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Jedes Ei hat seinen Preis

Schreckliche Bilder haben die Bio-Hühnerhaltung in Verruf gebracht. Waren es Einzelfälle? Oder steckt der Fehler im System? Die gute Nachricht vorab: Es gibt vorbildliche Höfe.

Kaum öffnet Markus Schleich das Tor des Wintergartens, drängen seine Hühner neugierig heraus. Sie scharren im Kies und weichen geschickt dem langen Stecken aus, mit dem der graulockige Demeter-Bauer sie vorsichtig zurückscheucht. Vor den Menschen, die im Kreis um sie stehen, haben die braun gefiederten Tiere keine Scheu. Überrascht sagt eine Frau: „Die sehen ja richtig gut aus.“

Einige Wochen zuvor waren im Fernsehen ganz andere Bilder von Bio-Hennen zu sehen: kranke, ausgemergelte Tiere, halb nackt und mit Geschwüren. Wegen dieser Bilder haben Markus Schleich und seine Hennen an einem milden Novembernachmittag Besuch bekommen: 50 Bio-Ladner, organisiert vom Naturkost Südbayern e. V., wollten sehen, wie Bio-Legehennen leben.

Der Bicklhof der Familie Schleich liegt bei Peiting, südwestlich von München. Markus Schleich verkauft die Eier seiner 7.500 Legehennen direkt an Naturkostläden in der Region. Kein kleiner Betrieb, aber eine überschaubare Lieferkette. Das ist Realität bei Bios – ebenso wie die zerrupften und gequälten Hühner der Erzeugergemeinschaft Fürstenhof oder des Agrarkonzerns Wiesengold, die im Fernsehen zu sehen waren. Fürstenhof und Wiesengold produzieren rund die Hälfte der deutschen Bio-Eier – in Ställen mit 18.000 und mehr Legehennen und mit dem Segen der Anbauverbände Biopark und Naturland.

Was kostet ein Bio-Ei?

„Das sind keine Einzelfälle“, sagen die Tierschützer über die Betriebe, in denen sie nachts heimlich gefilmt haben. Branchenexperten bestätigen das. Etwa Walter Höhne, Vorstand der Legegemeinschaft Die Biohennen, zu der sich 30 kleine Landwirte zusammengeschlossen haben. „In den großen Ställen kann man solche Bilder häufiger sehen.“ Höhne nennt zwei Gründe dafür: schlechte Betreuung und billiger Preis.

„Für 26 Cent pro Ei kann man nicht mehr erwarten“, kommentiert er die Fernsehbilder. 26 Cent kostet das Bio-Ei bei den Discountern, die fast die Hälfte aller Bio-Eier verkaufen. 30 Prozent der Bio-Eier kaufen die Kunden in Supermärkten und zahlen dafür je nach Herkunft 26 bis 40 Cent. Das verbleibende Fünftel teilen sich Bio-Läden, Hofläden, Wochenmärkte und Direktvermarkter. Dort kosten die Eier deutlich über 30 Cent, oft auch 40 Cent und mehr.

Doch was kostet ein Ei den Bauern? Welchen Preis braucht er, um seine Legehennen artgerecht zu halten? Das Futter der Hennen macht rund die Hälfte der Kosten aus. EU-Bio-Betriebe sind hier gegenüber Verbandsbauern im Vorteil: Sie können Futter von anderen EU-Bio-Betrieben einkaufen und müssen nicht das teurere Verbandsfutter nehmen. Bei Geflügel erlaubt die EU-Öko-Verordnung noch bis Ende 2014 fünf Prozent konventionelles eiweißhaltiges Futter. EU-Bio-Betriebe haben dabei eine große Auswahl und dürfen sogar konventionelle Sojabohnen verfüttern. Die Anbauverbände haben die Auswahl unterschiedlich stark eingeschränkt. Bioland und Biokreis erlauben nur zwei konventionelle Zutaten, Demeter gar keine. Bei der Legegemeinschaft Biohennen steht schon seit 2003 100 Prozent Bio auf dem Speiseplan der Tiere. Das ist die teuerste Variante.

Kostenfaktor Futter

Vorteile haben auch Eiererzeuger, die zu Konzernen gehören, weil diese ihr Futter in großen Mengen und dadurch oft günstiger einkaufen. Dabei steigt die Betrugsgefahr. 2008 bis 2011 schleuste eine italienische Firma 30.000 Tonnen umdeklarierte Futtermittel aus Rumänien nach Deutschland.

Ein Fünftel der Kosten entfällt auf die Junghennen. Sie werden meist in spezialisierten Betrieben aufgezogen und kommen erst mit 18 Wochen zum Eier-Erzeuger. Die Aufzucht ist entscheidend dafür, ob es später in einer Legehennenherde zum Federpicken kommt (siehe Interview Seite 98). Bei dieser Verhaltensstörung reißen die Tiere sich gegenseitig Federn aus. „Wenn du eine Herde mit gestörten Tieren bekommst, kannst du nur wenig gegensteuern“, bestätigt Demeter-Bauer Markus Schleich die Bedeutung der Aufzucht. Er lobt seinen Hennenlieferanten – und zahlt einen Euro mehr pro Henne als anderswo.

„Dass Federpicken bei uns kein Problem ist, liegt auch daran, dass die Tiere viel mehr Platz haben als die Richtlinien vorschreiben“, ergänzt Schleich. 4,4 Hennen pro Quadratmeter Stall hält er, statt der erlaubten sechs. Bei einem Stall für 18.000 Tiere sind die Baukosten pro Hennenplatz deutlich geringer als bei einem für 3.000 Tiere mit mehr Platz.

Brauchen Hühner eine Bezugsperson?

