Jugendlicher Respekt für Natur und Tier mündet häufig in eine konkrete Antwort: dem Wunsch, auf Tierisches zu verzichten. Aber wie nur die eigene Familie davon überzeugen? // Brigitte Sager-Krauss
Meine Mutter macht mir tierisch Stress, ich soll endlich wieder normal essen …!“ Im Chat beklagt Laura* vehement das elterliche Veto zu ihrer persönlichen Entscheidung, kein Fleisch mehr essen zu wollen. Seitdem sie für sich festgelegt hat, tierischen Lebensmitteln den Rücken zu kehren, ist Streit am Familientisch vorprogrammiert.
Laura ist 16 Jahre und kein Einzelfall. Der Appetit auf Fleisch, aber auch auf Fisch, Milch und Ei schwindet bei Jugendlichen – und es ist mehr als ein kurzzeitiger Mode-Trend: Insgesamt leben hierzulande geschätzt bereits etwa sieben Millionen Vegetarier, zehn Prozent davon vegan, das heißt komplett ohne tierisches Eiweiß.
Vegan ist „mega-in“
„Gerade junge Menschen sind einem vegetarischen und veganen Lebensstil gegenüber aufgeschlossen und offener“, sagt Elisabeth Burrer, Sprecherin des Vegetarierbundes Deutschland e.V. (VEBU). Der Verband misst den vegetarisch-veganen Zuspruch anhand seiner Mitgliederzahlen wie an einem Barometer: Er verzeichnet stetiges Wachstum, in 2012 im Schnitt über fünfzig Prozent.
Die Moral spielt die Hauptrolle für die Entscheidung gegen Fleisch, Milchprodukte und Eier. Denn Massentierhaltung unter quälerischen Bedingungen möchten viele nicht mehr stützen. Allerdings finden auch Aspekte wie das persönliche Geschmacksempfinden und der Schutz der Umwelt Berücksichtigung. Immerhin checkt die Jugend schnell, was das angebliche „Veredeln“ der pflanzlichen Nahrung in tierisches Eiweiß kostet: Wasser und Nahrungspotenzial für die weltweit wachsende Bevölkerung wird verschwendet, eine Unmenge an überflüssigem Kohlendioxid und Treibhausgasen entsteht.
Die gesundheitlichen Vorteile des fleisch-, milch- und ei-freien Essens stehen bei jungen Menschen meist nur im Hintergrund. Doch hier lohnt es sich genauer hinzuschauen, möchte man die „regierenden Köche“ der Familie von den Vorzügen rein pflanzlicher Kost überzeugen. Der Zoff am häuslichen Esstisch gründet in vielen Fällen auf der Angst, vegetarisch und vor allem vegan essen sei ungesund, der junge Körper in Wachstum und Entwicklung erhielte nicht genug Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe.
Sorge: Gut gefuttert?
„Meine Eltern befürchten, ich magere vollständig ab und bekomme nicht die Nährstoffe, die ich brauche …“, schreibt auch Laura im Internet-Forum. Ergebnisse aktueller Ernährungsforschung entkräften jedoch die hartnäckig bestehenden Vorurteile, belegen sogar den besonderen gesundheitlichen Wert des Essens ohne Wurst & Co.
Dr. Markus Keller, Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE) in Gießen berichtete unlängst auf einem Kongress für Mediziner in Berlin: „Fleischkonsum ist ein Risikofaktor“ – besonders im Hinblick auf Übergewicht, Diabetes Typ 2 (bekannt als „Alters“-Diabetes), Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs. Argumente, die das ein oder andere Elternherz vielleicht erweichen könnten?
Vorteile statt Vorurteile
Andere Wissenschaftler sprechen der fleisch- und milchfreien Kost sogar zu, die lästige Pubertäts-Akne ausbremsen und insgesamt für bessere Stimmung sorgen zu können. Die in der Jugend gelegentlich vorüberziehenden „Tiefdruckgebiete“ abmildern? – das mag eine durchaus reizvolle Perspektive sein.
Und die Bedarfsdeckung an lebenswichtigen Nährstoffen? Die sieht durchaus positiv aus. IFANE-Leiter Dr. Markus Keller beschreibt „die Versorgung mit vielen Nährstoffen wie Vitamin C, Beta-Carotin, Magnesium, zusätzlich mit Ballast- und sekundären Pflanzenstoffen sogar günstiger als bei Mischkost“. Jedoch: „Veganer sollten besonders auf die ausreichende Zufuhr der Nährstoffe Vitamin B12, Kalzium, Eisen, Vitamin B2, Zink und Jod achten“, so der Ernährungswissenschaftler.
