Essen

„Ich habe fertig !“

ABSCHIED Die Bio-Pionierin und Chefin des Herstellers Zwergenwiese hat ihre Mütze genommen – nach fast vier Jahrzehnten. Unser Redakteur Manfred Loosen war zum Tschüss-Sagen da und hat erfahren, warum sich durch den neuen Besitzer gar nichts ändert.

ABSCHIED Die Bio-Pionierin und Chefin des Herstellers Zwergenwiese hat ihre Mütze genommen – nach fast vier Jahrzehnten. Unser Redakteur Manfred Loosen war zum Tschüss-Sagen da und hat erfahren, warum sich durch den neuen Besitzer gar nichts ändert.

Susanne Schöning war schon immer eine fröhliche Frau mit starken Idealen. Das ist auch bei unserem Treffen zu spüren. Wir sitzen im Besprechungsraum des Naturkost-Herstellers in Silberstedt, hoch oben im Norden Deutschlands zwischen Nord- und Ostsee. Vor uns Brote mit verschiedenen hauseigenen Aufstrichen, mit frischem Gemüse garniert, dazu Getränke: Uns geht’s gut; Susanne Schöning auch. Das merkt man ihr an. Sie lacht viel, ist offenbar rundum zufrieden mit der aktuellen Situation: Anfang des Jahres hat sie ihre Firma abgegeben. Seit sie sie in guten Händen weiß, scheint sie noch ein wenig fröhlicher. Mit Anfang 20 hatte sie als Ein-Frau-Unternehmen begonnen. Jetzt, knapp 40 Jahre später, hat sie ihr Lebenswerk an den Bio-Pionier Rapunzel verkauft. Warum an Rapunzel? „Meine Firma sollte in gute Hände kommen, sagt Susanne Schöning, „zu jemandem, der den gleichen Anstand hat wie wir.“

Anstand ein altes Wort, das für Susanne Schönung eine große Bedeutung hat. „Wir gehen mit Menschen anständig um“, sagt sie, „mit unseren Produzenten, unseren Mitarbeitern und natürlich mit unseren Kunden.“ Das bleibt auch so, wenn die Zwergenwiese zu Rapunzel gehört, ist die Ex-Chefin überzeugt. Fehlt ihr jetzt nicht etwas? „Nein, sagt sie, „es gab ja eine Verhandlungsphase; da habe ich mich lange genug daran gewöhnen können. Ich habe Wissen weitergegeben, Strukturen geschaffen, ich denke: ‚Es ist vollbracht!‘ Ich habe fertig!“

Die Neuen bei Zwergen-wiese sind „alte Hasen“

Die Firmenleitung liegt seit März in den Händen von Melanie Raeder, Jochen Walz und Jens Bahnsen. Ein Zeichen der Kontinuität, denn alle drei sind „alte Hasen“ bei Zwergenwiese: Melanie Raeder seit sechs Jahren, Jochen Walz seit zwölf und Jens Bahnsen schon seit 23 Jahren. Sie bringen ihre Erfahrungen aus Marketing, Vertrieb und Produktion in ihre neue Position ein. „Perfekte Nachfolger!, sagt Susanne Schöning. Und da ist es wieder, das fröhliche, optimistische Lächeln.

Lächelnd erinnert sie sich auch daran, wie alles begonnen hat mit Zwergenwiese. Es war auf der Schwäbischen Alb in der Küche ihrer „Landkommune“, wie sie sie liebevoll nennt. Hier war sie unter anderem fürs Kochen zuständig. Und eines Tages entstand beim Ausprobieren der erste „Zwiebelschmelz“: ein herzhafter Brotaufstrich aus Zwiebeln, Äpfeln und Gewürzen. Den Gästen bei einem privaten Fest schmeckte das so gut, dass Susanne „Aufträge“ bekam: „Mach’ uns doch bitte so ein Glas Zwiebelschmelz!“ Die erste Charge entstand.

