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Grappa – viel edler als sein Ruf

Daß jeder Papa seinen Grappa in der Tasch' hat, wissen wir spätestens seit den Rodgau Monotones. Italienische Schnäpse gehören in vielen deutschen Restaurants schon lange zum guten Ton. Meist schweifen Genießer in die Ferne, obwohl doch das Gute so nahe liegt.

Tresterbrand

Daß jeder Papa seinen Grappa in der Tasch' hat, wissen wir spätestens seit den Rodgau Monotones. Italienische Schnäpse gehören in vielen deutschen Restaurants schon lange zum guten Ton. Meist schweifen Genießer in die Ferne, obwohl doch das Gute so nahe liegt. Heimische Tresterbrände halten jedem Vergleich locker stand. Nur beim Endverbraucher kam diese Botschaft bisher noch nicht an.

Feinschmecker schwärmen von italienischem Grappa oder französischem Marc, aber wer macht schon viel Aufhebens von Tresterbrand? Auf der Sympathieskala vieler Schnapsfreunde rangiert der deutsche Digestif noch immer weit hinter der ausländischen Konkurenz. Völlig zu Unrecht, denn außer den modisch klingenden Namen haben ihm die beiden anderen rein gar nichts voraus. Die Rohstoffe sind die gleichen, auch bei der Verarbeitung gibt es kaum Unterschiede. Einheimischer Tresterbrand ist entschieden besser als sein Ruf.

Nur das "Herzstück" sorgt für echten Trinkgenuß

Bei der Weinherstellung bleiben nach dem Abpressen der Trauben Beerenhäute, Kerne und ein paar Stiele zurück. Diese mäßig feuchte Masse, den Trester, haben die Winzer früher als Dünger in ihren Weinberg gekarrt oder zu einfachen Hausbränden verarbeitet, die sie nach Feierabend genossen. Erst als die Italiener erkannten, daß auch verwöhntere Gaumen an dem Getränk Gefallen finden, traten Grappa & Co. den Siegeszug an. Ob Riesling, Spätburgunder oder Gewürztraminer, Tresterbrand läßt sich aus jeder Traubensorte gewinnen. Wichtig ist, daß die Reste schnell verarbeitet werden, um den frischen Traubengeschmack zu bewahren. Nach mehrtägigem Liegen entwickelt sich ein störender Muffton. Der Trester wird in großen Bottichen eingestampft und mit Wasser übergossen, so daß er aufquillt und zu gären beginnt. Wie lange dieser Prozeß dauern soll, ist nicht verbindlich festzulegen. Kenner sprechen von maximal drei Monaten, weil sich sonst Bitterstoffe entwickeln, die das Geschmackserlebnis trüben. Im Brennkessel wird die Maische anschließend nochmals mit etwas Wasser verdünnt, damit die Aromen freiwerden und nichts anbrennt. Gute Qualitäten erhält man nur, wenn man die verschiedenen Phasen des Brennprozesses sauber trennt. Im Vorlauf bilden sich Fuselöle und andere flüchtige Stoffe, der Alkoholgehalt liegt anfangs bei rund 80 Prozent. Diese Flüssigkeit taugt nicht zum Trinken, sondern wandert zur Weiterverwertung in die Industrie. Im Mittellauf, dem sogenannten "Herzstück", wird der eigentliche Tresterschnaps gebrannt. Jetzt sinkt der Alkoholanteil merklich. Der noch alkoholärmere Nachlauf (20 bis 25 Prozent) ist oft schmierig-seifig und darf nicht ins Endprodukt gelangen. Trotzdem kippen ihn einige Billiganbieter wegen der höheren Ausbeute in den nächsten Brand.

Während des Brennvorgangs ist die Brennblase von einem Wasserbad umgeben, das die Maische vor unliebsamen Temperaturschwankungen schützt. Sie darf auf keinen Fall kochen, damit nicht zuviel Wasser verdampft. Schon bei 90 Grad wird der Alkohol flüchtig. Wegen der gleichmäßigeren Erwärmung heizt man nicht mit Holz, sondern in der Regel mit Öl.

