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Mehr Bio-Landbau für Deutschland !

In zehn Jahren sollen in Deutschland 20 Prozent der Äcker und Wiesen biologisch bewirtschaftet werden. Wie kann das gelingen? Im Moment sind wir davon noch weit entfernt.

Bio in Deutschland ist keine Erfolgsgeschichte – obwohl in den vergangenen Jahren immer mehr Bauern auf ökologischen Landbau umgestellt und immer mehr Menschen Bio gekauft haben. Denn ein wichtiges Ziel wurde bisher nicht erreicht ...

So viel Bio will Deutschland

Vielleicht erinnert ihr euch noch? 2001 gab die damalige grüne Bundesministerin für Landwirtschaft Renate Künast das Ziel aus, „den ökologischen Landbau von jetzt 3,2 Prozent der Fläche auf 20 Prozent in zehn Jahren auszudehnen“. Denn der Öko-Landbau galt der Ministerin als nachhaltigste Form der Landwirtschaft. Das Ziel wurde jedoch deutlich verfehlt – selbst Ende 2019 lagen wir mit zehn Prozent Bio-Äcker deutlich darunter. Doch es gibt einen neuen Anlauf, festgelegt im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Das Ziel 20 Prozent Öko-Äcker und -Wiesen soll jetzt bis 2030 erreicht werden. Kann es diesmal klappen?

Warum Bauern auf Bio umstellen

Dreh- und Angelpunkt sind die Bauern. Von derzeit rund 230 000 konventionellen Bauern müssten nochmals rund 35 000 auf Bio umstellen. Der Schritt ist für viele nicht einfach. „Umstellung findet zuerst im Kopf statt“, sagt Ewald Pieringer. Er ist Berater beim Bio-Verband Naturland und begleitet seit 30 Jahren Bauern auf ihrem Weg in die Bio-Landwirtschaft. „Den Anfang machen oft Signale aus dem Umfeld“, erklärt Pieringer an einem Beispiel: „Sie erzählen dem Nachbarn im Biergarten, dass sie Bauer sind; plötzlich bricht das Gespräch ab und er dreht sich weg.“

Das schlechte Image als Umweltzerstörer, aber auch die gesellschaftliche Wertschätzung für Bio bringe viele Landwirte zum Nachdenken. „Sie spüren, dass sich etwas ändern muss“, so Pieringer. Oft kommen Landwirte in dieser Phase zu ihm und lassen sich, beim ersten Mal kostenlos, beraten. „Viele Betriebe gehen jahrelang mit der Idee einer Umstellung schwanger“, erzählt Pieringer. „Man darf das nicht unterschätzen, so eine Umstellung ist ein wahnsinniger Kraftakt für den Betrieb und auch für die Menschen, denn sie müssen eingefahrene Gleise verlassen.“

Darum brauchen Bauern klare Signale

Damit sie schließlich umstellen, sei eines entscheidend: „Die Vermarktung muss gesichert sein. Es braucht einen verlässlichen Abnehmer.“ Schließlich hänge die Existenz der Bauern daran. Ein Teil von Pieringers Arbeit besteht deshalb darin, Landwirte und ihre Abnehmer zusammenzubringen und Partnerschaften zu knüpfen. Der Berater erinnert daran, als vor fünf Jahren die Bio-Molkereien neue Lieferanten suchten und viele Bauern die Chance ergriffen und umstellten. Die letzten zwei Jahre war Pause, weil der Markt die zusätzliche Bio-Milchmenge erst verkraften musste. Doch da die Nachfrage weiter konstant wächst, fangen jetzt die ersten Molkereien wieder an, Milchbauern zu suchen, die umstellen wollen.

Warum „mehr bio kaufen“ nicht reicht

Wenn wir 20 Prozent Bio-Äcker erreichen wollen, müssen wir also mehr Bio kaufen. Doch das alleine reicht nicht. Das zeigt ein Blick zurück. Von Anfang 2011 bis Ende 2014 wuchs der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln um fast ein Drittel, die deutsche Bio-Fläche dagegen nahm aber nur um 5,7 Prozent zu. Es waren bleierne Jahre für den Öko-Landbau in Deutschland. Der wichtigste Grund dafür: In der EU herrschte jahrelang Unklarheit über die zukünftige Agrarförderung. Die deutschen Bundesländer froren deshalb ihre Förderprogramme ein, kürzten Prämien und wollten keine längerfristige Unterstützung mehr zusagen. Die Umstellung auf Öko-Landbau aber dauert drei Jahre. Eine Zeit, in welcher der Landwirt investieren muss, weniger erntet, aber seine Produkte nur bedingt als Bio vermarkten kann.

Welche Rolle spielt die Öko-Förderung?

