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„Lass doch mal den Weizen weg“

Habt ihr vielleicht eine Weizenunverträglichkeit? Bei unspezifischen Symptomen ist der Rat, auf Weizen zu verzichten, nicht weit. Macht Weizen wirklich dick und krank?

„Lass doch den Weizen weg“, dieser Rat wird von Freunden und Bekannten, in Gesundheits-Blogs und von Heilpraktikern oft gegeben. Sei es, weil der Bauch nach dem Essen rumort, Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Unkonzentriertheit das Leben schwer machen, das Gewicht zu hoch ist oder man sich insgesamt unwohl fühlt. Spätestens aber seit Erscheinen des Spiegel-Bestsellers „Weizenwampe“ des US-Autors William Davis ist das Getreide nicht mehr in aller Munde. Davis behauptet, Weizen verursache nicht nur die Darmerkrankung Zöliakie, sondern mache dick und fördere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch als Verursacher von Diabetes, vorzeitiger Alterung, Sucht, Haut- und Hirnschäden wird er verantwortlich gemacht.

Ist Weizen schlecht für die Gesundheit?

„Die Menschheit müsste schon zugrunde gegangen sein, wenn alles stimmt, was über Weizen geschrieben wird“, sagt Dr. Petra Kühne vom Arbeitskreis für Ernährungsforschung in Bad Vilbel. Weizen sei weltweit eines der wichtigsten Getreide. Dass er beim Übergewicht eine Rolle spielt, hält die Ernährungswissenschaftlerin aber für möglich. Wenn auch nur indirekt. Heute kommen oft Snacks und Süßigkeiten aus Weizen auf den Teller – oder werden als Fastfood unterwegs gegessen. Sie sind oft zucker- und fettreich, ballaststoffarm und können so ihren Teil zur Überernährung beitragen.

Hilft eine glutenfreie Ernährung beim Abnehmen?

Dass Weizen selbst dick macht oder umgekehrt, der Verzicht vor Übergewicht schützt, das kann auch Professor Wolfgang Holtmeier, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Diabetologie und Innere Medizin am Krankenhaus Porz am Rhein der Universität Köln nicht bestätigen. „Es gibt keinerlei Evidenz dafür, dass eine glutenfreie Diät beim Abnehmen hilft oder Übergewicht vorbeugt – so wie es manche Diät-Coaches oder Prominente in den Medien verkünden.“ Auch kann er der Aussage nicht zustimmen, Weizen fördere Herz-Kreislauf-Krankheiten: Hierzulande habe sich die Herzinfarktrate in den vergangenen Jahren fast halbiert – trotz steigenden Getreideverzehrs.

Diagnose: Zöliakie und Weizenallergie

Selbst wenn Weizen nicht dick und das Herz krank macht, wie der US-Mediziner Davis behauptet, so ist es doch eine Tatsache, dass viele Menschen Weizen nicht vertragen. Doch eine pauschale Verurteilung hilft nicht, man muss unterscheiden. Anerkannt ist die Zöliakie. Bei dieser Krankheit kann der Dünndarm das Gluten aus Getreide, einen Eiweißstoff, nicht verarbeiten. Schon kleinste Mengen werden für die Betroffenen gefährlich. Die Krankheit wird vererbt, hängt aber auch damit zusammen, wie wir uns ernähren. Eine sehr glutenreiche Ernährung kann sie fördern, ebenso häufige Darminfekte, die den Darm schädigen und somit empfindlich machen. Wer von Zöliakie betroffen ist, muss ein Leben lang auf Lebensmittel verzichten, die Gluten enthalten. Also auch auf Roggen, Gerste, Dinkel, Einkorn und Emmer. Unter Zöliakie leidet rund ein Prozent der Bevölkerung.

