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Schulessen: Gemüse statt Salami-Pizza

Wie kann man Kinder für gesundes Essen begeistern – und wo? Ernährungsexperten setzen auf Schulen. So könnte es gehen...

Die Zahlen alarmieren: 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren sind übergewichtig, fast sechs Prozent leiden unter Fettsucht. Das ist bedenklich, warnen Mediziner. Denn Folgekrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Gelenkbeschwerden sind damit vorprogrammiert.

Wie Corona das Essverhalten verändert hat

Das Übergewicht kommt nicht von ungefähr. In einem Drittel aller Familien in Deutschland wird nur noch ein- bis viermal die Woche selbst gekocht, erläutert Professor Berthold Koletzko, Kinderarzt und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. Stattdessen kommen häufig Convenience-Gerichte, Fast Food oder energiereiche Snacks auf den Tisch. „Ungesundes Essverhalten bei Kindern und Jugendlichen hat sich während des Corona-Lockdowns bei einem Teil sogar noch verstärkt“, mahnt Koletzko. Die Stiftung Kindergesundheit fordert deshalb Programme, die eine Veränderung des Essverhaltens bewirken.

Warum Schulen die Lösung für gesunde Ernährung sein können

Doch wo ansetzen? Vieles spricht für Schulen: 8,3 Millionen Kinder und Jugendliche sind an Schulen gemeldet. Knapp 87 Prozent von ihnen, also etwa 7,2 Millionen, haben nach Angaben des Nationalen Qualitätszentrums für Ernährung an Kita und Schule (NQZ) die Möglichkeit, an ihrer Schule eine warme Mittagsmahlzeit einzunehmen – fünf Tage die Woche. An fast jeder Schule gibt es zudem eine Pausenverpflegung.

„Studien aus dem Ausland zeigen, dass über die Schulverpflegung das Ernährungsverhalten in und außerhalb der Schule verbessert werden kann“, sagt Professorin Ulrike Arens-Azevedo, Expertin auf dem Gebiet Gemeinschaftsverpflegung in Schulen und Kitas. Allerdings muss dafür das Angebot in den Schulen stimmen. Doch das tut es meist noch nicht.

Gesundes Mensa-Essen – so geht's

„Es gibt zu häufig Fleisch, zu selten Fisch und keineswegs täglich frisches Obst, Gemüse und Salat“, weiß Arens-Azevedo aus Studien. Sie plädiert für verbindliche Standards, etwa den Qualitätsstandard für Schulverpflegung von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Folgen Mensaleitungen diesen Prinzipien, steht regelmäßig Essen mit Salaten, frisch zubereitetem Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst, Nüssen und Saaten sowie Vollkornprodukten auf dem Tisch. Die DGE betont, dass die Standards auch kreative Möglichkeiten zur Optimierung bieten. Beliebte aber weniger gesunde Gerichte könnten durch Tausch oder Ergänzung einzelner Komponenten sehr gut aufgewertet werden, beispielsweise, wenn Spaghetti in Vollkornvariante mit Tomatensoße und einer Portion Salat serviert werden, anstelle einer fleischhaltigen Bolognese. Zu Bio machen die DGE-Qualitätsstandards – trotz ihres Anspruchs, nachhaltig zu sein – bisher keine festen Vorgaben.

Ernährungstipps für Schulmensen

Die Tipps der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) richten sich an Köche und Küchenpersonal, eignen sich aber auch gut als Argumentationshilfe für Eltern.

