Essen

Essen nach der inneren Uhr

Beim Abnehmen kommt es nach aktuellen Forschungsergebnissen auch auf das richtige Timing der Mahlzeiten an. // Dr. Edmund Semler

Beim Abnehmen kommt es nach aktuellen Forschungsergebnissen auch auf das richtige Timing der Mahlzeiten an. // Dr. Edmund Semler

Die Chronobiologie, die Wissenschaft von der inneren Uhr, sieht das anders. Sie erforscht den Einfluss biologischer Rhythmen auf den Organismus. Zahlreiche biologische Rhythmen wurden bereits näher beschrieben: So weisen etwa Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz, Nieren- und Leberfunktion sowie die Konzentration von Hormonen, Glucose, Kortisol und Elektrolyten einen ausgesprochenen Tag-Nacht-Rhythmus auf. Die Pharmazie zieht aus diesen Erkenntnissen bereits Nutzen. So hat die Chronopharmakologie bei über 100 Medikamenten eine zeitabhängige Wirkung nachgewiesen.

Das derzeit größte Gesundheitsproblem ist die Verfettung unserer Gesellschaft. Normalgewichtige Männer jenseits der 35 bzw. Frauen jenseits der 55 sind in Deutschland inzwischen in der Minderheit. Die Chronobiologie liefert wichtige Hinweise im Kampf gegen Übergewicht. Dies betrifft vor allem die Fragen: Wie oft soll ich am Tag essen? Und: Machen üppige Abendessen dick?

Rund ein Drittel der Bevölkerung hat einen ungeregelten Tagesablauf ohne feste Strukturen. Flexibilität als oberste Maxime führt zunehmend zur Entstrukturierung des Tagesablaufs und Essverhaltens. In den letzten 30 Jahren ist die Anzahl der täglichen Mahlzeiten von drei auf fünf angestiegen, die durchschnittliche Essenspause von 4,5 auf 3,5 Stunden gesunken. In der Hektik des Alltags verzichten viele auf regelmäßige Mahlzeiten und essen nach dem Gelegenheitsprinzip. Personen mit geregeltem Tagesablauf haben hingegen meist auch ein geordnetes Essverhalten.

Essen: Nur bei echtem Hungergefühl

In den letzten Jahren wurden viele wissenschaftliche Konzepte zur Gewichtsreduktion entwickelt. Deren Erfolgsquoten liegen, bezogen auf fünf Jahre, unter zehn Prozent. Bei keinem der Konzepte spielt das Hungergefühl eine zentrale Rolle. Möglicherweise liegt aber gerade darin der Schlüssel zur erfolgreichen Reduktion und Stabilisierung des Körpergewichts. Dafür spricht eine Studie von Mario Ciampolini von der Medizinischen Universität in Florenz: 74 übergewichtige Personen wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Allen Teilnehmern wurde der Verzehr von einem Kilogramm Gemüse und Obst sowie 30 Minuten Bewegung pro Tag empfohlen. Die Versuchsgruppe wurde sieben Wochen lang darin geschult, ein Feingefühl für aufkommenden Hunger zu entwickeln, das heißt sie sollten nur bei echtem Hungergefühl essen.

Nach fünf Monaten praktizierten die Teilnehmer mit trainiertem Hungergefühl ein Drei-Mahlzeiten-Tagesschema und hatten im Durchschnitt 6,7 Kilogramm an Gewicht verloren, während es bei der Kontrollgruppe nur 3,4 Kilogramm waren. Zudem waren tägliche Kalorienzufuhr sowie Schlafbedarf signifikant geringer. Die Florenz-Studie bestätigt eine wichtige Erkenntnis, die der Chronobiologe Jürgen Aschoff (1913–1998) bei seinen Andechser Bunkerexperimenten (1964–1989) gewinnen konnte: In einer Welt der künstlichen Zeitlosigkeit ohne externe Zeitgeber stellt sich beim Menschen alle vier bis fünf Stunden ein Hungergefühl ein. Orientiert sich der Mensch an diesem inneren Hungerrhythmus, so praktiziert er ein Drei-Mahlzeiten-Tagesschema.

Die Biochemikerin Linda Morgan von der University of Surrey (England) hat in mehreren Studien untersucht, wie sich späte, opulente Abendmahlzeiten physiologisch auswirken. Sie stellte fest, dass dieselbe Mahlzeit abends einen deutlich stärkeren Anstieg des Blutzucker- und Insulinspiegels zur Folge hat als morgens. Laut Morgan ist es für die Gesundheit vorteilhaft, morgens und mittags mehr und abends deutlich weniger Kalorien aufzunehmen.