Vierter großer Kostenblock sind die Löhne. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen rechnet künftigen EU-Bio-Eiererzeugern vor, dass sie einen Stall mit 18.000 Hühnern mit 0,6 Arbeitskräften bewirtschaften können. Ein besserer Teilzeitjob. Konventionelle Agrarberater veranschlagen zwei Kontrollgänge am Tag. „Wir sind jeden Tag mindestens vier bis fünf Mal im Stall“, sagt Markus Schleich. „Man muss mit den Hennen reden“, ergänzt Walter Höhne. Begrüßungslaute beim Betreten des Stalles, beruhigende Worte, wenn die Herde aufgeregt ist. „Die Tiere brauchen eine vertraute Bezugsperson.“ In Großanlagen mit 18.000 oder 24.000 Tieren sei oft nur angestelltes und schlecht bezahltes Personal tätig. „Die laufen durch den Stall und denken an den Feierabend.“ Ganz anders sei das bei einem Bauern, der 500.000 Euro in einen modernen Stall mit zwei mal 3.000 Hühnern investiert habe. „Für den hängt die Existenz dran, und dementsprechend engagiert er sich.“

All diese Unterschiede summieren sich. Die billigsten deutschen Erzeuger bieten ihre Bio-Eier dem Handel fertig verpackt für etwa 20 Cent an, schreibt die Agrarmarkt-Informationsgesellschaft AMI. „Zu diesem Niveau können wir nicht liefern“, sagt Walter Höhne. „24 bis 25 Cent, das ist ein Preis, mit dem wir und die Bauern leben können.“ Mit den Aufschlägen des Handels und der Mehrwertsteuer kosten die Biohennen-Eier im Laden dann um die 40 Cent. Markus Schleichs Eier verkaufen die Läden für 40 bis 45 Cent. Er verlangt seit Oktober 2012 drei Cent mehr. Für das Geld lässt er von seinem Hennenlieferanten die Brüder der Hennen aufziehen und mäs­ten. So will er das Dilemma auflösen, dass diese Küken üblicherweise schon am Tag ihrer Geburt getötet werden.

Initiative BruderHahn

Weil die „Legehähne“ schlechte Futterverwerter sind und nur langsam Fleisch ansetzen, rechnet sich das nur mit dem Aufschlag. In Norddeutschland haben der Bauckhof und einige Naturkostgroßhändler mit der BruderHahn-Initiative ein ähnliches Projekt gestartet. Eine andere Möglichkeit sind Zweinutzungshühner, also Tiere, die Eier legen und zur Mast taugen. Allerdings leisten sie in beiden Bereichen weniger als die üblichen Hybridlinien. Deshalb müssen ihre Produkte teurer verkauft werden.

Ein hoher Preis ist aber keine Garantie für eine besonders artgerechte Haltung. Mehr Sicherheit bieten die Logos der Anbauverbände Bioland, Demeter und Biokreis. Auch die Biohennen-Bauern gehören diesen Verbänden an. Am besten: einfach fragen. Viele Bio-Läden kennen ihre Lieferanten. Meist sind es regionale, bäuerliche Betriebe. Doch auch die Agrarindustrie liefert in Bio-Läden.

Interview: „Die Küken brauchen Anreize“

Christiane Keppler

Dr. Christiane Keppler hat an der Universität Kassel erforscht, wie sich Federpicken bei Lege­hennen vermeiden lässt

Die Verhaltensstörung Federpicken entwickelt sich oft schon bei Küken. Was läuft da schief?

Hühner verbringen zwei Drittel des Tages damit, ihr Futter zu suchen und zu verschlingen. Zwei Wochen alte Küken picken 10 000 bis 15 000 Mal am Tag nach Futter. Am interessantesten sind für sie Dinge, die glänzen. Denn das könnten Wassertropfen oder Käfer sein.

Und wenn kein Futter zum Picken da ist?

Stehen die Tiere relativ dicht und haben sonst nichts, dann picken sie eben nach den Federn des Nachbarn. Denn auch die Hülsen glänzen. Die Küken lernen dann, dass sie Federn fressen können.

Wie kann man gegensteuern?

Die Tiere nehmen ihr Futter relativ schnell über Futtertröge auf. Deshalb muss es zusätzliche Angebote geben. Wichtig sind eine gut strukturierte Einstreu mit Körnern drin, Futterkörbe mit Raufutter, etwa Rüben, sowie Picksteine. Und natürlich Auslauf mit Gras, sobald sie etwas älter sind. Die Tiere brauchen so viel Platz und Anreiz wie möglich.

Nicht nur die Küken?

Das gilt auch für ausgewachsene Hennen. Auch sie können Federpicken entwickeln. Bei ihnen kommt als weitere Ursache noch Nährstoffmangel hinzu, wenn in der Nahrung Salze fehlen oder essenziell wichtige Aminosäuren.

Sind große Herden und große Betriebe anfälliger fürs Federpicken?

Da haben wir keine belastbaren Daten. Aus der Erfahrung kann ich sagen: Je größer die Betriebe sind, desto anspruchsvoller sind Management und Tierbetreuung. Daher ist das Risiko bei größeren Betrieben erhöht. Schiefgehen kann es aber auch einmal bei Kleinen.

Sind nackte Hühnerhintern normal?

Das ist nicht normal. Ich komme in viele Betriebe, die das sehr gut hinkriegen. Und es werden immer mehr. Aber auch die Besten können mal einen Durchgang haben, mit dem etwas schiefgeht. Das muss nicht am Halter liegen. Das kann ein Fehler bei der Aufzucht sein oder in der Futtermischung. Bio-Legehennen sind empfindliche Hochleistungstiere, die bis zu 300 Eier im Jahr legen.

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