Heiner Renn: Eine Lanze für deutschen Tresterbrand

Weil ein wohlschmeckender Tresterbrand nicht viel mehr als 40 Prozent haben sollte, wird er im Alkoholgehalt auf Trinkstärke heruntergesetzt. Dazu nimmt man demineralisiertes, das heißt entkalktes Wasser, das besonders weich ist und für einen angenehmen Geschmack sorgt. Der kann auch durch schwebende Eiweißstoffe beeinträchtigt werden, die es herauszufiltern gilt. Allerdings darf die Filtration nicht zu brutal erfolgen, da sonst das gesamte Aroma im Filter hängenbleibt.

Vor dieser Prozedur sollte der Tresterbrand eine gute Weile gelagert haben, am besten in Holzfässern. "Nicht unter zwei Jahren", meint Heiner Renn, eine Art "Papst" unter den deutschen Destillateuren. Er hat nach eigener Aussage den lange Zeit unterschätzten Tresterbrand bei uns "wieder salonfähig gemacht". Über das Holz kommen vanille- oder zimtähnliche Geschmacksnoten in den Brand, die nur dann zu einem harmonischen Ganzen führen, wenn die verwendeten Trauben von bester Qualität sind. Sonst erhält man einen "minderwertigen Schnaps, der nur nach Holz schmeckt".

Obstbaumeister Renn, der mit seiner Frau am Bodensee den ökologisch bewirtschafteten Burgunderhof führt, bricht mit Leidenschaft eine Lanze für deutschen Tresterbrand. "Der Gedanke an Abfall ist ebenso falsch wie die Einstufung als drittklassig". Im Gegenteil: In punkto Traubengeschmack sei der deutsche Grappa zum Beispiel dem Weinbrand eindeutig überlegen. Nach dem laxen Motto "für 'nen Schnaps reicht's immer noch" lassen sich befriedigende Ergebnisse jedoch kaum erzielen. Renn brennt seinen Trester ausschließlich aus Spätburgunder und wird von einigen Meisterköchen dafür geschätzt. Um Spitzentrester zu erzeugen, so Renn, seien eigene Weinberge und Kellereiwirtschaft Voraussetzung. "Traubig und sortentypisch" müsse er schmecken, sein teuerster Brand lagerte sechs Jahre im Holzfaß. Für diesen Edeltrester im hübschen Futura-Glas muß der Kunde stolze 178 Mark hinblättern. Daß der selbstbewußte Renn seinen Tresterbrand anders als die Weine nicht mit dem Öko-Label ausstattet, hat einen einfachen Grund: wenn Engpässe entstehen, kauft er gelegentlich Trester von (konventionell arbeitenden) Kollegen hinzu. An der absolut sauberen Verarbeitung ändert diese Tatsache aber nichts. Die durchaus erlaubten synthetischen Weichmacher, Alterungsmittel, Färbe- und Geschmacksstoffe kommen bei ihm selbstverständlich nicht ins Faß.

Aufwand des Winzers nicht angemessen entlohnt

Ganz auf Riesling setzt Uwe Weber aus dem Weindorf Lehmen an der Untermosel nahe bei Koblenz. Er läßt etwa die Hälfte seines Tresters zu Schnaps brennen, den übrigen Teil verwendet er als "wunderbaren Dünger". Weber ist seit 1989 Mitglied im Bundesverband ökologischer Weinbau (BÖW) und fühlt sich dem "Kreislaufdenken" besonders verpflichtet. Tresterbrand ist für ihn nur ein "Nebenerzeugnis", das wie Wein- und Hefebrand das Sortiment komplettiert. Eine eigene Brennerei rentiere sich für ihn bisher nicht.

Auch Weber ist vom Tresterbrand äußerst angetan: "Er schmeckt würziger als andere Traubenbrände". Daß er noch nicht die verdiente Wertschätzung genießt, führt er auf hartnäckig gepflegte Vorurteile zurück. Auch der Champagner habe ein derart exklusives Image, daß deutsche Sekthersteller damit nicht konkurrieren könnten. Dabei produzierten viele inzwischen ebenfalls nach der "methode champagnoise", täten handwerklich gesehen also genau das gleiche. Dieser Aufwand werde aber beim Griff ins Portemonnaie vom Kunden nicht angemessen entlohnt.

