BIO-BÄCKER Am wichtigsten ist das Getreide. Doch für gutes Brot braucht es noch viel mehr. // Katja Niedzwezky
Eine Scheibe frisch gebackenes Roggenvollkornbrot, dazu Butter – wahres Brotglück kann so einfach sein. Natürlich sprechen wir hier nicht von Brot oder Brötchen aus dem sogenannten „Brötchenknast“ beim Discounter oder der Einheitsware im Backshop. Wir sprechen von Bauernbrot & Co. aus handwerklich arbeitenden Bäckereien, die ihren Teigen viel geben, aber auch auf viel verzichten. Bio-Bäckereien setzen dabei noch eins drauf: ökologische Rohstoffe, keine Gentechnik, mehr Vollkorn.
Bio-Bäcker arbeiten mit einem echten Naturprodukt. Denn Getreide reagiert von Jahr zu Jahr und von Feld zu Feld anders, je nach Temperatur, Niederschlag und Bodenbeschaffenheit. Das ist eine echte Herausforderung. „Irgendwas muss ja interessant bleiben am Beruf“, lacht Lutz Schütze, Inhaber der Bio-Vollkornbäckerei Schütze in Braunschweig. Er erhält alle 14 Tage frisches Getreide direkt von Bio-Bauern aus der Region. Weizen, Roggen und Dinkel mahlt er selbst, fast alle Brote werden mit Sauerteig gebacken, der in einem aufwendigen Prozess über drei Stufen geführt wird. Das kann schon mal knapp 40 Stunden dauern.
Wie vom Fließband – das gibt’s bei Bio-Bäckern nicht
Wie ein Teig reagiert, sehen Schütze und seine Bäckerkollegen im Prozess und passen dann Teigführung und Rezept an. Gleichaussehende Einheitsware liefern sie früh am Morgen trotzdem nicht aus. „Aber das akzeptieren die Kunden, weil sie wissen, wie wir produzieren“, hat Schütze festgestellt. Seine Bio-Vollkornbäckerei zählt zu den kleineren Betrieben – zwei Filialen, außerdem werden Bio-Läden in der Stadt und in der Region beliefert.
Am wichtigsten für die Bäcker ist das Getreide. Damit möglichst viele der wertvollen Inhaltsstoffe erhalten bleiben, werden Weizen, Roggen und Dinkel auch bei der Bio-Bäckerei Kaiser aus Mainz-Kastell täglich frisch gemahlen. „Das Mehl hat einen ganz anderen Geschmack und Geruch, als wenn Sie es wochenlang liegenlassen“, schwärmt Georg Dürmuth, Bäckermeister bei Kaiser. „Wenn ein guter Koch eine Gemüsesuppe macht, dann verwendet er doch auch nicht getrocknetes oder Tiefkühlgemüse.“ Bei Vollkornmehl kommt bei längerer Lagerung ein weiteres Problem dazu: Durch das Mahlen werden die ungesättigten Fette im Keimling aufgeschlossen, sind ungeschützt dem Luftsauerstoff ausgesetzt und werden ranzig.
Bio-Brot braucht viel Gespür
Dabei ist Mehl niemals gleich: Backen erfordert viel Wissen über Eigenschaften wie Feuchte- und Mineralstoffgehalt, um in der Backstube täglich die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Der Gehalt an Klebereiweiß ist wichtig bei Weizen- und Dinkelmehl. Bei Roggenmehl ist die Fallzahl bedeutender, von der sich ableiten lässt, wie hoch die natürliche Enzymaktivität ist. Zu viele Enzyme verderben das Mehl, denn sie bauen die Stärke ab und das Brot wird klitschig. „Deswegen muss Roggenmehl immer gesäuert werden, das hemmt die Enzyme“, erklärt Dürmuth. In vielen konventionellen Bäckereien kommen dabei synthetische Säuerungsmittel zum Einsatz. Das ist bei Bio weder erwünscht noch erlaubt, daher setzen die Bäcker auf traditionellen Sauerteig. Dieser entsteht, wenn Milchsäurebakterien das Mehl verstoffwechseln und dabei Milch- und Essigsäure bilden. Die Bakterien können auch spontan aus der Luft und dem Mehl in den Teig kommen, aber im professionellen Bereich verlässt sich darauf niemand. Zu groß ist die Gefahr, dass sich „Fehlsauer“ bildet und das Brot nicht schmeckt.
