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Die Krux mit den Küken

Seit Anfang des Jahres ist in Deutschland das Töten männlicher Küken kurz nach dem Schlüpfen verboten. Doch auch die Alternativen – Bruderhahnaufzucht und In-Ovo-Selektion – haben Schattenseiten. Worauf Bio-Bauern setzen. 

Es ist verboten, Küken von Haushühnern der Art Gallus gallus zu töten.“ So steht es seit Juni letzten Jahres im Tierschutzgesetz. Mit dem Jahreswechsel trat die Vorgabe in Kraft. Seither werden hierzulande in der Legehennenproduktion nicht mehr jährlich 45 Millionen männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen getötet. Stattdessen werden sie als sogenannte Bruderhähne drei Monate großgezogen und dann geschlachtet – oder schon vorher als Embryo aussortiert. Diese Alternative nennt sich In-Ovo-Selektion.

So funktioniert die In-Ovo-Selektion

In-Ovo-Selektion heißt der Fachbegriff für Verfahren, mit denen sich das Geschlecht des Huhns schon im Ei bestimmen lässt. Wächst ein Hahn heran, wird das Ei aussortiert und zu Futtermittel verarbeitet. Die meisten Verfahren funktionieren so: Am neunten Tag nach der Befruchtung wird durch ein kleines Loch in der Eischale etwas Flüssigkeit entnommen und auf Hormone oder bestimmte Biomarker untersucht. Diese geben Auskunft über das Geschlecht des Embryos. Das Loch wird wieder verschlossen und das Ei kommt zurück in die Brüterei – oder wird verarbeitet. Ein anderes Verfahren für Hühner, die braune Eier legen, kommt ohne Loch in der Schale aus, braucht aber Embryos, die bereits Federn aufweisen.

Vor- und Nachteile der Geschlechtsbestimmung im Ei

Weil Forschungsarbeiten darauf hinweisen, dass die Embryonen am neunten Tag schon Schmerzen empfinden, dürfen ab Anfang 2024 nur noch Verfahren angewandt werden, die das Geschlecht vor dem siebten Bruttag bestimmen. Doch diese sind noch nicht praxisreif. Deshalb halten sich viele Brütereien noch mit Investitionen zurück und setzen vorerst auf Bruderhähne.

Dabei hat die In-Ovo-Selektion aus ihrer Sicht zwei Vorteile: Sie ist kostengünstig und sie passt in das industrielle System der Eiererzeugung. Dieses System entstand vor rund 50 Jahren und beruht auf einer Trennung. Die Züchter entwickelten Hühner, die immer mehr Eier legten und andere, die möglichst schnell Gewicht zulegten. Inzwischen kontrollieren weltweit drei Konzerne die Genetik dieser Zuchtlinien und optimieren sie immer weiter.

Gentechnik: Crispr-Hennen im Anflug

  • Um das Kükentöten zu beenden, hat ein israelisches Unternehmen Legehennen mit dem Gentech-Verfahren Crispr/Cas verändert. Sie vererben an ihre männlichen Nachkommen ein Gen, das diese sterben lässt, sobald die Eier mit UV-Licht bestrahlt werden. Nur die weiblichen Küken überleben. Das Verfahren und die Tiere sind bereits zum Patent angemeldet.
  • Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass weder für die Nachkommen der Crispr-Hennen noch für deren Eier die Regeln des Gentechnikrechts gelten. Die Eier könnten also ohne Kennzeichnung unerkannt auf dem Frühstückstisch landen.
  • Annemarie Volling, Gentechnikexpertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, hält diese Auffassung für falsch: „Damit würde die EU-Kommission das Gentechnikrecht und das Vorsorgeprinzip außer Kraft setzen.“