  • Frische Farbe hat Vorrang. Täglich Gemüse und Salate, 2 x in der Woche als Rohkost. Hülsenfrüchte zählen mit: einmal wöchentlich bei Mischkost, bei Vegetariern häufiger. Abwechslung ist Trumpf!
  • Sattmacher mit Stärke – am besten Vollkorn. Mindestens jeden Tag Brot, Nudeln, Müsli, Reis, Quinoa und Amaranth oder Kartoffeln. Pommes, Rösti, Püree u.ä. maximal 1 x pro Woche. Tipp: aus Klimaschutzgründen Reis selten, stattdessen Dinkel, Hirse o.ä.
  • Frische Vitamine, gute Fette. Obst gehört dazu – ob frisch oder tiefgekühlt, beides ist erlaubt, Hauptsache 2 x pro Woche. Regional und saisonal hat Pluspunkte. Immer auch unverarbeitet in Stücken anbieten. Ergänzung für Vegetarier: Nüsse und Saaten mindestens 1 x pro Woche. Tabu sind gezuckerte und gesalzene Varianten!
  • Milch und Milchprodukte. 2 x wöchentlich Milch, Naturjoghurt, Buttermilch, Dickmilch, Quark in Natura, das heißt ohne Zucker und Süßungsmittel. Käse: weniger fette Sorten wählen. Alternativen zu Milch (z.B. Pflanzendrinks) werden in den DGE-Standards nicht berücksichtigt.
  • Tierische Eiweißlieferung. Fleisch, Wurst, Fisch und Eier. ‚Maß halten‘ lautet die Devise: Mageres Fleisch wählen – am besten Geflügel, selten Wurst (insgesamt max. 1 x pro Woche 60 bis 90 g Fleischwaren). Eier: frei verwendbar, für Vegetarisches häufiger. 1 x pro Woche Fisch, am besten fetter Seefisch (Makrele, Lachs).
  • Fette und Öle mit Qualität. Pflanzliche Öle in kleinen Mengen. 30 bis 40 g aufsummiert über die Woche. Rapsöl als Standard, mit Oliven-, Soja-, Lein-, Walnussöl ergänzen. Streichfett: Margarine.
  • Getränke. Reichlich anbieten. Trinken ist frei: Wasser, Früchte- und Kräutertee. Nicht ins Angebot gehören süße Getränke (Limos, Nektare, Fruchtsäfte ...).

So kommt Bio-Essen in die Schule

Doch schon jetzt gibt es vielversprechende Initiativen: Mit „Bio kann jeder“ oder „BioBitte“ werden Interessierte mit Informationen und Workshops versorgt. Starken Rückenwind erhält das Thema Bio zudem lokal durch immer mehr Kommunen, die in der Schulverpflegung einen Bio-Anteil von 10, 20 oder mehr Prozent verbindlich ausschreiben, beispielsweise Teilnehmer aus dem Bio-Städte-Netzwerk.

Schulessen: Wie teuer ist Bio?

Gesundes Bio-Essen in der Mensa sei zu teuer, heißt es oft, wenn es darum geht, Schulessen zu verbessern. Dem Preisargument kann man jedoch gelassen gegenüberstehen, stellt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fest. In einer Studie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ermittelte das Ministerium für ein Grundschulessen einen Preisunterschied von gerade mal vier Cent pro Mahlzeit, wenn auf DGE-Standards umgestellt wird. Über eine bessere „Prozess-Effizienz“, zum Beispiel durch Umstellung auf Selbstbedienung, könnten die vier Cent häufig sogar direkt wieder eingespart werden. 20 Prozent Bio-Anteil erhöht die Kosten pro Mahlzeit nochmals um etwa 10 Cent. Wenn 100 Prozent Bio-Zutaten genutzt werden, schlägt das mit einem Euro Mehrkosten zu Buche.

„Mehr Bio“ löst jedoch nicht überall sofort Begeisterung aus. „Viele fürchten eine Preissteigerung bei der Verwendung von Bio-Lebensmitteln“, erzählt Julia Sievers vom Verein „Forum für Internationale Agrarpolitik“ in Hamburg. Sievers leitet dort das Projekt „Gutes Essen macht Schule“. Dieses umfasst Fortbildungen, individuelle Beratungstermine, aber auch praktische Dinge wie vegetarische Kochworkshops. Außerdem setzt sich der Verein für kommunalpolitische Vorgaben ein, die für mehr Bio und mehr Nachhaltigkeit in der Kita- und Schulverpflegung sorgen. Bei den Veranstaltungen seien viele überrascht, wenn sie hören, wie kostengünstig Kochen mit Bio-Lebensmitteln sein kann, wenn das Einkaufsverhalten und die Speiseplangestaltung verändert werden, erzählt Sievers. Ihr Tipp: „Wenn weniger Fleisch verwendet wird, sinkt der Preis merklich und es wird gesünder.“