Sauerteig-Brot bleibt länger frisch
Die Bio-Bäckerei Kaiser setzt wie viele Bio-Bäcker auf Backferment, einen Starter für milden Sauerteig, der zum Beispiel auf Basis von Mais- und Erbsenmehl sowie Honig hergestellt sein kann. Der Honig bringt Milchsäurebakterien und auch Nektarhefen ins Spiel, die für den Start der Gärung sorgen. Für vegane Brote gibt es auch Backferment ohne Honig. „Ein guter Sauerteig ist entscheidend für ein hochwertiges Brot, er sorgt für den abgerundeten Geschmack, nicht so einseitig wie bei den synthetischen Säuerungsmitteln im konventionellen Bereich“, betont Bäckermeister Georg Dürmuth. Außerdem verbessert Sauerteig die Haltbarkeit – das Brot bleibt viel länger frisch. Je nach Brot-Typ kommt als Triebmittel auch Hefe in den Bio-Teig, zum Beispiel bei Baguette oder Rosinenbrot. Bei Teigen mit einem hohen Roggenanteil und vielen Saaten werden Hefe und Sauerteig auch mal kombiniert. Auf jeden Fall ist auch die Hefe immer Bio – und damit frei von Gentechnik und synthetischen Stoffen.
Frei von Gentechnik müssen bei Bio-Backwaren auch die technischen Enzyme sein – die meisten Bio-Bäcker verzichten aber sowieso darauf. Die Bio-Anbauverbände Bioland, Demeter und Naturland verbieten sie sogar. Es gibt Hunderte solcher Enzyme, maßgeschneidert für die Lebensmittelindustrie. Sie werden biotechnologisch produziert, häufig mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen. Beim Backen sorgen diese Amylasen, Xylanasen und Oxidasen unter anderem für gleichmäßiges Aufgehen des Teigs, zuverlässige Gasbildung beim Backen und dafür, dass der Teig nicht in den Maschinen kleben bleibt. Kurz gesagt: Enzyme machen automatisierte Produktionsprozesse möglich und sorgen dafür, dass das Brot am Ende immer gleich aussieht und gleich schmeckt. Die Verbraucher erfahren davon nichts, denn als Verarbeitungshilfsstoffe müssen Enzyme nicht deklariert werden. Sie werden zwar durch das Backen in der Regel inaktiviert, sind aber durchaus noch im Brot enthalten.
Auch das Mehlbehandlungsmittel L-Cystein (E 920) muss nicht auf die Zutatenliste. Es kam vor einigen Jahren zu einiger Berühmtheit, weil es früher auch aus Menschenhaar gewonnen wurde. Heute sind in der EU dafür nur noch Schweineborsten erlaubt. Meist aber stammt E 920 aus den Anlagen der Biotech-Konzerne und wird dort mit Hilfe der Gentechnik gewonnen. Für Bio-Produkte ist der Stoff nicht erlaubt. Das gilt auch für Dutzende weiterer Zusatz- und Hilfsstoffe, die für das konventionelle Backgewerbe zugelassen sind. Sie machen den Teig geschmeidiger, das Brot haltbarer – und sie müssen wie die Enzyme auf dem Produkt nur selten genannt werden. Weil sie im Endprodukt „keine technologische Wirkung mehr entfalten“. Ein Beispiel ist die in konventionellen Großbäckereien allgegenwärtige Ascorbinsäure. Sie macht das Mehl besser lagerfähig und festigt im Teig die Kleberstruktur.
Bio-Brot ist gut für die Umwelt
Neben den Rohstoffen und dem Triebmittel formt die Teigführung den Charakter eines Brotes oder Brötchens. Das moderne Stichwort dazu ist „Slow Baking“, im Bio-Bereich eine seit jeher gelebte Praxis. So haben die auf Steinplatten gebackenen Parisettes bei Kaiser zum Beispiel ein „Vorleben“ als Vorteig über 24 Stunden und weitere 24 Stunden als Teig. „Das ergibt ein sehr aromatisches Baguette mit einer sehr guten Frischhaltung“, erklärt Bäckermeister Dürmuth. Überhaupt lege die Bäckerei Wert darauf, möglichst naturbelassen zu arbeiten und keine Produkte zu benutzen, die von der chemischen Industrie bereitgestellt werden. Ascorbinsäure werde schließlich nicht aus der Zitrone gepresst. Wenn es die Teigstruktur mal erforderlich macht, greift Dürmuth zur Acerolakirsche. „Das ist die Frucht mit dem höchsten natürlichen Vitamin-C-Gehalt. Und das setze ich gezielt und wohldosiert bestimmten Produkten zu und nicht über das gesamte Sortiment hinweg.“
Mindestens genauso wichtig wie das Handwerk sei die Herkunft der Rohstoffe: „Da steckt im Bio-Getreide doch eine ganz andere Geschichte als im konventionellen Getreide, Stichwort Spritzmittelrückstände und synthetischer Dünger“, so Dürmuth. „Ich gehe auch nicht einfach auf den Weltmarkt und kaufe irgendein super backfähiges Getreide von irgendwoher. Das ist nicht unsere Philosophie. Wir wollen Getreide aus der Region beziehen, unabhängig von der Witterung, wir wollen mit den Bio-Bauern zusammenarbeiten, die sich Gedanken um Biodiversität und Bodenfruchthaltbarkeit machen und nicht die Giftspritze auspacken, wenn eine Distel auftaucht auf ihrem Feld.“
Fast täglich schließt eine Bäckerei
Es gibt auch konventionelle Bäckereien, die Wert auf Handwerkskunst legen, betont Bernd Kütscher, Bäckermeister und Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim. Doch während früher selbstständige Familienbetriebe die Bäckerlandschaft prägten, wird ihre Zahl seit Jahren kleiner. Fast täglich schließt ein Betrieb. Trotzdem wächst die Zahl der Standorte, weil viele Bäcker heute mehr Filialen haben und Großbäckereien wie Kamps oder Steinecke sowie Backshops allgegenwärtig sind.