Deshalb gibt es heute Masthühner, die schon nach fünf Wochen 1,5 Kilo wiegen und sich kaum bewegen können, weil das Knochengerüst nicht so schnell mitwächst. Und es gibt Legehennen, die über 300 Eier im Jahr produzieren und am Ende der Legeperiode so ausgemergelt sind, dass sie nicht einmal als Suppenhuhn taugen. Viele Tiere weisen zudem Knochenbrüche auf, weil das viele Eierlegen ihnen das Kalzium fürs eigene Skelett entzieht. „Mit der In-Ovo-Geschlechtsbestimmung wird das Elend der Legehennen ungebremst weitergehen“, sagt Matthias Wolfschmidt, Strategiedirektor der Verbraucherorganisation Foodwatch. Das sieht auch Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, so: „Die heutigen Legehennen sind hochgezüchtete Eierlegemaschinen innerhalb eines kaputten Systems, die Kükenfrage ist damit auch eine Systemfrage.“

Bruderhähne statt Kükentöten

Auch Bio-Eier und Bio-Hühnerfleisch werden in diesem System erzeugt. Die In-Ovo-Selektion ist auch für Bio-Betriebe zulässig. Die EU-Öko-Verordnung enthält zu diesem Thema keinerlei Vorgaben. Anders ist es bei den Bio-Verbänden. Sie lehnen, außer Biopark, die In-Ovo-Selektion ab, eben weil sie ein fragwürdiges System weiter zementiert. Stattdessen haben die Verbände ihren Mitgliedern vorgeschrieben, dass sie die männlichen Legehennenküken, die Bruderhähne, aufziehen müssen.

Was für Bruderhähne spricht

Mit dieser Methode haben die ersten Bio-Betriebe schon vor zehn Jahren begonnen, das Kükentöten zu vermeiden. Damals entstanden die Brudertier-Initiative Deutschland (BID), das Haehnlein-Konzept des Erzeugerzusammenschlusses Fürstenhof und einige andere Projekte von Bio-Eiererzeugern. Sie alle subventionierten die Aufzucht der Brüder durch einen etwas höheren Eierpreis. Denn Bruderhähne brauchen – verglichen mit einem Masthähnchen – mehr Zeit und mehr Futter, damit sie genug Fleisch ansetzen. Wenn sie mit drei Monaten oder noch später geschlachtet werden, liefern sie weniger Brust und Keule, als es die Verbraucherinnen und Verbraucher von Masthähnchen gewöhnt sind. Ihr Fleisch ist etwas dunkler, nicht mürbe, sondern eher faserig und braucht länger, bis es gar ist.

„Ohne Auslauf würde ich Bruderhähne nicht halten wollen“

Annalina Behrens, Fürstenhof

„Ich mag Bruderhahnfleisch gerne, es hat ein schönes Aroma“, sagt Annalina Behrens. Sie managt das Haehnlein-Konzept des Erzeugerzusammenschlusses Fürstenhof. Dessen 19 Betriebe ziehen schon seit 2018 für alle ihre Legehennen die Bruderhähne auf. „Das sind kräftige, agile Tiere, die betätigen und bewegen sich gerne“, erzählt Behrens: „Die sind gleich draußen, wenn morgens um sieben die Luke aufgeht. Ohne Auslauf würde ich die nicht halten wollen.“

Die größte Herausforderung ist die Vermarktung. „Wir kriegen es unter, haben aber auch Lehrgeld bezahlt“, beschreibt Behrens die Erfahrungen mit den verschiedenen Haehnlein-Produkten, von Pfannengerichten über Hackfleisch bis zu frischem, mariniertem Grillfleisch. „Unser Ziel ist es, bewusster zu machen, dass, wer Eier isst, auch den Bruder mitessen muss“, sagt Lisa Minkmar, die bei der Brudertier-Initiative Deutschland für das Marketing zuständig ist. „Wir wollen möglichst viele gelabelte Bruderhahnprodukte in den Läden sehen, am besten gleich neben den Eiern, damit der Zusammenhang klar wird“, wünscht sie sich von den Bio-Märkten. Denn noch geht viel Bruderhahnfleisch anonym, also ohne Kennzeichnung als Bruderhahn, in die Verarbeitung, etwa für Babygläschen, und bringt den Eiererzeugern nur wenig Geld.