Dies bestätigen Studien des Mediziners Franz Halberg von der University of Minnesota, einem der Pioniere der Chronobiologe. Er verabreichte zwei Gruppen eine Woche lang täglich nur eine Mahlzeit mit 2000 Kilokalorien, entweder morgens oder abends. Jene Gruppe, die ihre Mahlzeit morgens verzehrte, wog nach einer Woche durchschnittlich etwa ein Kilogramm weniger. Bei der anderen Gruppe blieb das Gewicht unverändert. Weitere Untersuchungen zeigten, dass eine energiereduzierte Kost zu einem größeren Gewichtsverlust führt, wenn diese vorwiegend morgens verzehrt wird, was mit der Wirkung des Abendessens auf den Insulinspiegel zusammenhängt. Ist dieser hoch, kann in der Nacht kein Fett abgebaut werden.

Nichts zwischendurch und wenig abends essen

Basierend auf dem Phänomen, dass kohlenhydrat- und proteinreiche Mahlzeiten bei Gesunden und Typ-2-Diabetikern eine starke Insulinausschüttung hervorrufen, führte Marthinette Slabber vom Department of Human Nutrition der University of the Orange Free State in Südafrika folgende Trennkost-Studie durch: An zwei Gruppen je 15 adipöser Frauen wurden die Wirkungen zweier energiereduzierter Diäten auf Insulinspiegel und Gewichtsverlust untersucht. Beide Gruppen nahmen die gleiche Kalorienmenge auf. Doch eine Gruppe ernährte sich nach den von William Howard Hay empfohlenen Prinzipien (keine kohlenhydrat- und proteinreichen Mahlzeiten, keine Zwischenmahlzeiten). Nach zwölf Wochen wies diese Gruppe günstigere Nüchtern-Insulin-Werte auf und hatte durchschnittlich fast zwei Kilogramm mehr an Gewicht verloren, was etwa 14000 Kilokalorien entspricht.

Die ungünstige Auswirkung von Zwischenmahlzeiten dokumentiert eine Studie des Internisten Volker Schusdziarra. Er hat über 2400 Ernährungsprotokolle Übergewichtiger ausgewertet, die teils nachmittags circa 300 Kilokalorien verzehrten, teils darauf verzichteten. Personen mit Zwischenmahlzeit nahmen abends dieselbe Kalorienmenge auf wie jene ohne. Eine Zwischenmahlzeit nachmittags hat also keinen Einfluss auf die abendliche Kalorienzufuhr. Essen zwischendurch verhindert ein Absinken von Insulin und somit einen Fettabbau zwischen den Mahlzeiten. Ein hoher Insu-linspiegel fördert die Fetteinlagerung. In vier- bis fünfstündigen Essenspausen kann der Insulinspiegel absinken, sodass Fett verbrannt wird.

Japanische Forscher der University of Yamanashi untersuchten an Studenten die Auswirkungen einer Lebensweise, bei der zwischen 19 und 1:30 Uhr mindes-tens die Hälfte der täglichen Kalorienmenge aufgenommen wird. Nach drei Wochen lieferte der Organismus nicht mehr die sofort benötigte Insulinmenge für eine tagsüber verzehrte Mahlzeit.

Diese chaotische Insulinreaktion gilt als Vorstadium von Diabetes. Noch schlechter sind die Auswirkungen bei „Night Eaters“, die mehr als die Hälfte der täglichen Kalorienmenge nach 22 Uhr zuführen. Spätes Essen beeinträchtigt auch die Schlafqualität. Nach 19 Uhr beginnt die Produktion von Schlafhormonen. Isst man spätestens drei Stunden vor dem Einschlafen, erhöht sich der Melatoninspiegel im Blut, man schläft tiefer und erholsamer.

Wer also auf sein Gewicht achten möchte, sollte nur bei Hunger essen, Essenspausen von 4 bis 5 Stunden einlegen und abends wenig essen (siehe unten).

Sinnvolle Strategie zum Abnehmen

Übergewicht: Folge der Entrhythmisierung des Alltags

Jüngste Untersuchungen der spanischen Medizinerin Marta Garaulet von der Universität Murcia erhärten die These, dass Übergewicht und Adipositas auch eine Folge der Entrhythmisierung unseres Alltags sind. Besonders unregelmäßiges, schnelles, häufiges und spätes Essen begünstigt das Entstehen von Übergewicht.

Drei Mahlzeiten täglich ohne Zwischenmahlzeiten

Ein traditionelles Essverhalten mit zwei oder drei geregelten Mahlzeiten pro Tag ohne Zwischenmahlzeiten (und Essenspausen von vier bis fünf Stunden) sowie mit einer knapp bemessenen Abendmahlzeit ist eine gute Voraussetzung, Übergewicht zu reduzieren und das Körpergewicht langfristig zu stabilisieren.

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