Warum Schulessen kostenlos sein sollte

Ob mit oder ohne Bio, viele Schulmensen kämpfen akut mit leeren Stühlen: Es fehlt an Akzeptanz, auch seitens der Eltern. Das sei ein Problem, erklärt Professor Achim Spiller von der Uni Göttingen. Denn wenn ein Teil der Eltern ihre Kinder nicht an der Verpflegung teilhaben lasse, könnten finanziell aufwendige Verbesserungen des Schulessens nicht durchgesetzt werden. Ziel müsste nach Meinung des Marketingspezialisten nahezu die 100-Prozent-Marke sein. Nur dann könne eine wirklich gute Versorgung preiswert und wirtschaftlich angeboten werden. Noch besser wäre es, wenn das Essen für Kinder kostenlos wäre, findet Achim Spiller.

Was aber hält die Jugend davon ab, die Angebote in der Schule anzunehmen? „Die Gründe sind vielfältig“, erklärt Ulrike Arens-Azevedo: „Der häufigste Grund ist der Geschmack.“ Dann kämen Argumente wie „lieber zu Hause Mittag essen“, aber auch „keine Lust“ oder „keinen Hunger“ zu haben. Die kurze Pause, eine schlechte Atmosphäre in der Schulmensa oder komplizierte Bestell- und Bezahlvorgänge spielten ebenfalls eine Rolle. Alle diese Punkte gehören auf den Prüfstand und müssten mit allen Beteiligten – also auch mit den Schülerinnen und Schülern – bearbeitet werden, findet Arens-Azevedo. Auf diese Weise habe auch eine Überarbeitung des Speiseplans in Richtung gesundes Essen eine Chance, akzeptiert zu werden.

Tipps von Caterern

Manche haben es schon geschafft: „Die Schulköche“ in Berlin etwa verarbeiten zu mehr als 50 Prozent Bio-Lebensmittel und richten sich nach den DGE-Standards. Der Caterer verzeichnet in Grundschulen eine 90-prozentige Teilnahme am Mittagstisch. In den Klassen 1 bis 6 ist das Essen in Berlin seit 2019 kostenfrei. Ältere Schüler werden von „Die Schulköche“ mit attraktiven Snackangeboten versorgt. Unter dem Motto „Brunch@school“ gibt es kleine Speisen, warm und kalt, mit ausreichendem Anteil an Gemüse oder Vollkorn-Produkten.

Mehrfach ausgezeichnet wurde der Bio-Caterer „biond“ aus Kassel für seine Schulverpflegung. Eines der Konzepte überzeugt Schülerinnen, Schüler, Eltern und Ernährungsfachkräfte gleichermaßen: Es lädt die Essensteilnehmer ein, aus einem Buffet-Angebot von bis zu sieben Stationen zu probieren, und lässt neben vielen frischen Lebensmitteln auch mal „aufgewertetes Fast Food“ wie Vollkorn-Pizza zu. Biond-Geschäftsführerin Jana Fuhrmann-Heise wünscht sich von Schulen und Behörden mehr Flexibilität: „Es wäre gut, wenn Konzept und Angebot bei Ausschreibungen eine größere Beachtung finden, meist zählt hier viel zu sehr der Preis.“ Durch eigenes Engagement könne man aber auch bei geringem Budget viel beim Schulessen bewegen, ist sie überzeugt – und macht damit allen, die an Schulverpflegung beteiligt sind, Mut zur dringend nötigen Veränderung.

Mehr zum Thema Essen in der Schule

Das gesunde Klassenzimmer“: Initiative der Stiftung Kindergesundheit

Initiative des Bundesernährungsministeriums für gesundes Essen

Nationales Qualitätszentrum für Ernährung an Kitas und Schulen

Infos zum Projekt „Gutes Essen macht Schule

Schulcatering Raum Berlin „Die Schulköche

Biond: Prämiertes Bio-Schulcatering mit Buffetlösungen

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