Wo werden die Bruderhähne aufgezogen?

Bisher waren es vor allem Bio-Verbandsbetriebe von Bioland, Biokreis, Demeter und Naturland, die Bruderhähne großzogen. Doch gut die Hälfte der deutschen Bio-Eier stammt von EU-Bio-Betrieben, die seit Januar auch die Hähne großziehen müssen, da es noch keine Bio-Brüterei mit In-Ovo-Selektion gibt. Bei BID, Fürstenhof und den anderen Projekten wachsen die Hähne auf deutschen Verbandsbetrieben auf. Diese schreiben ihren Mitgliedern vor, dass die Bruderhähne ökologisch aufgezogen werden müssen, sagen aber nicht, in welchem Land. Für EU-Bio-Betriebe gibt es keinerlei Vorgaben. Sie könnten die Bruderhähne auch konventionell in Polen mästen lassen.

Das sind die Nachteile der Bruderhahn-Aufzucht

Wie viele es tatsächlich tun, ist unbekannt. Sicher ist, dass große Mengen Bruderhähne aus konventionellen Brütereien nach Polen gebracht werden. „Aktuell ziehen 156 Betriebe in Polen innerhalb des KAT-Systems Bruderhähne auf“, teilte der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (KAT) mit. „Wie viele davon bio-zertifiziert sind, entzieht sich derzeit unserer Kenntnis.“ Der Verein organisiert die Kennzeichnung der Eier mit dem bekannten Nummerncode. Hinzugekommen ist nun die Herkunftssicherung für OKT-Eier, wobei OKT für „ohne Kükentötung“ steht. Auch ausländische Brütereien und Legehennenhalter, die mit dem deutschen Lebensmittelhandel Geschäfte machen wollen, müssen in das KAT-System. Das deutsche Kükentötungsverbot gilt somit indirekt auch für sie.

Für Hühner von Morgen

Logo auf dem "1 Cent pro Ei" steht

Zweinutzungshühner statt Kükentöten: Zahlreiche Bio-Läden unterstützen die Zucht von Zweinutzungshühnern, indem sie Eier mit dem hier abgebildeten Logo verkaufen. Pro verkauftem Ei geht 1 Cent an die Ökologische Tierzucht (ÖTZ).

Ebenfalls an das KAT-System gebunden sind die polnischen Bruderhahn-Mäster. Dass die Bruderhähne dorthin transportiert werden, liegt dran, dass die Mastbetriebe dort günstiger arbeiten und die Hähne an polnische Schlachtereien liefern, die sich auch um die Vermarktung kümmern. Medienberichten zufolge liefern sie große Mengen tiefgekühlter Bruderhähne in westafrikanische Länder und machen so den dortigen Mästern billige Konkurrenz.

Bio- und Tierschutzverbände sind sich einig, dass die Aufzucht von Bruderhähnen – auch unter optimalen Bedingungen in deutschen Verbandsbetrieben – nur eine Übergangslösung sein kann. Um aus diesem System der Hühnerhaltung auszusteigen, braucht es Zweinutzungshühner, also Zuchtlinien, bei denen die Hennen genug Eier legen und die Hähne ausreichend Fleisch ansetzen. Die von Bioland und Demeter 2015 gegründete Ökologische Tierzucht gGmbH (ÖTZ) züchtet solche Tiere (siehe Interview Seite 28) und wird dabei von vielen Bio-Händlern mit einem Cent pro verkauftem Ei unterstützt.

Sind Zweinutzungshühner die Zukunft?