Marc de Gewürztraminer: Demeter und unfiltriert

Im elsässischen Pfaffenheim bei Colmar stellt der Demeter-Winzer Jean-Pierre Frick seinen Marc de Gewürztraminer nach althergebrachter Methode in kleinen Mengen selbst her. Zwar betrachtet er wie die meisten Antroposophen den Schnaps mit kritischer Distanz, da er den materialistisch gesinnten Menschen von heute in dieser fatalen Einseitigkeit bestärke. Während der Wein noch viele Mineralstoffe und Erdenergien in sich trage, also "Rohkost" repräsentiere, "geht der Schnaps durch's Feuer und behält nur noch Alkohol und flüchtige Aromen". Dennoch will Frick die Brennerei gerne als kulturelles Erbe bewahren. Wo Kinder beim Stichwort Milch oder Fisch nur noch viereckige Kartons assoziierten, sei der sinnliche Bezug zu tradiertem Handwerk umso wichtiger. Wirtschaftlich gesehen ist die Trester-Verarbeitung alles andere als ein rentables Geschäft. Frick benutzt nur Holz zum Feuern, aus ästhetischen wie aus ökologischen Gründen. Der Gewürztraminer besitzt einen derart fruchtigen Eigengeschmack, daß ihm eine Lagerung in Holzfässern dagegen nicht bekommt. Sie würde das Traubenaroma eher verfälschen. In Glasbehältern kann der Marc seine charakteristische rein-weiße Farbe am besten ausbilden. Eine weitere Besonderheit: Der Brand ist naturbelassen und wird nicht filtriert. Um Eintrübungen zu verhindern, muß Frick den Alkoholgehalt auf mindestens 48 Prozent einstellen.

Fricks Nachbar Eugène Meyer verfährt ähnlich. Er gehört zu den Pionieren der biologisch-dynamischen Anbauweise im Elsaß, wo er bereits 1969 die Demeter-Zulassung erwarb. Eine vorübergehende Augennervlähmung nach Sprühen eines chemischen Insektizides gegen Rotspinnen bewog ihn zum Umstieg. Demeter-Produkte lassen sich derzeit aber nicht nur in Frankreich schwer absetzen. Von der Resonanz auf der Frankfurter BIOFACH '95 war Meyer ebenfalls enttäuscht. "Wir dachten, die Leute in Deutschland sind offener". Weil er sich finanzielle Kraftakte nicht so häufig leisten kann, blieb er diesmal Europas größter Bio-Messe fern.

Die meisten Öko-Winzer, die Tresterbrände verkaufen, betreiben die Brennerei nur als Steckenpferd, nur wenige haben eine eigene Konzession. Direktvermarktung steht an erster Stelle, auch Restaurants zeigen sich oft interessiert. Heiner Renn beliefert 70 Gastronomen in ganz Deutschland mit seinen Edel-Alkoholika, ist aber sicher eine Ausnahmeerscheinung. Weil Grappa und Tresterbrände selten in den Naturkost-Großhandel und die Bioläden gelangen, erfährt der Endverbraucher von der Entwicklung auf diesem Sektor so gut wie nichts. Viele ahnen nicht einmal, welch delikate Brände die Öko-Winzer auf Lager haben.

Hans Krautstein

Buchtip und Adressen

  • Axel und Bibiana Behrendt: Grappa. Der Guide für Kenner und Genießer. München: Heyne Verlag 1994. (240 Seiten, 44 DM).
  • Bundesverband Ökologischer Weinbau (BÖW), Am Zuckerberg 19, 55276 Oppenheim,

    Telefon 06133-1640, Fax 1609.

  • Jean-Pierre Frick, Domaine Viticole Pierre Frick, F-68250 Pfaffenheim, Telefon 0033-89496299
  • Heiner und Andrea Renn, Burgunderhof Hagnau, Sonnenbühl 30, 88709 Hagnau, Telefon 07532-43100, Fax 431043.
  • Uwe Weber, Sekt- und Weingut Karl Weber, Hauptstraße 3, 56332 Lehmen, Telefon/Fax 02607-4042.
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