„Natürlich hat die Förderung eine große Bedeutung“, sagt Berater Pieringer. Dazu gehöre aber auch Verlässlichkeit und ein Rahmen, der Sicherheit gibt. Erst als 2014 der EU-Etat für die nächsten Jahre klar war und die Länder ihre Förderung teils deutlich aufstockten, kam auch die Umstellung wieder in Schwung. „Eine Höhe der Förderung signalisiert auch, dass die Gesellschaft Bio-Landbau will. Es muss für den Landwirt spürbar sein, dass seine Leistungen honoriert werden“, erklärt Pieringer den Effekt. Die Öko-Prämien sind unterschiedlich hoch, je nachdem, ob es sich um Grünland, Ackerflächen, Gemüseanbau oder Dauerkulturen wie Obst und Wein handelt. Meist gibt es in den ersten beiden Jahren der Umstellung mehr Geld als später.


Die Förderung ist von großer Bedeutung

Ewald Pieringer, Naturland-Berater

Der Bund verteilt dafür Fördermittel der EU und zusätzlich eigene Gelder an die Bundesländer, die diese noch weiter aufstocken können. So kommt es, dass die Bundesländer ihre Bauern unterschiedlich fördern. Stellt ein Ackerbauer um, so erhält er in Brandenburg 209 Euro je Hektar und in Hessen 260 Euro. Das Land Niedersachsen würde ihm in den ersten beiden Jahren 403 Euro und danach 273 Euro je Hektar zahlen. Insgesamt, so eine Studie im Auftrag von Greenpeace, haben EU, Bund und Länder 2018 die Bio-Landwirte mit 344 Millionen Euro unterstützt. Diese Summe müsste der Studie zufolge bis 2030 kontinuierlich auf 820 Millionen Euro aufgestockt werden, um bei gleichbleibender Förderung 20 Prozent Öko-Landbau bezahlen zu können. Bei einem Ziel von 25 Prozent, wie es die EU-Kommission in ihrer Farm-to-Fork-Strategie für 2030 ausgegeben hat, wäre über eine Milliarde Euro notwendig.

Warum der Öko-Landbau mehr Forschung braucht

Neben den Prämien für Landwirte haben Bund und Länder noch weitere Möglichkeiten den Bio-Landbau voranzubringen. So fördert etwa der Bund seit 2002 Forschung mit dem Bundesprogramm Öko-Landbau (BÖL). Im ersten Jahr standen dafür 34,8 Millionen Euro zur Verfügung, im zweiten Jahr 36 Millionen Euro. 2021 sollen es 34 Millionen Euro sein, die sich der Öko-Landbau mittlerweile allerdings mit etlichen Projekten der konventionellen Landwirtschaft teilen muss. Das Förderprogramm heißt deshalb auch nicht mehr BÖL, sondern BÖLN – Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft.

Der Bio-Dachverband BÖLW ist mit der Förderpraxis nicht zufrieden. Er kritisiert, dass die Bio-Forschung nur zwei Prozent der Forschungsgelder im Agrarbereich bekommt. „Wer 20 Prozent Öko will, muss entsprechend in Forschung investieren und die Innovationskraft des Sektors stärken“, sagt BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig. Etwa um natürliche Mittel gegen Schädlinge oder Pilzkrankheiten zu entwickeln oder neue Pflanzensorten zu züchten, die besser an die Bedingungen des Öko-Landbaus angepasst sind. Was tatsächlich passiert, zeigen zwei Zahlen: Über das BÖLN werden derzeit 13 Projekte der ökologischen Pflanzenzüchtung gefördert. Gesamtsumme 2,8 Millionen Euro. 30 Millionen Euro hingegen investierte die Bundesregierung nach eigenen Angaben in den letzten fünf Jahren in Forschungen, bei denen Pflanzen mit neuen gentechnischen Verfahren verändert wurden.

So will die Regierung Bio voranbringen

Den Bio-Sektor stärken soll die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZÖL), die das Bundeslandwirtschaftsministerium 2017 vorstellte. Sie sieht 24 Maßnahmen vor, die bis 2022 umgesetzt sein sollen. So soll stärker zu alternativen Eiweißfuttermitteln wie Lupinen geforscht werden, damit die Bio-Landwirte weniger Soja importieren müssen. Das ZÖL will die Umstellungsberatung für Bauern ausbauen und mehr Öko-Landbau in die berufliche Bildung von Landwirten integrieren. „Das ist ein breites Maßnahmenpaket und wir befinden uns bei der Umsetzung auf einem guten Weg“, sagt Jürn Sanders. Er forscht am bundeseigenen Thünen-Institut zu wirtschaftlichen Aspekten des Öko-Landbaus und hat die ZÖL mit erarbeitet. Mit der Strategie alleine lasse sich das 20-Prozent-Ziel jedoch nicht erreichen, betont er: „Das ist eine richtige Kraftanstrengung und dafür braucht es das Engagement aller Akteure.“ In der Politik seien das neben dem Bund die EU sowie die Länder und Kommunen. Hinzu kämen aber auch Verarbeitung, Handel und viele andere gesellschaftliche Kräfte. „Ich wünsche mir eine Charta, in der sich alle Akteure auf die 20 Prozent Bio verpflichten und ihre Schritte festlegen, wie sie dahin kommen wollen“, sagt Sanders.

