Gesundheit

Migräne und Ernährung: Wie hängt das zusammen?

Schmerz lass nach: Mit der passenden Ernährung können Migräne-Geplagte die Krankheit zwar nicht wegessen, aber zumindest einiges bewirken. Unsere Autorin hat bei Migräne-Spezialisten in ganz Deutschland nachgefragt.

Wer Laktose nicht verträgt, verzichtet auf Milchprodukte. Wer auf Erdnüsse allergisch reagiert, isst keine. Was wäre, wenn sich auch Migräne mit der richtigen Ernährung bekämpfen ließe? Bestimmte Nahrungsmittel vom Speiseplan verbannen, andere gezielt essen – Kopfschmerzen einfach wegessen? So leicht ist es leider nicht.

Etwa sechs Prozent aller Männer und 15 Prozent aller Frauen in Deutschland leiden laut Robert Koch-Institut unter Migräne. Die Attacken sind oft so intensiv, dass sie das tägliche Leben beeinträchtigen. Anders als beim Spannungskopfschmerz sind die Kopfschmerzen meist einseitig, pulsierend und werden durch Bewegung schlimmer. Reize wie Licht, Geräusche oder Gerüche sind unerträglich. Das hat Auswirkungen – nicht nur für die Betroffenen selbst und ihr soziales Umfeld, sondern aufgrund der Vielzahl von Migränekranken auch für die Volkswirtschaft: Die Folgekosten, die jedes Jahr durch migränebedingte Arbeitsausfälle und Produktivitätseinschränkungen entstehen, gehen Schätzungen zufolge allein hierzulande in die Milliarden. Heilbar ist die Erkrankung bislang nicht. Allerdings lassen sich bei vielen Betroffenen mit dem richtigen „Management“ die Heftigkeit und Häufigkeit der Migräneattacken reduzieren – und bei der Erkrankung kann auch die Ernährung helfen.

Was ist Migräne und welche Ursachen gibt es?

Noch sind die Ursachen von Migräne nicht völlig erforscht. Klar ist: Die Veranlagung zu dieser Krankheit ist genetisch bedingt. Offenbar funktioniert bei Migräne-Patientinnen und -Patienten die Reizverarbeitung im Gehirn anders – ein Migränegehirn steht quasi immer unter Hochspannung und verbraucht dadurch sehr viel Energie. Bestimmte Triggerfaktoren können dann eine Attacke auslösen. Selten führt ein Trigger allein zu einer Attacke. Trigger sind zum Beispiel Stress, Lärm oder grelles Licht, hormonelle Schwankungen oder auch Wechsel im Tages- und Lebensrhythmus. „Oft ist bei Migräne die ‚Schwankung‘ das Problem und der Auslöser von Attacken“, sagt Dr. Myriam Schwickert-Nieswandt von der Migräne- und Kopfschmerzpraxis Wiesbaden. „Das gilt auch für das Wetter mit dem Wechsel vom Hochdruck auf Tiefdruck und umgekehrt.“

Kopfschmerzarten

Fachleute unterscheiden bis zu 400 Arten von Kopfschmerzen. Am häufigsten sind Spannungskopfschmerzen, unter denen fast jeder Mensch irgendwann einmal leidet und die oft durch Stress oder muskuläre Verspannungen ausgelöst werden.

Die zweithäufigste Kopfschmerzform ist die Migräne: Sie äußert sich in mittleren bis starken pulsierenden Schmerzen auf einer Kopfseite. Migräneattacken können zwischen vier Stunden und drei Tage andauern und werden teils von neurologischen Symptomen wie Sehstörungen eingeleitet. Migräne geht oft mit Übelkeit sowie Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit einher.

Seltener sind Cluster-Kopfschmerzen: sehr starke, stechende Schmerzen auf einer Kopfseite im Bereich von Schläfe und Auge. Oft treten sie über Tage und Wochen gehäuft auf und dann wieder längere Zeit gar nicht.

Können bestimmte Lebensmittel Migräne auslösen?

Auch bestimmte Nahrungsmittel können Kopfschmerzen mit auslösen – allerdings nicht bei allen Betroffenen und nicht immer. Als Beispiele nennt Dr. Hartmut Göbel, ärztlicher Direktor der Schmerzklinik Kiel, den sogenannten Hot-Dog-Kopfschmerz, ausgelöst durch zu hohe Nitratspiegel. Nitrat kommt etwa in Wurst und Fleischwaren vor. Ebenfalls Kopfschmerz auslösen kann ein zu hoher Glutamatspiegel im Blut etwa durch Geschmacksverstärker in Gewürzen: das sogenannte „China-Restaurant-Syndrom“. Solche Stoffe und alkoholische Getränke können auch bei Personen, die nicht zu Migräne neigen, Kopfschmerzen auslösen. „Wenn Nahrungsmittel Kopfschmerzen auslösen, werden sie als sekundäre Kopfschmerzen bezeichnet, nicht als Migräne diagnostiziert“, sagt Göbel.

