einfaches EU-Bio bedeutet nicht unbedingt, dass es sich um freilaufende Schweine handelt. Da ist mir momentan das „glückliche Tier“ wichtiger. Die Schweine, die wir nutzen, dürfen den ganzen Tag frei im Wald rumlaufen, bekommen aber nicht zu 100 Prozent Bio-Futter, deshalb sind sie nicht bio-zertifiziert.
Und bei Obst und Gemüse?
Bei Obst und Gemüse versuchen wir eigentlich schon, weitestgehend Bio zu kaufen. Die Produkte sind einfach besser. Wir werden jetzt auch auf unserem eigenen Feld anbauen. Im Februar haben wir unseren Acker hier bei den „Feldfreunden“ in Essen-Kettwig bestellt, bald können wir da saisonale und regionale Kräuter und Gemüse ernten.
Für uns gehört soziale Nachhaltigkeit auch dazu.
Was ist mit Produkten, die mit Flugzeug oder Schiff kommen?
Bei uns gibt es auch Flugobst, ganz klar! Wir versuchen, nachhaltig zu leben und ein nachhaltiger Betrieb zu sein. Aber für uns gehört neben der Umwelt und dem CO2-Fußabdruck auch die soziale Nachhaltigkeit dazu. Ich bin der Meinung, in einer Welt, die wir so stark auf Globalisierung aufgebaut haben, kann man nicht von heute auf morgen sagen: „Jetzt kaufe ich keine Bananen oder Avocados mehr.“
Warum sollten wir Obst und Gemüse auch künftig aus Übersee impotieren?
Das ZDF gab mir die Gelegenheit, in die Dominikanische Republik zu fliegen und mir dort den Anbau von Bananen und Avocados aus nächster Nähe anzuschauen – bio und konventionell. Ich habe mit den Menschen gesprochen und erfahren, welche verheerenden Auswirkungen es da hat, wenn der Handel hier die Preise reduziert oder plötzlich „Bio“ nicht mehr abnehmen würde. Die Menschen sind abhängig auch von unserem Konsum. Die haben das über Jahre aufgebaut. Und deshalb finde ich es wichtig, diese Betriebe auch weiter zu unterstützen.
Sie beschäftigen sich in Ihren Filmen immer wieder mit Lebensmittelskandalen.Was war der größte Skandal für Sie?
Für mich ist nach wie vor der größte Skandal, dass Fleisch zu Billigstpreisen angeboten wird. Dass die Kunden mit Niedrigpreisen angelockt werden, finde ich pervers. Es geht um Lebewesen! Dass wir viel zu viel Fleisch produzieren und dann auch noch so viel Essen wegschmeißen, ist ein untragbarer Zustand. Es muss doch möglich sein, dass Regale in Supermärkten auch mal leer sind und es mal was nicht gibt!
Wie kommen wir aus der Billigfleischmisere?
Eine Möglichkeit wäre, per Gesetz zu regeln, dass Fleisch beispielsweise nicht mehr als Lockprodukt angeboten werden darf. Außerdem sollten artgerechte Tierhaltung und Bio-Landbau mehr subventioniert werden.
Zur Person
Nelson Müller wurde vor 43 Jahren in Ghana geboren. Er wuchs als Pflegekind in einer deutschen Familie in Stuttgart auf. Später nahm er den Nachnamen seiner Pflegeeltern an. Müller machte nach der Schule eine Ausbildung zum Koch und arbeitete dann in Sterne-Restaurants in Essen und Timmendorfer Strand. Im Jahr 2009 eröffnete er das Restaurant „Schote“ in Essen. Vor mehr als zehn Jahren erhielt er einen Stern vom Guide Michelin. Für das ZDF blickt er in seinen Filmen hinter die Kulissen der Lebensmittelindustrie, zum Beispiel im Bio-Report und im Lebensmittelreport. nelson-mueller.de
Wo kommt das Geld dafür her? Höhere Steuern auf Fleisch?
Ja, das sehe ich schon so. Ich glaube auch, dass das kommen wird. Wenn wir CO2 reduzieren wollen, dann müssen wir was gegen Massentierhaltung, gegen massive Futtermittel- und Düngerproduktion tun. Da werden wir sicherlich nicht drum herumkommen, das alles irgendwann mal höher zu besteuern oder strengere Richtlinien dafür vorzusehen.
Fleisch würde dann aber teurer ...
Ja, wenn künftig alle Tiere artgerecht gehalten und Kraftfutter und Dünger reduziert würden, wird es teurer. Wichtig ist, dass wir die Landwirte mitnehmen, dass wir ihnen helfen, nach den neuen Kriterien zu arbeiten: mit Tierwohl und umweltfreundlicher.
Wie lange dauert das noch? Wagen Sie eine Prognose?
Ich könnte mir vorstellen, dass da in den nächsten zwei Jahren etwas passieren wird. Es ist ja ein Thema, das in aller Munde ist.
Apropos „in aller Munde“: Wie sind Sie eigentlich zum Kochen gekommen?
Das war schon sehr früh. Mit fünf Jahren stand ich zum ersten Mal in
der Küche. Mein Vater stammt aus einer fränkischen Bauernhofs- und
Gastronomiefamilie. Diesen Bauernhof, diese Gastronomie gibt’s heute
noch, die macht mein Cousin Ansgar in Hambach – das „Dorfwirtshaus“. Da bin ich als Kind immer gewesen und habe meinen Tanten beim Kochen
über
die Schulter geschaut und mitgemacht. Ich war Teil dieser Gemeinschaft,
die mich mit Herzenswärme erfüllt und glücklich gemacht . Dieser
Gedanke, dieses Korn war seitdem gepflanzt. Ich glaube, mit dem
Käsekuchen aus Quark von eigenen Kühen hat alles begonnen. So was Gutes
kann man nicht kaufen.
Macht das Kochen heute – nach so vielen Jahren – auch privat noch
wirklich Spaß?
Ja, ich koche tatsächlich sehr gerne; auch zu Hause. Jetzt nicht so häufig, weil ich natürlich hier mit meinem Team im Restaurant zusammen esse. Aber wenn ich zu Hause koche, dann bringt mich das runter, ich komme auf gute Gedanken. Das ist eine ganze tolle Lebensqualität, die man sich damit schaffen kann – mit dem Selber-Kochen!
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