Warum Kantinen & Mensen für Bio wichtig sind

Im Rahmen des ZÖL hat das Ministerium mit „BioBitte.“ eine Kampagne gestartet, die mehr Bio in die öffentlichen Küchen bringen soll. Denn in Kantinen, Mensen und ähnlichen Einrichtungen spielt Bio bisher kaum eine Rolle. Ein großes Potenzial also, denn hier geht es um riesige Mengen Lebensmittel. Und die öffentliche Hand könnte in ihren Einrichtungen hier beispielhaft vorangehen.

Das tut sie in zahlreichen Städten: Nürnberg etwa will den Bio-Anteil bei den Schulessen bis 2022 auf 50 Prozent und bis 2026 auf 75 Prozent erhöhen. Bremen hat sich vorgenommen, Schulen und Kitas bis 2022 auf 100 Prozent Bio umzustellen. Die Krankenhäuser sollen bis 2025 zumindest 20 Prozent Bio erreichen. Berlin macht den Caterern, die Schulessen liefern, konkrete Vorgaben, was sie in Bio-Qualität anbieten müssen. Zudem investiert die Stadt 4,5 Millionen Euro in die „Kantine Zukunft“, ein Projekt, das Kantinenköchen die Bio-Praxis schmackhaft machen soll. Mehrere Bundesländer wollen zudem mit Aktionsplänen Bio voranbringen. Niedersachsen hat sich 15 Prozent Bio bis 2030 vorgenommen, Bayern 30 Prozent und Baden-Württemberg sogar 30 bis 40 Prozent. Die Zahlen spiegeln wider, dass der Bio-Anbau unterschiedlich verteilt ist. In Baden-Württemberg lag der Bio-Anteil Ende 2019 bei 13,2 Prozent, in Niedersachsen erst bei 4,7 Prozent. Ein wichtiges Element vieler Aktionspläne sind Öko-Modellregionen. Dort fördern vom Land bezahlte Manager die regionale Bio-Vermarktung und vernetzen Akteure. Dass etwa die Bio-Firma Barnhouse ihren Bedarf an Hafer und Dinkel jetzt regional decken kann, ist ein Ergebnis dieser Arbeit.

Mehr hauptamtliche „Kümmerer“ wünscht sich Ewald Pieringer auch in der Beratung. Er organisiert für Naturland regionale Gruppentreffen, bei denen Bio-Landwirte Erfahrungen austauschen. Umstellungswillige konventionelle Landwirte sind dabei immer willkommen und „oft sehr erstaunt, dass dabei so offen und ehrlich geredet wird“, sagt Pieringer. „Diese Begleitung und der Erfahrungsaustausch, das schafft Vertrauen. Und das braucht es zum Umstellen.“

Sind 20 Prozent Bio bis 2030 zu schaffen?

Ob das 20-Prozent-Ziel in den nächsten zehn Jahren erreicht wird, wird sich zeigen. Jan Plagge, der Präsident des Bio-Anbauverbands Bioland, jedenfalls ist zuversichtlich. „Die hohe Umstellungsbereitschaft der Landwirte und der stetig wachsende Umsatz bei Bio-Produkten zeigt, dass die Landwirte, die Händler und die Verbraucher längst bereit sind, die notwendigen Veränderungen anzupacken“, sagt Plagge. Zwar hätten sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und ihre EU-Kollegen für die nächsten Jahre auf eine gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) geeinigt, die ein „Rückschritt für den Umwelt- und Klimaschutz“ sei. Doch sie lasse den Mitgliedsstaaten genug Flexibilität, um in den Umbau Richtung Bio zu investieren und die gesellschaftlichen Leistungen des Öko-Landbaus angemessen zu honorieren, sagt Plagge und schränkt ein: „Wenn der politische Wille dazu da ist.“

Zahlen & Fakten rund um Bio

  • Ende 2019 bewirtschafteten 34 110 Bio-Betriebe rund 1,6 Millionen Hektar Fläche – und damit 9,7 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche.
  • Um bis Ende 2030 die 20 Prozent zu erreichen, müssten noch gut 1,7 Millionen Hektar hinzukommen.
  • Dazu wäre jedes Jahr ein Zuwachs von 6,8 Prozent nötig.
  • 2019 gaben die Deutschen 12 Milliarden Euro für Bio-Lebensmittel aus, damit hatte Bio einen Anteil von 5,7 Prozent am gesamten Lebensmittelmarkt. Ersten Analysen zufolge dürfte dieser Anteil 2020 deutlich gestiegen sein. Wächst der Markt – wie im Moment – schneller als der Anbau, müssen mehr Bio-Lebensmittel aus dem Ausland importiert werden, um die Nachfrage zu decken.

Mehr zum Thema

Der Bio-Dachverband BÖLW liefert Infos rund um Bio.

Das öffentlich geförderte Portal oekolandbau.de informiert über Bio-Landwirtschaft, Siegel, Bio im Alltag und vieles mehr

Unter biostaedte.de sind 20 Städte aufgelistet, die sich für mehr Bio einsetzen

Das Thünen-Institut des Bundes forscht u.a. zu Öko-Landbau.

Buchtipp: Nick, Ophelia: Neue Bauern braucht das Land – Ein Plädoyer für gute Lebensmittel aus einer gesunden Umwelt. Oekom Verlag, 2019, 192 Seiten, 20 €

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