Naturland-Bauer Fabian Häde arbeitet seit 2017 mit den Hühnerlinien Coffee und Cream der ÖTZ. „Die Tiere sind deutlich stabiler und kräftiger gebaut als herkömmliche Hennen“, berichtet Häde. „Sie sind sehr lebendig, wollen nach draußen, sind aber auch etwas aggressiver und brauchen mehr Platz.“ Etwa 220 Eier legt jede Henne im Jahr. „Davon kann ich etwa 200 verkaufen, der Rest an zu kleinen Eiern oder Knickeiern kommt in die Produktion.“ Häde stellt selbst Eiernudeln her, die er direkt und über den regionalen Handel vermarktet, ebenso wie das Fleisch der Hähne. Die Zahl der Zweinutzungshühner hat Häde kontinuierlich gesteigert, während die Bruderhahntiere weniger wurden. Was den Ausbau bremst, ist der Preis, denn Endverbraucher müssen im Handel 60 bis 70 Cent für ein Zweinutzungsei zahlen, damit der Landwirt einen fairen Preis bekommt. Auch das Fleisch kostet mehr als bei einem herkömmlichen Bio-Masthähnchen.

Das Engagement für Zweinutzungshühner liegt bei Fabian Häde übrigens in den Genen. Sein Urgroßvater züchtete Rassehühner. „Die konnten bis zu 250 Eier legen und setzten Fleisch an, doch 1975 musste er aufhören.“ Die Konkurrenz durch die neuen Legehennenhybriden war zu groß. Die Familie begann damit, Bio-Eier zu erzeugen und kehrt nun mit dem Zweinutzungshuhn zu ihren Wurzeln zurück.

Interview: „Teure Eier bleiben derzeit im Regal liegen“

Inga Günther ist eine von zwei Geschäftsführern der von Bioland und Demeter getragenen Ökologischen Tierzucht gGmbH (ÖTZ). Dort werden Zweinutzungshühner gezüchtet.

Was spricht für Zweinutzungshühner?
Bei diesen Hühnern ist die Leistung begrenzt. Sie legen etwas weniger Eier, setzen dafür aber auch besser Fleisch an. Damit sind viele hochleistungsbedingte Krankheiten und Probleme ausgeschlossen. Das Besondere an unseren Tieren ist, dass sie von Anfang an auf die Haltungs- und Fütterungsbedingungen von Bio-Betrieben ausgerichtet sind. Wir sind der erste zertifizierte Zuchtstandort weltweit, der die Tiere mit Auslauf und im Wald hält und ohne Käfighaltung.

Wie groß ist das Interesse der Bio-Bauern?
Das Interesse an den Tieren ist groß und wächst, vor allem bei Direktvermarktern. Die sagen sich, wenn ich die Hähne mit aufziehen muss, dann richtig. Auch die Abhängigkeit von Konzernen und Lieferketten wird immer mehr zum Thema. 2021 haben wir 140 000 Zweinutzungshühner – Hennen und Hähne gemischt – an Bio-Landwirte abgegeben. Noch sind wir aber die Nische in der Nische.

Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die Nachfrage aus?
Die Situation ist schwierig. Positiv ist, dass unsere Tiere gut mit den derzeit schwankenden Futterqualitäten zurechtkommen. Doch die Verbraucher sind gerade sehr preissensibel. Teure Produkte wie Zweinutzungseier haben es da schwer. Sie bleiben im Regal liegen. Einige Händler haben sie schon ausgelistet. Das ist katastrophal für ÖTZ-Pionierbetriebe, welche sich so stark in der Vergangenheit engagiert haben und jetzt dafür abgestraft werden.

Bremst das die Züchtung?
Es ist nicht förderlich. Fazit aus der aktuellen Krise ist, unabhängige Strukturen und regionale Kreisläufe zu entwickeln und zu stärken! Wir sind als Züchter:innen das Bindeglied zur Zukunft; wir müssen immer einen Schritt voraus sein in der Konsequenz unseres Handelns.

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