Etwas anderes ist eine Weizenallergie. Einer von 1000 Menschen hat sie. Bei Betroffenen reagiert das Immunsystem überschießend auf verschiedene Weizen-Eiweiße, unter anderem auf Gluten. Das Krankheitsbild: typisch allergische Reaktionen wie Schwellungen in Mund und Nase, tränenden, juckenden Augen sowie Hautausschlägen. Auch Magen-Krämpfe, Blähungen, Durchfall und Übelkeit können die Folge sein. Nur ein Arzt kann entscheiden, ob es sich um eine Zöliakie oder eine Weizenallergie handelt.

Diese beiden Krankheiten sind nichts Neues und erklären auch nicht den Hype bei glutenfreien Lebensmitteln. Betrug der Umsatz mit glutenfreien Produkten vor wenigen Jahren noch 39 Millionen Euro, so lag er nach Angaben des Marktforschers Nielsen 2013 schon bei 60 Millionen Euro. Produkte ohne Gluten, ob Brot, Kuchen, Kekse, Pizzateig oder Pasta, werden vermutlich also auch von denjenigen gekauft, die an keiner der bekannten Erkrankungen, eben Zöliakie und Weizenallergie, leiden. Sie fühlen sich ohne Gluten einfach wohler und besser. Und das ist nach allem, was man heute weiß, auch keine Einbildung.

Auf einen Blick: Welche Weizen-Krankheiten gibt es?

  • Zöliakie ist eine angeborene Erkrankung, die nach dem Verzehr von Gluten auftritt. Es kommt zu einer Entzündung der Darmzotten mit starken Durchfällen, Blähungen und Bauchschmerzen. Mit der Zeit bilden sich die Darmzotten zurück, über die Nährstoffe und Vitamine aufgenommen werden. Die Folge: schwere Mangelerscheinungen. Betroffene müssen Gluten strikt meiden. Diagnose: durch Antikörper-Test und Dünndarm-Biopsie.
  • Die Weizenallergie ist eine Reaktion des Immunsystems auf die Bestandteile Albumin, Globulin und Gluten. Nach dem Verzehr kann es zu Magen-Darm-Beschwerden, Hautausschlägen und Augentränen kommen. Eingeatmeter Mehlstaub kann zu Ekzemen und Asthma führen. Betroffene müssen Weizen und andere glutenhaltige Getreide meiden. Diagnose: durch Pricktest und Führen eines Ernährungstagebuchs.
  • Die Weizensensitivität ist eine Unverträglichkeit gegen Inhaltsstoffe des Weizens wie Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI). Sie macht sich in Form von Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall bemerkbar, aber auch durch Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen. Einen Weizensensitivitätstest gibt es noch nicht. Die Diagnose erfolgt durch Ausschlussverfahren: dem Fehlen einer Zöliakie und Weizenallergie.
  • WDEIA, die Weizen abhängige anstrengungsinduzierte Anaphylaxie, ist eine allergische Reaktion auf Omega-5 Gliadin, die nur in Kombination mit körperlicher Anstrengung wie Joggen oder schnellem Radfahren auftritt. Zwei bis drei Std. nach dem Essen kommt es bei körperlicher Betätigung zu Hautausschlag, Magen-, Darm- oder Atembeschwerden. Nicht vertragen werden Weizen, Dinkel, teils auch Roggen und Gerste. Diagnose: Allergietest, Führen eines Ernährungstagebuchs.

Seit einigen Jahren kommen in die Sprechstunde von Professor Holtmeier Patienten, die über Symptome klagen, die denen der Zöliakie ähneln. Bei der Untersuchung der Darmschleimhaut zeigt sich aber, dass diese gesund, also nicht entzündet und somit empfindlich ist. Dennoch klagen die Patienten nach dem Verzehr von Nudeln, Toastbrot und Kuchen aus Weizen über Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Kopfschmerzen oder Muskelbeschwerden. Weil weder Zöliakie noch eine Allergie diagnostiziert werden kann, sprechen Fachleute von einer Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität. Etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen.