Bernd Kütscher ist deshalb unermüdlich unterwegs für den Erhalt von Vielfalt und Tradition. Sein Wissen veröffentlicht er im Blog www.brotexperte.de. Nicht zu den Bäckern zählen für Kütscher und die Bäckerinnungen „Aufbäcker“ wie Tankstellen und Backshops und auch nicht die „Brötchenknäste“ der Supermärkte, denn hier arbeiten keine Bäckermeister. Die Mitarbeiter erhitzen in Fabriken vorgebackene Teiglinge, die tiefgekühlt durch die halbe EU gekarrt werden. „Die Brötchen bei Aldi und Lidl sind ja nicht wirklich frisch gebacken, sondern sind in der Regel vor vielen Wochen zu 80 bis 90 Prozent vorgebacken aus einer Riesenmaschine gefallen, wurden eingefroren, in Plastik gepackt und in den Container gesteckt“, so Kütscher.
Auch bei der Bio-Bäckerei Kaiser werden Brötchen in den Läden frisch gebacken, aber das Prinzip ist ein ganz anderes als im Backshop: Die Brötchen werden wie eh und je handwerklich produziert, das dauert je nach Sorte bis zu 48 Stunden. Dann werden sie langsam gekühlt, damit die Feuchtigkeit im Teig bleibt, und dann nicht vorgebacken, sondern frisch zum Backen in die Läden gebracht. Die Kunden profitieren von frischen, duftenden und oft noch warmen Brötchen, die aber nicht schon nach drei Stunden trocken und fade werden wie bei der Aufback-Konkurrenz. Auch wahres Brötchenglück kann so einfach sein.
Deutsche lieben Brot
85 Kilogramm Brot im Jahr isst jeder Deutsche im Schnitt. Ein Drittel davon ist Mischbrot, ein Fünftel Toastbrot. Vollkorn- und Schwarzbrot kommen auf zehn Prozent.
STUDIE
Teig, der lange geht, ist verträglicher
Wer sensibel auf Weizen & Co. reagiert, verträgt oft Brot aus „Urgetreide“ wie Dinkel, Kamut, Emmer oder Einkorn. Auch traditionelle Handwerkskunst hilft: Forscher der Universität Hohenheim haben herausgefunden, dass eine längere Gehzeit beim Teig die Verträglichkeit deutlich erhöht und Mineralstoffe wie Eisen und Zink besser verfügbar macht. Konventionelle Großbäckereien backen ihre Teiglinge allerdings meist schon nach einer Stunde Gehzeit, genau dann, wenn nach den Erkenntnissen der Universität die Menge der kritischen Inhaltsstoffe im Teig am größten ist.
Studie: Teig, der lange geht, ist verträglicher
Wer sensibel auf Weizen & Co. reagiert, verträgt oft Brot aus „Urgetreide“ wie Dinkel, Kamut, Emmer oder Einkorn. Auch traditionelle Handwerkskunst hilft: Forscher der Universität Hohenheim haben herausgefunden, dass eine längere Gehzeit beim Teig die Verträglichkeit deutlich erhöht und Mineralstoffe wie Eisen und Zink besser verfügbar macht. Konventionelle Großbäckereien backen ihre Teiglinge allerdings meist schon nach einer Stunde Gehzeit, genau dann, wenn nach den Erkenntnissen der Universität die Menge der kritischen Inhaltsstoffe im Teig am größten ist.