„Das war überhaupt nicht geplant“, erzählt Susanne Schöning heute, „es ist einfach passiert.“ Von da an nahm die Firma Fahrt auf: immer mehr Zwiebelschmelz, der in Bio-Läden auf der Alb verkauft wurde, später mehr Sorten, irgendwann die erste Angestellte, weil es allein nicht mehr zu schaffen war. Die Erfolgsgeschichte von Zwergenwiese schrieb Susanne Schöning dann in Schleswig-Holstein weiter, denn hierhin zog das Heimweh sie zurück. Heute hat Zwergenwiese 100 Mitarbeiter; die süßen und herzhaften Brotaufstriche stehen in fast jedem Bio-Laden Deutschlands. Der Bürgermeister von Silberstedt, dem Zuhause der Firma, ist stolz auf seine Zwergenwiese. „Er verschenkt unsere Produkte, die er vorher im örtlichen Bio-Laden kauft, sogar an seine Gäste, erzählt Melanie Raeder.

Erdbeeren von nebenan

So groß Zwergenwiese auch geworden ist, man hat trotzdem das Gefühl, dass sich alle Mitarbeiter wie in einer gro-ßen Familie fühlen: Alle duzen sich, vom Azubi bis zum Chef. Bei unserem Rundgang stehen alle Bürotüren offen; Kommunikation ist wichtig. „Wir wären doch dumm, wenn wir nicht regelmäßig mit allen Mitarbeitern auf Augenhöhe sprechen würden“, sagt Jochen Walz, „so erkennen wir schnell, wenn es mal Probleme gibt, und wir lernen, was wir besser machen können.“ Deshalb gibt es regelmäßige Besprechungen – mit dem Produktionsteam genauso wie mit den Reinigungskräften.

Auch an den Rohstoffen ist man bei Zwergenwiese ganz nah dran. „Wir wollen die Rohstoffe aus ihrer Anonymität rausholen“, sagt Susanne Schöning. „Bio-Kunden wollen wissen, woher die Zutaten kommen. Am liebsten würden sie die Bauern sogar kennnenlernen.“

Zwergenwiese kauft, wenn möglich, direkt „vor der eigenen Haustür“ ein. So seien die Lieferbeziehungen sicher, zuverlässig und vertrauensvoll. Am Beispiel der acht Erdbeer-Bauern verdeutlicht Jochen Walz den Umgang miteinander: „Es hat sechs Jahre gedauert, bis wir sagen konnten: ‚100 Prozent der Erdbeeren kommen aus regionalem Anbau, hier aus Schleswig-Holstein‘.“ Es seien viele Gespräche notwendig gewesen: über die Sorten, über die benötigte Qualität, über die Hygiene. Den Zwergenwiese-Erdbeeren wird übrigens eine besondere Behandlung zuteil: Sie werden mit Handschuhen geerntet.

Gemeinsam mit den Bauern hat Zwergenwiese die Standards für beste Erdbeeren erarbeitet, die Mitte eines jeden Jahres die Nasen in Silberstedt betören. „Dann duftet es hier vier bis sechs Wochen ausschließlich nach Erdbeeren“, schwärmt Melanie Raeder, „100 Tonnen davon verarbeiten wir jedes Jahr.“ Sie hat den Duft dann sogar nachts in der Nase, denn sie wohnt direkt neben einem der Erdbeerfelder.

Bei einem Treffen, das man jedes Jahr mit den Bauern habe, gehe es um mögliche Probleme und ihre Lösungen, um einen Erfahrungsaustausch – und natürlich auch um die Preise für die kommende Saison. „Und auch dabei ist wieder der Anstand wichtig!“, wirft Susanne Schöning ein. Niemand werde über den Tisch gezogen. Gute Arbeit, beste Qualität habe nunmal ihren Preis.

