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Können Sonnenblumenkerne regional und bio sein?

Aus Sicht der Sonnenblume ist Deutschland zu nass. Trotzdem bauen Bauern die Pflanze mit Erfolg an – für Öl, Aufstriche und „Hack“.

Aufrecht steht sie auf dem Feld und dreht ihr Gesicht den ganzen Tag der Sonne zu. Das macht die Sonnenblume zu etwas Besonderem unter den Nutzpflanzen. Die Energie der Sommersonne speichert sie in ihren Kernen, die nicht nur bei Vögeln heiß begehrt sind. Auch für Menschen stellen die Kerne und das daraus gepresste Öl wertvolle Lebensmittel dar.

Doch bis sie auf den Teller kommen, ist es ein weiter Weg. Er beginnt damit, dass der Landwirt Mitte April die Samen aussät. Einen tiefgründigen, humusreichen Boden braucht die Pflanze und dazu reichlich Wärme. „Acht Grad Celsius sollte der Boden schon haben“, sagt Bio-Landwirt Bernhard Schreyer. Er baut auf Gut Obbach im Maintal seit Jahren Sonnenblumen an. Sobald die Keimlinge sprießen, droht die erste Gefahr. Tauben lieben das frische Grün und zupfen gezielt nur die Sonnenblumen aus der Erde. Außerdem macht Unkraut den kleinen Pflanzen Licht und Platz streitig. Naturland-Bauer Schreyer bekämpft es, indem er mit der Hacke über den Acker fährt und die Reihen zwischen den Sonnenblumen vorsichtig damit bearbeitet.

Warum der Anbau von Bio-Sonnenblumen hierzulande schwierig ist

Im Juli drehen die Pflanzen dann ihre goldgelben Blütenkränze der Sonne entgegen. „Längere Regenperioden darf es jetzt keine geben“, sagt Schreyer. Denn Sonnenblumen haben schwere Pollen und brauchen Bienen und Hummeln zur Befruchtung – und die fliegen nicht, wenn es pausenlos schüttet und weht. Ein feuchter Sommer erhöht auch das Krankheitsrisiko, weil sich dann Sklerotien und andere Pilze ausbreiten und die langen Stängel der Pflanzen befallen. Konventionelle Landwirte können dagegen Fungizide, also Pilzbekämpfungsmittel spritzen, Bernhard Schreyer muss sich hingegen überlegen, wie er noch besser vorbeugen kann. „Wir setzen auf robuste Sorten und achten darauf, dass wir nicht zu viel düngen, sonst wachsen die Stängel zu schnell und werden anfällig.“

Was Bio-Züchter anders machen

Bei den Sorten ist der Landwirt auf Hybride angewiesen, die nach konventionellen Bedürfnissen gezüchtet wurden, also auf Bauern abgestimmt sind, die chemische Pflanzenschutzmittel einsetzen dürfen. Ein weiterer Nachteil: Die Samen von Hybridpflanzen taugen nicht zur Aussaat im nächsten Jahr, weil sie ihre positiven Eigenschaften wie hohe Erträge verlieren. Ändern will das die Initiative Bio-Saatgut Sonnenblumen, zu der sich mehrere Bio-Hersteller mit dem Schweizer Getreidezüchter Peter Kunz zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel ist es, eine samenfeste, biologische High-Oleic (HO)-Sonnenblumensorte zu züchten. Im Gegensatz zu Hybriden können samenfeste Sorten ihre positiven Eigenschaften über Generationen behalten.

HO-Sonnenblumen liefern ein Öl, das besonders reich an einfach ungesättigter Ölsäure ist und sich deshalb vielfältig in der Küche einsetzen lässt. Normales Sonnenblumenöl hingegen enthält viele mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Die sind zwar gesund, aber ungeeignet für die Pfanne, da sie nicht stark erhitzt werden dürfen. In diesem Jahr läuft der erste große Testanbau mit der Bio-HO-Sorte. Seit zwei Jahren arbeiten die Schweizer Züchter auch an einer Schälsonnenblume. Deren Kerne werden nicht zu Öl gepresst, sondern geschält und in Müslis, auf Brötchen oder als Grundlage für Aufstriche und andere Produkte genutzt. Ihre Kerne sind größer als die der Öl-Sorten und enthalten weniger Fett.