Kopfschmerz-Expertin Dr. Myriam Schwickert-Nieswandt zufolge gehört Rotwein zu den wenigen Lebensmitteln, bei denen ein bewiesener Zusammenhang mit Migräne besteht. Menschen, die diesen Zusammenhang bei sich selbst beobachtet haben, rät die Ärztin, besser auf Alkohol zu verzichten, weil „Alkohol häufig verantwortlich ist für einen stärker schwankenden Blutzuckerspiegel, der ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Migräneattacken spielt.“ Künstliche Süßstoffe wie Aspartam, oft enthalten in Light-Produkten und Erfrischungsgetränken, sowie histaminhaltige Lebensmittel wie Käse, Salami oder Tomaten, stehen ebenfalls im Verdacht, Kopfschmerzen negativ zu beeinflussen.

Welche Nahrungsmittel helfen bei Migräne?

„Migräne-Betroffene sollten ihre individuellen Reaktionen auf Lebensmittel beobachten“, findet Schwickert-Nieswandt. Auch wenn es aus medizinischer Sicht keine pauschale Migräne-Diät für alle Betroffenen gibt. Eine ausgewogene Ernährung mit frischen, vollwertigen Produkten und wenig Fertiggerichten, Wasser, ungesüßtem Tee und wenig Zucker, wie es auch Gesunden empfohlen wird, scheint den Fachleuten zufolge für Migränekranke besonders zuträglich. Viele Argumente sprechen laut Schwickert-Nieswandt außerdem für eine Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren ist, die beispielsweise in Nüssen, Leinsamen, Chiasamen und Fisch zu finden sind. Ihrem Kollegen Hartmut Göbel zufolge ist es für eine gute Nervenfunktion wichtig, den Körper regelmäßig und ausreichend mit komplexen Kohlenhydraten zu versorgen, enthalten etwa in Vollkornprodukten und Nüssen.

Gibt es eine spezielle Migräne-Diät?

Ernährungskonzepten wie der ketogenen Diät, bei der die Zufuhr an Kohlenhydraten etwa aus Brot, Kartoffeln oder Nudeln stark reduziert wird, zugunsten von ausgewählten Fetten und Proteinen, stehen sowohl Göbel als auch Schwickert-Nieswandt skeptisch gegenüber. Dr. Caroline Jagella, Chefärztin in der Neurologie der Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein im Taunus, geht hingegen davon aus, dass eine ketogene Ernährung auch bei Migräne helfen könnte. Die Annahme: Durch die hohen Fett- und Proteinanteile soll der Blutzuckerspiegel konstant bleiben. Jagella verweist auf mehrere aktuelle Studien, die eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf vermuten lassen. Es gelte herauszufinden, wer auf die ketogene Diät anspricht und welche Form des Ernährungskonzepts im Alltag praktikabel und erfolgreich sein kann, so Jagella. „Ich habe von Patienten bislang gute Rückmeldungen erhalten. Noch zu klären ist, über welchen Zeitraum die ketogene Diät eingehalten werden und ob sie dauerhaften Erfolg haben kann.“ Die Keto-Diät soll ab diesem Jahr in ihrer Klinik ausgewählten ambulanten Migräne-Patienten angeboten und wissenschaftlich begleitet werden.

Dr. Hartmut Göbel: „Das Migräne-Gehirn ist ständig in Aktion“

Migräne-Spezialist Hartmut Goebel

Herr Professor Göbel, wie entsteht eine Migräne und was hat die Ernährung damit zu tun?
Migränepatienten haben ein sehr leistungsfähiges Gehirn. Sie nehmen Reize sehr schnell wahr und verarbeiten sie. Sie denken quasi um drei Ecken, haben schon Antworten auf Fragen, die noch gar keiner gestellt hat. Sie fühlen tiefer, Gedanken werden mit mehr Emotionen verknüpft. Sie denken zurück, grübeln mehr, machen sich intensivere Gedanken in der Gegenwart und denken auch voraus. Das Migränegehirn ist ständig in hoher Aktion und muss rund um die Uhr arbeiten. Dazu benötigen die Nervenzellen viel Energie. Überlastet man die Energievorräte, kann das eine Migräneattacke hervorrufen. Viele Patienten kennen Migräne- attacken nach Stressphasen. Die Attacke wird im Vorfeld von Heißhunger nach Hochkalorischem eingeleitet. Hier versucht das Gehirn noch schnell mehr Energie aufzunehmen.