Glutenunverträglichkeit heißt eigentlich Weizensensitivität

Weil der Begriff etwas sperrig ist, spreche man auch von „Weizensensitivität“, erklärt Professor Detlef Schuppan, Leiter der Ambulanz für Zöliakie und Dünndarmerkrankungen am Universitätsklinikum Mainz. Am Rhein und an der Harvard Medical School in Boston erforscht Schuppan seit einigen Jahren die Weizensensitivität. Er entdeckte, dass nicht das Gluten, sondern die ebenfalls enthaltenen Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATI, Beschwerden verursachen. Da diese im Getreide zusammen mit Gluten vorkommen, ließen sich die Wirkungen zunächst nicht auseinanderhalten.

ATIs aktivieren das Immunsystem und initiieren im Körper heftige Entzündungen, erklärt Professor Schuppan. Sie verursachen die unterschiedlichsten Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme, Kopf- und Muskelbeschwerden, Müdigkeit und Unkonzentriertheit. Vermutlich spielen sie sogar eine Rolle bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Rheuma und Multiple Sklerose. ATIs sind in jedem glutenhaltigen Getreide enthalten. Neben Weizen stecken sie also auch in Roggen, Dinkel, Gerste und in den Urgetreiden Emmer und Einkorn. In der Natur fungieren ATIs als Abwehrstoffe gegen Insekten, sodass ein hoher Gehalt das Getreide vor Befall schützt, es also widerstandsfähig gegen Schädlinge macht und die Erträge sichert. Immer wieder wird behauptet, dass moderne, auf Ertrag gezüchtete Weizensorten besonders viel ATI enthalten. Dem kann Schuppan nicht zustimmen. ATIs würden nicht extra ins Getreide hineingekreuzt, sondern sind natürlicherweise darin enthalten, zumindest in den kultivierteren Sorten.

Enthalten neue Weizensorten mehr ATI?

Entscheidend für den ATI-Gehalt sei die Genetik, also die Sorte. Schuppans noch unveröffentlichte Untersuchungen zeigen, dass es hier keine klare Linie gibt. So können auch alte Weizensorten einen sehr hohen ATI-Gehalt haben. Daneben gibt es Einkornsorten, Verwandte des Weizens, die quasi frei von ATI sind. Auch enthalte Dinkel nicht grundsätzlich weniger ATI als Weizen, wie oft behauptet wird. Es gebe Dinkelsorten, die tatsächlich nur etwa halb so viel Amylase-Trypsin-Inhibitoren enthalten, aber auch Sorten mit einem hohen ATI-Gehalt.

Bio-Weizen hat weniger Klebereiweiß

Der Anbau spiele ebenfalls eine wichtige Rolle bei der ATI-Bildung: die Düngung, der Standort, das Klima und der Erntezeitpunkt, erklärt Dr. Hartmut Spieß von der Getreidezüchtungsforschung am Dottenfelderhof in Bad Vilbel. So wird konventioneller Weizen mit leicht löslichem Mineraldünger gepuscht. Dadurch entwickeln sich hohe Eiweiß- und Glutengehalte. Gluten, auch Kleber genannt, macht den Teig geschmeidig und lässt ihn gut aufgehen.

Ein hoher Klebergehalt ist wichtig für Back-Produkte wie Fertigpizza und Aufbackteiglinge, die auch Stunden nach dem Backen noch knusprig und formstabil sein sollen. Studien aus Nordamerika zeigen, dass der Eiweißgehalt in konventionellen Hochleistungssorten zirka 18 Prozent beträgt, in Bio-Weizen um die zwölf Prozent.

Im Keyserlingk-Institut für Saatgutforschung und Getreidezüchtung im biologisch-dynamischen Landbau in Salem werden gerade Anbauversuche mit 100 verschiedenen Getreidesorten durchgeführt. Überprüft wird, welchen Einfluss die Sorte, der Standort, das Klima, die Düngung und der Erntezeitpunkt auf den Gluten- und ATI-Gehalt haben.

Können auch Zusatzstoffe in Getreideprodukten schuld sein?

Übrigens: Drückt der Bauch nach dem Brotessen, muss nicht Weizen der Verursacher sein. Für die Herstellung von konventionellem Brot und Backwaren sind rund 200 Zusatzstoffe erlaubt. Diese Konservierungsstoffe, Dickungsmittel und Emulgatoren können auch zu Bauchgrummeln, Völlegefühl oder Durchfall führen.