Zwergenwiese: Heimische Kerne frisch aufs Brot

Vor 20 Jahren brachte der Bio-Hersteller Zwergenwiese mit seinen Streichs die ersten Bio-Aufstriche auf Sonnenblumenkern-Basis auf den Markt. „Wir wollten eine Alternative zu Frischkäse entwickeln“, sagt Vertriebsleiterin Melanie Raeder. Seither haben sich Sonnenblumen zum wichtigsten Rohstoff von Zwergenwiese entwickelt. 2011 begann das Unternehmen, auf Kerne aus Deutschland umzustellen. „Das war unglaublich schwierig: Wir mussten Anbauer finden, die das Experiment mit uns wagen wollten, geeignete Sorten auswählen, ein Netzwerk aufbauen.“ Seit 2017 kann die Produktlinie „streich’s drauf“ komplett aus deutschen Kernen hergestellt werden. 53 Landwirte liefern dafür jährlich rund 1200 Tonnen Kerne mit Schale. „Wir entwickeln das weiter und wollen jetzt mit den Landwirten eine eigene Schälmühle aufbauen“, berichtet Melanie Raeder. Ziel sei es, bis 2020 den gesamten Bedarf des Unternehmens mit heimischen Sonnenblumenkernen zu decken. Das hat seinen Preis: „Die Kerne sind teurer als die, die wir derzeit noch aus dem Ausland beziehen.“

Bernhard Schreyer baut ausschließlich Schälsonnenblumen an, die er an Zwergenwiese liefert. Für eine gute Ernte braucht er einen warmen und trockenen Herbst, damit die Kerne ordentlich ausreifen. Eigentlich könnten die Pflanzen bis Ende Oktober auf dem Feld stehen bleiben, doch dann wäre die Ernte weg: „Für die Vögel sind die Kerne ein gefundenes Fressen“, erklärt der Landwirt. Ballone oder Knallapparate, mit denen die Tiere verscheucht werden sollen, seien aufwendig und wenig effektiv. Ende September beginnt er deshalb mit der Ernte und trocknet die Kerne direkt nach dem Einbringen, denn zum Einlagern dürfen sie höchstens acht Prozent Feuchtigkeit aufweisen.

Noch verkauft Schreyer die Kerne an Schälmühlen, die die Schalen entfernen und die Kerne an Verarbeiter weiterreichen. Doch er plant eine eigene Schälanlage. „Bio-Sonnenblumen aus Deutschland haben Zukunft“, ist er überzeugt. Und das trotz des Wetters.

Aus Sicht der Sonnenblumen ist Deutschland nass und kalt. Nur wenige warme Regionen wie die Rheinebene, das Maintal oder Brandenburg eignen sich für den Anbau. Selbst dort ist eine richtig gute Ernte eher selten. Kein Wunder also, dass in Deutschland im vergangenen Jahr gerade mal auf 18.000 Hektar Fläche Sonnenblumen wuchsen. Rund 2300 Hektar, also 12 Prozent davon, bewirtschafteten Bio-Landwirte. Das ist ein weitaus höherer Bio-Anteil als bei Getreide oder den anderen Ölsaaten.

Sunflower Family: Sonnenblumenkerne statt Soja

Fleischersatz aus Sonnenblumen? Das geht so: Mit einem patentierten Verfahren werden die Kerne entölt, sodass ein fast fettfreies Proteinpulver übrig bleibt. Dieses Sonnenblumenmehl war das erste Produkt der Sunflower Family. Die Firmengründer Oliver Schenkmann und Nicole Breisinger tüftelten lange, bis sie daraus Körnchen herstellen konnten, die sich wie Hackfleisch anfühlten, ebenso verarbeiten ließen und leicht nussig schmeckten. Das Ergebnis: Sonnenblumen Hack, pur und mit drei Gewürzmischungen für die ganz schnelle Küche. „Wir wollen eine fleischlose Ernährung einfacher und schmackhafter machen“, sagt Schenkmann. „Zudem kommen unsere Produkte ohne Soja und Gluten aus.“ Die Sonnenblumenkerne stammen zu einem Zehntel aus Deutschland, der größte Teil kommt über einen erfahrenen deutschen Partner aus Süd- und Osteuropa. Langfristig plant Sunflower Family den regionalen Anbau auszuweiten. Während das Interesse der Kunden am Sonnenblumen Hack wächst, tüftelt die Firma weiter. Anfang nächsten Jahres will sie Geschnetzeltes für das Kühlregal anbieten.