Interview: „Gutes Brot geht nicht schnell-schnell“
Was ist für Sie ein gutes Brot?
Es muss supergut schmecken und gut tun. Es muss eine gute Kruste haben, eine gute Krume, ein tolles Aroma. Sie brauchen Zeit für gutes Brot, das geht nicht schnell-schnell. Wenn das Brot eine eigene Identität hat, einen Charakter, dann ist es gelungen. Wenn sie ein Brot essen und lange im Mund halten, dann merken sie, dass sich der Geschmack entfaltet. Das Problem ist: Die Geschmacksempfindung entwickelt sich in der Kindheit, und viele haben gar keine Orientierung mehr, wie gutes Brot schmecken könnte.
Warum sind Bio-Bäcker besonders gefordert?
Konventionelle Bäcker verwenden standardisierte Mehle. Die Mühlen mischen verschiedene Sorten und Chargen so zusammen, setzen Ascorbinsäure zu und verschiedenste Enzyme, bis eine standardisierte Qualität erreicht ist. Die Möglichkeit künstlicher Zusätze haben und wollen wir nicht. Bio-Getreide ist immer anders, auch bei derselben Weizensorte vom selben Bauern kann zum Beispiel das Klebereiweiß unterschiedlich sein. Sie müssen das im Prozess mit ihren Sinnen erfassen und die Teigführung anpassen. Das braucht viel Erfahrung.
Was unterscheidet Ihre Bäckerei von Backfabriken?
In großen Bäckereien sind Bäcker kleine Ameisen, das entspricht nicht unserer Philosophie. Der Beruf fordert mich, das heißt, ich lerne permanent. Im Qualitätsmeeting probieren und diskutieren unsere Bäcker die Qualität der Produkte tagesaktuell. Unser Unternehmen bietet auch Raum für soziale Prozesse, damit wir miteinander lernen und wachsen können. Unsere Idee ist, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gute Löhne und den Landwirten faire Preise zu zahlen. Jahrelange und vertrauensvolle Zusammenarbeit funktioniert nicht, wenn man nur Mindestpreise zahlt. All das gehört zum Brotbacken, technisch und menschlich, damit es gelingt.
Kleine Getreidekunde: Einkorn, Emmer & Co.
• Dinkel stammt vom Emmer ab. Da er ärmere Böden verträgt und robust ist, hat er im Bio-Landbau große Bedeutung. Genießer schätzen seinen feinen, nussigen Geschmack.
• Emmer (Zweikorn) gedeiht auf trockenen und mageren Böden und ist wenig krankheitsanfällig. Mit Emmer hergestelltes Brot hat eine charakteristische dunkle Färbung und ein würziges Aroma.
• Einkorn ist robust und anspruchslos. Wegen des hohen Carotinoid-Gehaltes ist das Mehl goldgelb, das Aroma mild-nussig. Im Einkorn stecken viele Proteine sowie Magnesium, Zink und Eisen.
• Gerste enthält wenig Gluten und wird daher nur selten zum Backen verwendet, häufiger für Bier und Whiskey, für Graupen und Malzkaffee.
• Hafer hat mehr Fett, Eiweiß, Mineralstoffe und B-Vitamine als andere Getreide. Da Hafer kein Klebereiweiß enthält, gibt es kein pures Haferbrot, aber er gibt Mischbroten eine nussige Note. Besondere Inhaltsstoffe: lösliche Ballaststoffe, die den Cholesterinspiegel senken können.
• Kamut ist mit dem Hartweizen verwandt, verfügt aber über mehr Eiweiß, Vitamine und Mineralien. Korn und Mehl sind goldgelb. Kamutbrot schmeckt mild und nussig.
• Roggen war in Deutschland früher Brotgetreide Nummer eins, wurde aber vom Weizen verdrängt. Roggen enthält zwar Gluten, aufgrund der besonderen Inhaltsstoffe ist beim Brotbacken Säuerung trotzdem nötig. Roggenbrot hält länger frisch.
• Triticale ist eine Kreuzung aus weiblichem Weizen und männlichem Roggen. Es liegt auf Platz vier der am häufigsten angebauten Getreide in Deutschland und wird in der Mischung mit anderen Getreiden zum Brotbacken genutzt.
• Weizen ist neben Reis die wichtigste Getreideart für die menschliche Ernährung. Weichweizen wird hauptsächlich zum Backen und Bierbrauen genutzt, Hartweizen für Pasta und Gebäck. Weizen enthält viel Klebereiweiß (Gluten).
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