Interview

„Die Natur kann viel mehr“

Gentechnik oder Vielfalt auf dem Acker? Was ist die Antwort auf die Herausforderungen der Klimakrise? Ein Gespräch mit Maria Renate Finckh, Professorin an der Universität Kassel-Witzenhausen.

Maria Renate Finckh forscht und lehrt zum Thema Pflanzenschutz und ist als Expertin gefragt, zum Beispiel im Landwirtschaftsausschuss der Bundesregierung. Dort hat sie den Vorschlag der EU-Kommission, die Verfahren der neuen Gentechnik (NGT) vom Gentechnikrecht auszunehmen, als „fatalen Fehler“ bezeichnet.

Halten Sie die neuen Gentechniken wie Crispr/Cas für gefährlich?
Ich glaube, an der Einschätzung, dass die neuen Gentechniken weniger dramatisch sind als die alten, ist etwas dran. Aber: Es ist immer noch Gentechnik und es gibt immer noch sehr viel Unbekanntes. Wir dürfen einfach nicht vergessen, dass Veränderungen an einer Stelle im Genom auch Auswirkungen an anderer Stelle haben können.

Welche Bedenken haben Sie?
Mein Einwand ist grundsätzlicher. Die Gentechnik geht davon aus, dass die Eigenschaften einer Pflanze – zum Beispiel wie gut sie Trockenheit oder Nässe aushält – allein durch die Gene beeinflusst werden. Ich sage, die Natur kann noch viel mehr. Denn es ist komplexer. Es kommt auf das Zusammenspiel von Mikroorganismen und Makroorganismen an. Also: Wie beeinflussen Pilze und Bakterien im Boden Pflanzen und umgekehrt? Diese Mikroorganismen sind im Grunde das Immunsystem der Pflanzen und schützen sie zum Beispiel vor Hitzestress.

„Vielfalt auf dem Feld ist wie eine Versicherung“

Prof. Maria Renate Finckh, Universität Kassel-Witzenhausen

Die Klimakrise stellt die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Was raten Sie Landwirt:innen?
Es gibt ein uraltes Gesetz: Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen. Für die Landwirtschaft gilt dasselbe. Wir sollten verschiedene Pflanzen gemeinsam auf dem Feld wachsen lassen. Denn das ist das, was die Natur auch macht. Vielfalt auf dem Feld ist wie eine Versicherung. Krankheitserreger, die auf eine Art oder Sorte spezialisiert sind, können nicht alle Pflanzen im Bestand angreifen. Das heißt: Wenn so ein Erreger kommt, verliert man nicht die gesamte Ernte. Außerdem helfen sich die Pflanzen gegenseitig. Sie beschatten sich, versorgen sich mit Nährstoffen. Kommt es zu einem Selektionsevent, zum Beispiel durch Dürre, dann überleben bestimmte Pflanzen zwar nicht. Doch es sterben nicht gleich alle aus. Die Biodiversität bleibt erhalten.

Also Vielfalt statt Gentechnik?
Der erste Weg ist Vielfalt – oberirdisch wie unterirdisch. Die Pflanzen bringen organische Säuren und Zucker in den Boden. Die Mikroorganismen machen mineralische Nährstoffe aus Steinen für die Pflanzen verfügbar. Das ist ein Zusammenspiel. Das müssen wir fördern. Und dazu brauchen wir kleinflächige und vielfältige Felder. Damit holen wir auch mehr Ertrag vom Acker als von Riesenflächen. Gentechnik hingegen fördert grundsätzlich einheitliche Felder mit einheitlichen Pflanzen. Wir gefährden damit unsere genetischen Ressourcen und die Biodiversität. Und es gibt das Problem der Patente.

Warum sind Patente ein Problem?
Wenn das Patentrecht klar und deutlich regeln würde, dass die Methode, nicht aber die Organismen – also die Pflanzen – patentierbar sind, dann könnte ich die neuen Gentechniken als Werkzeug diskutieren. Im Moment ist es aber so, dass eine kleine Veränderung im Organismus gemacht wird und die ganze Pflanze patentiert wird. Wenn die Pflanzen sich auskreuzen und andere Felder damit verunreinigen, dann heißt es: „Da haben wir ein Patent drauf, du musst bezahlen“. Die größte Gefahr der neuen Gentechniken sehe ich darin, dass früher oder später jede Pflanze als patentiert gilt. Das ist unsäglich, denn es gefährdet landwirtschaftliche Betriebe, die auf Gentechnik verzichten wollen.

Wie könnten sich Bio-Bauern und -Bäuerinnen davor schützen?
Es muss verhindert werden, dass Patente so wie geplant vergeben werden. Vor Einkreuzungen können nur ausreichende Abstandsregeln schützen.

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