Darum werden 90 Prozent der Sonnenblumenkerne importiert

Dass es mit dem Anbau vorangeht, hat mit dem Engagement von Verarbeitern, Bio-Anbauverbänden und ihren Mitgliedern zu tun. So begannen vor 12 Jahren Bioland-Bauern in Süd- und Mitteldeutschland mit dem Anbau von Sonnenblumenkernen für Bio-Bäcker. Diese bezogen die Kerne bis dahin vor allem aus China. Auch das Unternehmen Zwergenwiese hat den heimischen Bio-Anbau vorangebracht. Hinzu kamen die Bemühungen von Ölmühlen, Sonnenblumenöl aus regionalen Kernen zu pressen.

Dennoch ist die deutsche Bio-Ernte mit 4000 bis 6000 Tonnen (mit Schale) viel zu klein, um den Bedarf zu decken, weshalb rund 90 Prozent der Kerne importiert werden. Wichtige Lieferländer für Speise-Kerne sind China, Ungarn und Frankreich, während in Rumänien, Bulgarien und der Ukraine vor allem Bio-Sonnenblumen zur Ölgewinnung wachsen. Aufgrund des günstigen Klimas, der großräumigen Anbauflächen und der niedrigen Löhne können die Unternehmen dort weitaus günstiger produzieren als deutsche Bio-Bauern.

Warum Bio-Sonnenblumenkerne teurer sind

Allerdings stellen die Strukturen in Südost- und Osteuropa mit ihren Großbetrieben und immer wieder unzureichenden Kontrollen auch ein Risiko dar. So gab es in den letzten Jahren zweimal Probleme mit Presskuchen aus der Ukraine und Rumänien, der als Tierfutter nach Deutschland importiert wurde. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass im großen Stil konventionelle Sonnenblumenkerne zu Bio umdeklariert worden waren. Das daraus hergestellte Öl wurde vermutlich in Europa und den USA verkauft. Auch China gilt, was die Bio-Qualität von Importen anbelangt, als Hochrisikoland, wobei Sonnenblumenkerne bisher nicht auffällig waren.

Erfahrene Bio-Verarbeiter begegnen diesem Risiko, indem sie nicht aus anonymen Quellen kaufen, sondern von Landwirten und Händlern, die sie kennen und auch vor Ort inspizieren. Solche langfristigen Partnerschaften zu pflegen ist aufwendig und schlägt sich im Preis nieder. Billig-Bio ist damit nicht zu machen.

In Sonnenblumenkernen steckt viel Gutes drin

  • Die Kraftpakete sind Einwanderer aus Nord- und Mittelamerika. Von dort kamen sie 1552 mit den spanischen Eroberern nach Europa. Zuerst wurden sie als Zierpflanzen angebaut. Ab dem 17. Jahrhundert begannen die Europäer, die Kerne zu essen. Seit dem 19. Jahrhundert pressen sie auch Öl daraus.
  • Heute ist die Sonnenblume mit einer weltweiten Produktion von 50 Millionen Tonnen, die zu 19 Millionen Tonnen Öl verarbeitet werden, die viertwichtigste Ölpflanze nach Ölpalme, Soja und Raps. Die eiweißreichen Reste aus der Pressung werden an Nutztiere verfüttert. Direkt verspeist wird dagegen weltweit nur jeder zehnte Kern.
  • Sonnenblumenkerne zum Essen bestehen zu einem Viertel aus Eiweiß. 100 Gramm Kerne liefern mehr Proteine als ein gleichschweres Steak. Ein weiteres Viertel entfällt auf Fettsäuren, von denen die meisten mehrfach ungesättigt sind. Hauptbestandteil ist die Linolsäure. Die Kerne liefern auch viele Kohlenhydrate und damit schnell verwertbare Energie. Zudem sind sie ballaststoffreich, was die Verdauung unterstützt.
  • Von den Mineralstoffen sind Kalium, Magnesium und Phosphor reichlich vertreten. Auch bei den Spurenelementen Eisen, Zink und Mangan decken 100 Gramm der Kerne bereits einen großen Teil des Tagesbedarfs ab. Bei den Vitaminen stechen die der B-Gruppe hervor, allen voran Vitamin B1, dazu kommt noch reichlich Vitamin E.
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