Wie kann man Energiedefiziten vorbeugen?
Ein gleichmäßiger konstanter Blutzuckerspiegel hält die Nervenfunktion adäquat aufrecht. Diäten, Hungerphasen, das Auslassen von Mahlzeiten sind ungünstig. Regelmäßiges Essen von komplexen Kohlenhydraten ist wichtig und hat sich in der klinischen Praxis bewährt. Insbesondere ist ein kohlenhydratreiches Frühstück notwendig, da über Nacht keine Energie aufgenommen wurde. Häufig treten Migräneattacken in den frühen Morgenstunden aus dem Schlaf heraus auf.

Können bestimmte Nahrungsmittel oder Zusatzstoffe Migräneattacken verursachen?
Frühere Vorstellungen, dass bestimmte Nahrungsstoffe Migräneattacken auslösen, haben sich nicht bestätigt. Migräne ist keine Nahrungsmittelallergie. Sie ist eine eigenständige Kopfschmerzerkrankung. Sind Nahrungsmittel – zum Beispiel Glutamat oder Alkohol – in der Lage Kopfschmerzen auszulösen, werden diese als sekundäre Kopfschmerzen bezeichnet und nicht als Migräne diagnostiziert. Beispiele sind der sogenannte Hot-Dog-Kopfschmerz, der durch zu hohe Nitratspiegel ausgelöst wird. Auch das sogenannte China-Restaurant-Syndrom wird durch zu hohe Glutamatspiegel in Gewürzverstärkern ausgelöst. Auch alkoholische Getränke können Kopfschmerzen auslösen. Bei all diesen Beispielen handelt es sich jedoch nicht um primäre Migränekopfschmerzen, sondern um sogenannte symptomatische oder sekundäre Kopfschmerzformen.

Wieso ist Regelmäßigkeit für Migräne-Betroffene so wichtig?
Stress, Anspannung, unregelmäßiger Tag- und Nachtrhythmus, alles zu Viele, alles zu Schnelle, alles zu Plötzliche kann einen zu hohen Energieverbrauch der Nervenzellen bedingen. Daher ist es wichtig, dass man solche Faktoren vermeidet und die Energiebalance in den Nervenzellen im Gleichgewicht hält. Nach diesem Modell können Migränepatienten selbst ihren Tagesablauf gut regulieren und verstehen, warum sie bei entsprechender Überschreitung dieser Regeln Migräneattacken generieren. Auf der anderen Seite können sie im Detail selbstständig reflektieren, was sie an ihrer Tagesplanung und ihrem Verhaltens- und Erlebensweisen ändern können, damit weniger Migräneattacken durch zu hohen Energieverbrauch entstehen. Dies können z.B. Faktoren wie Stress oder übermäßig körperliche Belastung sein. Aber auch Ängste, Konflikte, Anspannungen und Depressionen können Migräneattacken auf dieser Grundlage verstärken. Solche Faktoren sollten daher auch therapeutisch angegangen werden.

Tipps für den Alltag mit Migräne und Kopfschmerzen

Leichter zu beantworten als was man essen sollte, ist das Wie: nämlich regelmäßig. „Das Migräne-Gehirn liebt Regelmäßigkeit und Routinen“, weiß Dr. Myriam Schwickert-Nieswandt. Sie rät zu einer „Rhythmisierung des Alltags“ mit regelmäßigen Mahlzeiten. „Eine gute Balance zwischen Anspannung und Entspannung wirken vorbeugend“, ergänzt sie. Regelmäßiger Ausdauersport sowie Entspannungstraining in den schmerzfreien Phasen wirkt Studien zufolge ebenfalls vorbeugend. „Für den Anfang“, so die Medizinerin, „tun es auch Spaziergänge und Bewegung an der frischen Luft“.

Insgesamt sollten Lebensmittel als Auslöser von Kopfschmerzattacken nicht überbewertet werden, da noch zahlreiche andere Faktoren abgesehen von der Ernährung eine Rolle spielen können. Dennoch lohnt es sich, genau zu beobachten, ob und welche Lebensmittel Schmerzattacken triggern. Eine Auslassdiät ist erst sinnvoll, wenn ein Nahrungsmittel eindeutig als persönlicher Trigger identifiziert ist. Und auch dann rät Dr. Schwickert-Nieswandt dazu, die Auslöser eher gut zu „managen“ als krampfhaft zu vermeiden: „Migräne-Betroffene müssen ohnehin schon viele Einschränkungen hinnehmen, sodass ein ‚Verkomplizieren‘ des Alltags eine unnötige psychische Belastung darstellen kann.“

Mehr zum Thema

Kopfschmerz-Triggern auf der Spur: Hier gibt es kostenlose, werbefreie Apps für den persönlichen Kopfschmerzkalender:

www.schmerzklinik.de/die-migraene-app

www.dmkg.de/patienten/dmkg-app

Kopfschmerz- und Migränefachleute in Ihrer Nähe:

www.dmkg.de/kopfschmerzexperten

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