Die EU-Öko-Verordnung erlaubt weniger Zusätze, und bei den Bio-Anbauverbänden wird die Auswahl nochmals eingeschränkt. Auch bestimmte Kohlenhydrate, sogenannte FODMAPs, die in Getreide, Hülsenfrüchten und Kohl enthalten sind, rufen bei manchen Menschen Blähungen und Bauchdrücken hervor. Das ist unangenehm, aber nicht bedenklich.

Interview: Was dürfen Betroffene essen?

Wer muss auf Weizen verzichten?

Für zirka 90 Prozent der Bevölkerung ist Weizen vermutlich unproblematisch. Wer Beschwerden hat, sollte zum Arzt gehen und prüfen lassen, ob es sich um eine Erkrankung handelt, die mit Weizen in Verbindung steht. Allerdings gibt es bei vielen Ärzten erhebliche Unsicherheiten.

Wie viel glutenhaltiges Getreide dürfen Betroffene essen?

Bei Zöliakie und Weizenallergie muss vollständig auf glutenhaltige Getreide verzichtet werden. Bei der Weizensensitivität ist das meist nicht nötig. In der Regel reicht es, wenn große Gluten- beziehungsweise ATI-Quellen weggelassen werden, also Pizza, Nudeln, Weißbrot.

Sollte jeder auf ATI im Essen achten?

ATIs können Entzündungen im Körper verstärken. Von daher profitieren wohl vor allem Menschen von einer Beschränkung, die unter Autoimmunerkrankungen, Neurodermitis oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden. Ich empfehle allen Menschen eine Ernährung nach dem Vorbild von „Grandma’s Kitchen“, also vor allem traditionelle, wenig verarbeitete, vollwertige Lebensmittel.

Welche Vorteile hat Grandma’s Kitchen?

So wie Ballaststoffe den Anstieg des Blutzuckerspiegels abschwächen, so können vermutlich auch einige Nahrungsmittel die Wirkungen der ATI dämpfen. Dazu gehören Vollkornprodukte, Gemüse und Gewürze. Zudem enthalten gut fermentierte Lebensmittel weniger ATI. Ein gutes Roggensauerteigbrot enthält also weniger Gluten als ein Hefebrot. Auch der ATI-Gehalt ist geringer – aber nur ein bisschen.

Vegane Produkte enthalten oft viel Gluten ...

Grundlage für vegane Wurst ist oft Seitan oder Gluten. Beides kann sehr viel ATI enthalten. Darum sind sie mit Blick auf die Weizensensitivität nicht empfehlenswert.

Mehr zum Thema:

  • www.dzg-online.de
    Hier gibt's Informationen rund um die Krankheit Zöliakie von der Deutschen Zöliakie Gesellschaft, u.a. den Flyer „Leben mit glutenfreier Ernährung“ zum kostenlosen Download.
  • www.ugb.de
    Der Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung hat unter dem Stichwort „Ernährungsberatung“ sachliche Informationen zu Gluten, Weizen und Unverträglichkeiten zusammengestellt.
  • www.ak-ernaehrung.de
    Der Arbeitskreis für Ernährungsforschung in Bad Vilbel bietet unter dem Button „Aktuelles“ ein Infoblatt rund um Weizen zum Download an. Darin geht es um die Frage „Was ist mit unserem Weizen los?“
  • Fasano, Alessio; Flaherty, Susan:
    Die ganze Wahrheit über Gluten.
    Südwest 2015, 384 Seiten, 19,99 Euro
  • Sabersky, Annette; Zittlau, Jörg:
    Mit Vorsicht zu genießen. Die neuen Lügen der Lebensmittelindustrie.
    312 Seiten, Heyne 2015, 9,99 Euro
  • Storr, Martin:
    Die FODMAP-Diät.
    Verlag Zuckschwerdt 2015, 184 Seiten, 18,95 Euro
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