Neben Erdbeeren verarbeitet Zwergenwiese auch bei Sonnenblumenkernen und Lupinen zu 100 Prozent regionale Rohware. „Die Lupine“, sagt Jens Bahnsen, „ist perfekt geeignet für unser nordisches Klima hier oben.“ Und sehr eiweißreich. „Wir nehmen aber nicht nur die Eiweiße raus“, sagt Susanne Schöning, „wir verarbeiten die ganze Bohne.“ Vor drei Jahren hatte Zwergenwiese die Idee, Lupinen als Basis für Aufstriche zu verwenden. „Das war ein großes Stück Arbeit“, erinnert sich Jens Bahnsen, „bis wir eine Lupinensorte mit wenig Bitterstoffen gefunden hatten.“ Wie das gelungen ist? Betriebsgeheimnis! Und zwar ein erfolgreiches: Die veganen Lupilove-Aufstriche waren vom Start weg ein Renner.

Unerbittliche Qualitätssicherung

Kein Geheimnis ist, dass einige Rohstoffe aus Übersee kommen. Papayas, Mangos, Pfeffer wachsen hier nun mal nicht. „Aber partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen sind uns auch da wichtig“, sagt Susanne Schöning. Das gelte für die Qualität der Ware genauso wie für die Lebensqualität der Bauern in den Lieferländern.

Für beste Rohware und deren Kontrolle ist unter anderem die Abteilung „Qualitätssicherung zuständig; nach der Produktion die zweitgrößte Abteilung bei Zwergenwiese. Die „QS“ berät die Geschäftsleitung direkt. Und sie ist „unerbittlich“, sagt Jochen Walz. Jens Bahnsen fügt schmunzelnd hinzu: „Ein notorischer Störenfried! Aber wichtig!“

Dank ihrer Hartnäckigkeit gibt es den Deckel mit dem blauen Ring, ein Zeichen für PVC-freie Dichtungen. „Die ersten haben so gut geschlossen, dass die Kunden die Deckel nicht mehr hätten aufdrehen können“, erinnert sich Jens Bahnsen. PVC-freie Verpackungen sind nur logisch für eine Firma, die nach Werten wirtschaftet wie diesem: „Schütze unseren Planeten.“ Zwergenwiese hat seine Ideale niedergeschrieben. Wen wundert es, dass es bei den Zwergen sieben Werte wurden? (s. Foto auf Seite 47.) „Damit ist alles gesagt.“ Susanne Schöning lächelt wieder. „Und ich habe Nachfolger gefunden, denen diese Werte genauso wichtig sind!“

Über ihre eigene Zukunft verrät Susanne Schöning in unserem Gespräch nur so viel: „Die Themen bleiben die gleichen, ich werde mich weiter engagieren: für gute Böden, für gutes Zusammenleben, für eine gute Welt.“

Die Drei von der Zwergenwiese

„Der Verkauf wird wenig ändern“

NEUE FÜHRUNG

Melanie Raeder, Jochen Walz und Jens Bahnsen
leiten jetzt die
Geschicke auf der Zwergenwiese.

In den späten 1970er-Jahren fing alles mit Zwiebelschmelz an. Gut zehn Jahre später gründete Susanne Schöning auf einem Bauernhof in ihrer Heimat Schleswig-Holstein das Unternehmen Zwergenwiese. Neben vielen herzhaften und
süßen Brotaufstrichen stellt die Firma auch verschiedene Senfsorten, Ketchups und Saucen her: insgesamt fast 100 Produkte. Durch den gerade abgewickelten Verkauf von Zwergenwiese an den Bio-Pionier Rapunzel soll sich bei dem Naturkost-Hersteller aus dem hohen Norden wenig ändern: Produkte, Werte, Geschäftstätigkeit bleiben gleich. „ Das war – und ist noch – eine Märchenhochzeit , sagt Susanne Schöning, „ sowas von einig, wie wir uns sind, das habe ich selten erlebt. Wir haben einfach den gleichen Firmenduktus.“ Inhaltlich gibt es eine große Nähe zu Rapunzel; auch wenn zwischen den Zentralen stolze 900 Kilometer liegen: „ Wir sind die A-7-Connection , lacht Susanne Schöning: „ Rapunzel in Legau liegt im Süden der A 7, wir ganz im Norden. Die beiden Firmen werden unabhängig weiter wirtschaften: Lediglich beim Einkauf des einen oder anderen Rohstoffs könne man womöglich künftig zusammenarbeiten, sagen die neuen Chefs.

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