Essen

Hochglanzgemüse: makellos durch Pestizide

Möhren, Blumenkohl & Co. sollen im Regal blendend aussehen. Wie das erreicht wird, macht nicht nur Umweltschützer sprachlos.

Schön sehen sie aus, die Möhren und der Kohlrabi mit ihren grünen Blättern, hübsch aufgereiht im Regal. Wie frisch geerntet. Dafür zahlen die Kunden gerne ein paar Cent mehr, schließlich isst das Auge mit. Tatsächlich ist der Kohlrabi jedoch schon seit drei Tagen aus der Erde. Dass die Blätter immer noch sattgrün und makellos aussehen, hat einen anderen Grund:

Wie Pestizide und Stickstoff Gemüse makellos machen

Kurz vor der Ernte wurde der Kohlrabi ein weiteres Mal mit Pestiziden besprüht, damit kein Insekt an den Blättern knabbert, und er wurde nochmals gedüngt, damit die Blätter ergrünen. Der Großteil des Stickstoffdüngers versickert dabei jedoch ungenützt im Boden und gelangt langfristig in das Grundwasser. Das ausgebrachte Pestizid belastet die Umwelt und dezimiert die Artenvielfalt. Dabei schützt die ganze Aktion nicht einmal ein essbares Lebensmittel. Denn das Kohlrabiblatt landet zumeist in der Biotonne.

Das Beispiel mit dem Kohlrabi stammt aus einer Studie des Umweltbundesamtes, die aufzeigt, wie Standards des Lebensmitteleinzelhandels die Umwelt belasten. Dabei handelt es sich nicht um gesetzliche Vorgaben, sondern um Anforderungen, die der Handel an die Gärtner und Bauern stellt. Diese müssen sie erfüllen, wenn sie im Geschäft bleiben wollen.

Eine weitere dieser Anforderungen betrifft die Größe von Blumenkohl. „Deutschland ist das einzige Land in der EU, in dem Blumenkohl nicht nach Gewicht, sondern pro Stück vermarktet wird“, erklärt Lauren Mityorn vom Beratungsbüro Entera, die die Studie mitverfasst hat. Die Kohlköpfe müssten deshalb eine gewisse Größe erreichen und würden dazu in der zweiten Wachstumsphase viel gedüngt. Gleiches gilt für Kohlrabi, der es meist nicht ins Regal schafft, wenn er weniger als zehn Zentimeter Durchmesser hat.

Warum Misfits aussortiert werden

Keine Chance im Handel haben auch sogenannte Misfits, also krumme oder zweibeinige Möhren, zu große Zucchini oder Lauch mit Blattflecken. Die stammen von kleinen, saugenden Insekten, den Thripsen. Weil der Handel solche harmlose Flecken nicht akzeptiert, gehen Landwirte der Studie zufolge mit einem bienengiftigen Insektizid gegen die Thripse vor.

Optisch makellos müssen auch Äpfel sein, die deshalb keine Schorfflecken aufweisen dürfen. „Zur Bekämpfung des gesundheitlich unbedenklichen Apfelsilberschorfs werden Äpfel häufig mit krebserregenden beziehungsweise entwicklungsschädigenden Pflanzenschutzmitteln behandelt“, schildert das Umweltbundesamt (UBA) die Folgen.

Darum muss auch Bio-Gemüse makellos sein

Für Bio-Landwirte sind solche synthetischen Pestizide tabu. Das erspart der Umwelt und den Verbrauchern einiges an problematischen Rückständen. Den Bio-Landwirten macht es das Leben nicht unbedingt leichter. Denn auch Bio-Kunden haben hohe Erwartungen an die optische Qualität.

„Die Akzeptanz und Kaufbereitschaft für Bio-Äpfel mit Schalenfehlern ist gering“, stellten Wissenschaftler des Thünen-Instituts bei Gruppendiskussionen mit Bio-Kunden fest. Das führt dazu, dass Bio-Bauern mehrmals im Jahr natürliche Mittel wie Schwefel und Kupfer spritzen, um den Schorf und andere Pilzerkrankungen von ihren Äpfeln fernzuhalten. Dabei sind Schorfflecken auf der Schale gesundheitlich unbedenklich – aber eben ein sichtbarer Schönheitsfehler. Da auch Kupfer für die Umwelt nicht unbedenklich ist, sind die Mengen allerdings stark begrenzt.