Gerade der jugendliche Körper fordert ausreichend Kalzium für stabiles Knochenwachstum, genügend Eisen für das zunehmende Blutvolumen, ein starkes Immunsystem und die bei jungen Mädchen einsetzende Menstruation. Die Vorteile einer vegetarischen oder veganen Ernährung zu schätzen, ist daher die eine Seite. Die andere Seite ist, auch die möglichen Risiken zu kennen, wenn Fleisch, Käse, Milch, Fisch und Ei ohne ausgewogene, vollwertige Alternative vom Teller fliegen. Wird von Elternseite Akzeptanz und Unterstützung für die tierfreie Ernährung erwartet, führt kein Weg an einem offenen Gespräch vorbei, in dem Tochter oder Sohn zeigt: Es ist klar, worauf es bei gesunder veganer oder vegetarischer Ernährung ankommt.
Generell sind reichlich Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Ölsaaten ein „must have“ bei vegetarischem und veganem Essen. Hochwertige pflanzliche Öle beispielsweise aus Raps, Olive und Walnuss gehören ebenfalls dazu. Sie liefern neben Energie wichtige Fettsäuren für das Wachstum und ein stabiles Nervenkos-tüm. Meidet man Milch, helfen kalziumreiches Wasser, reichlich Nüsse, wie auch Pistazien und Mandeln, Sesammus (Tahin) und dunkelgrüne Gemüsesorten wie Grünkohl und Brokkoli. Für eine ausreichende Eisenversorgung gilt es, Vollkornprodukte wie Haferflocken mit Vitamin-C-haltigen Früchten und Gemüse zu kombinieren. Dadurch wird das pflanzliche Eisen deutlich besser verwertet. „Gute Eisenlieferanten sind Hülsenfrüchte, Vollgetreide, Ölsamen wie Kürbiskerne und Sesam, Nüsse und verschiedene Gemüsearten wie Feldsalat, Rucola und Zucchini“, empfiehlt Vegan-Experte Keller.
Im Fokus: Vitamin B12
Vitamin B12 findet sich fast ausschließlich in Lebensmitteln, die vom Tier stammen. „Daher muss gerade bei vollständigem Meiden tierischer Lebensmittel eine sichere Versorgung mit Vitamin B12 gewährleistet sein, beispielsweise durch Nahrungsergänzung“, so Keller. Ein aktueller Tipp hierfür: eine speziell für die vegan-vegetarische Lebensweise entwickelte Vitamin-B12-Zahnpasta, die eine Versorgung mit dem Vitamin unterstützen kann. Ebenfalls für Vitamin D regt der Vegetarierbund eine Nahrungsergänzung in seiner vegetarisch-veganen Ernährungspyramide an, da in hiesigen „sonnenarmen“ Breitengraden die körpereigene Vitamin-D-Produktion nicht immer ausreicht.
Eines sollte jedem Jung-Veganer und Vegetarier bewusst sein: Gesund essen heißt auch, Zeit und Mühe investieren. Motto: nicht nur streiken, sondern kochen! Gerade am Anfang braucht es viel Einsatz, denn neue Zutaten und Zubereitungsweisen wollen erprobt werden. Auch für Laura kommt deshalb ein einschlägiger Tipp im Chat: „Informiere dich gründlich, nimm dir Zeit … und koche mal vegan für die family, das wird deine Mama freuen!“ – und ist für alle ein Gewinn. *Name redaktionell geändert
Umsteigen auf Essen „ohne Tier“
Informieren: der erste Schritt!
Zahlreiche vegan-vegetarische Bücher geben Rat und Hilfe. Gute Infoquellen bieten auch Verbände. Im Internet zu finden unter www.vebu.de, www.vegane-gesellschaft.org,
www.ifane.org oder www.vegan.eu.
In vielen Städten finden regelmäßige Treffen, z.B. Vegi-Kochabende, statt. Mal anders: „Veggie-Buddys“ – eine Initiative des Vegetarierbundes, bei dem ein „Alt“-Vegetarier mit Rat und Tat zur Seite steht.
Selbst Chips und Orangensaft können versteckte tierische Zutaten wie Gelatine oder Aromenbestandteile enthalten. Eine Kennzeichnung (siehe oben) schließt das aus und erleichtert das Einkaufen.
Experimente mit neuen Zutaten
Tofu kennt ja fast schon jeder. Aber wie sieht es mit Tempeh, Tahin oder Seitan aus? Zutaten für ei- und milchfreies Kochen und Backen sind z.B. auch Reis-, Soja- und Hafermilch. Sojamehl mit Wasser angerührt kann das Hühnerei ersetzen, Sojacreme ist eine Alternative für Schlagsahne.
Nachgelesen – Nachgekocht
Eine umfassende Hintergrund-Lektüre zum Thema: „Vegetarische Ernährung“ von C. Leitzmann und M. Keller (UTB, 2010, Euro 22,90)
Rein vegane Infos mit über 140 Rezepten finden sich in „Ab jetzt vegan!“ von G. Lendle und E. W. Henrich (Trias, 2012, Euro 17,99)
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