So will die Bio-Branche den Einsatz von Kupfer verringern

„Viele Verbraucher bringen ihre Qualitätsvorstellungen von konventionellen Produkten mit. Deshalb hat die Bio-Branche jahrelang versucht, ihnen optisch makelloses Obst und Gemüse zu liefern“, sagt Norbert Schick selbstkritisch. „Doch unsere Bauern und Gärtner stoßen an ihre Grenzen.“ Schick leitet den Obst- und Gemüseeinkauf beim Bio-Großhändler Grell Naturkost und sitzt damit an der Schnittstelle zwischen den Erzeugern und den Bio-Läden mit ihren Kunden. Um den Einsatz von Kupfer und Schwefel weiter zu reduzieren, unterstützt Grell Naturkost die Züchtung schorfresistenter Apfelsorten. „Darüber hinaus versuchen wir, die Akzeptanz für optische Mängel bei unseren Kunden und den Verbrauchern zu schaffen“, erklärt Schick.

Das macht er auch bei Gemüse. „Wenn die Radieschenblätter von der Kohlmotte angeknabbert wurden, dann legen wir Zettel in die Kisten und erklären den Kunden, dass die Radieschen genauso gut schmecken wie immer.“ Oft melden sich die Landwirte schon vorab bei Schick, wenn die bestellte Ware nicht so schön auf dem Feld steht. „Dann finden wir Lösungen und kommunizieren sie“, sagt der Einkäufer. Mit einer Extraportion Kunstdünger die Pflanzen kurzfristig aufzupäppeln sei im Bio-Landbau sowieso nicht erlaubt. „Unsere Erzeuger bereiten den Boden langfristig schon im Herbst vor, etwa mit Kompostgaben.“

Schwerer tut sich Bio-Obst und -Gemüse mit kleinen Macken in Supermärkten. Dort liegt es neben aufgehübschtem konventionellen Obst und Gemüse und viele Verbraucher kaufen vor allem mit den Augen ein. Also muss in diesen Märkten auch Bio glänzen. Um der harten Auslese etwas entgegenzusetzen, bestücken Start-ups Abo-Kisten mit Bio-Obst und -Gemüse, das Supermärkte abgelehnt hatten. Doch das reicht bei Weitem nicht, die Auslese aufzufangen.

Das kann der Lebensmittelhandel tun

Um die Umweltfolgen durch diese „Schönheitskuren“ zu verringern, empfiehlt das Umweltbundesamt dem Handel, seine Standards zu entschärfen. Kohlrabiblätter könnten auf dem Acker bleiben und Blumenkohl nach Gewicht verkauft werden. Daneben braucht es aus Sicht des Amtes viel Aufklärung, um Kunden von den „Hochglanzprodukten“ zu entwöhnen, die derzeit im Handel zu finden seien. Die Verbraucher müssten lernen, dass die innere Qualität einwandfrei ist und das Produkt unbedenklich verzehrt werden kann, auch wenn es nicht makellos aussieht. Oder kurz gesagt: Auf die inneren Werte kommt es an.

Zum Wegwerfen gezwungen

  • Obst und Gemüse, das der Handel wegen der Größe oder optischer Mängel ablehnt, müssen Bauern und Gärtner entweder billig an Verarbeiter abgeben oder es gleich entsorgen.
  • Das Bundesernährungsministerium geht davon aus, dass gleich nach der Ernte 1,4 Millionen Tonnen Lebensmittel zu Abfällen werden. In der Verarbeitung kommen weitere 2,2 Millionen Tonnen dazu.
  • An dieser Zahl ändern auch einzelne Initiativen wenig, die „Krumme Dinger“ oder „Biohelden“ vermarkten. „Reichweite und Relevanz dieser Ansätze sind bislang noch als marginal zu bewerten“, schreibt das Umweltbundesamt.
Veröffentlicht am

Kommentare

Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.

Das könnte interessant sein

Unsere Empfehlung

Ähnliche Beiträge