Zucker
Zu Beginn der Naturkostbewegung hätte man diesen Artikel nicht schreiben können, denn damals gab es noch keinen Zucker im Bioladen. Mit braunem Vollrohrzucker begann die Trendwende. Inzwischen sind fast alle gängigen Zuckersorten in Bio-Qualität zu haben - von Vanille-, Puder- und Gelierzucker bis hin zu weißem Zucker aus heimischen Rüben.
Wie sich die Zeiten ändern: "Zucker ist ein Lebensmittel, das aus der heutigen Ernäh-rung nicht mehr wegzudenken ist", schreibt die Firma Byodo in ihrem neuesten Produktin-fo zum Rübenzucker. Vor einigen Jahren überwog in der Bioszene noch die Meinung, dass Zucker - vor allem weißer - nichts im Naturkostladen zu suchen hätte. Die Gründe sind bekannt: Zucker ist ein stark verarbeitetes Lebensmittel und wird für verschiedene Zivilisationskrankheiten mit verantwortlich gemacht.
Die Naturkost-Hersteller suchten nach Alternativen und wurden zuerst beim Honig fün-dig, dann bei Ahornsirup, Fruchtdicksäften und Getreidemalz. Eine Ideallösung für alle Fälle scheinen die alternativen Süßungsmittel bis heute jedoch nicht zu sein. Manchen stört der stärkere Eigengeschmack, andere tun sich schwer mit der Konsistenz oder dem richtigen Dosieren. Was im Privathaushalt noch angehen mag, wird vor allem für Verar-beitungsbetriebe leicht zum Problem. Nicht zuletzt deshalb - und weil sich zunehmend das Genussprinzip durchsetzte - fand man bald zum Zucker-Kompromiss.
Rapunzel kam als Erster mit einem biologischen Vollrohrzucker auf den Markt. Anders als der konventionelle Weißzucker, der aus Zuckerrohr- oder rüben gewonnen wird und als chemisch reines Konzentrat zu fast 99,9 Prozent aus Saccharose besteht, enthält der unraffinierte Vollrohrzucker noch einige Begleitstoffe, zum Beispiel mehr als 1,5 Prozent Mineralstoffe. Für den "Rapadura", wie Rapunzel seinen Vollrohrzucker nennt, wird das bis zu 2,5 Meter lange Zuckerrohr von Hand mit der Machete geerntet, gesäubert und zerkleinert, dann wird in mehreren Pressvorgängen der Saft herausgepresst. Dieser wird in einer Verdampfungsanlage zu Sirup eingedickt, getrocknet und anschließend zermah-len. Um die feinkrümelige Struktur zu erhalten, gibt man den Vollrohrzucker durch ein Sieb. Das fertige Produkt hat einen karamellartigen Geschmack, der ebenso wie die bräunliche Farbe von der Melasse stammt, einer zähflüssigen Masse, die man bei der Herstellung von raffiniertem Haushaltszucker vollständig entfernt. Gewöhnliche Melasse findet in erster Linie Verwendung als Viehfutter oder in der Rumproduktion. Für den Naturheilpraktiker Walter Binder "zeugt dies von menschlicher Dummheit", denn die dunkelbraune bis schwärzliche Melasse sei wegen ihres Gehalts an Mineralstoffen, Vitaminen und organischen Säuren "das eigentlich Wertvolle" am Zuckerrohr.
Für diejenigen, die sich an der Dunkelfärbung und herben Geschmacksnote nicht stö-ren, bietet Rapunzel Rohrzuckermelasse auch als eigenes Produkt im Glas an. Es ist nach Angaben des Herstellers reich an Magnesium und Eisen und deshalb für Schwan-gere, Stillende und Sportler interessant. In der Küche dient es zum Süßen verschiedener Backwaren.
Weil sich der kräftig schmeckende Vollrohrzucker nicht für alle Verwendungszwecke eignet, hat Rapunzel seit kurzem auch einen milderen Rohrohrzucker im Sortiment. Er wird besonders zum Süßen von Getränken, Desserts und feinem Gebäck empfohlen. Im Unterschied zu Rapadura durchläuft der Zuckerrohrsaft beim "Cristallino" nach dem Pressen noch eine Raffinationsstufe. Zunächst impft man die Flüssigkeit mit natürlichen Zuckerkristallen (Starter), um den Kristallisationsprozess einzuleiten. Am Ende werden die Kristalle durch Zentrifugieren von der Melasse getrennt und mit Wasser gereinigt (Raffination). Da ein kleiner Rest von Melasse im kristallinen Rohrohrzucker verbleibt, zeichnet sich Rohrohrzucker durch einen goldenen Farbton aus.
Puderzucker wird im Bioladen zwar noch selten verlangt, trotzdem kommt Naturata (wie auch Rapunzel) diesem Kundenbedürfnis nach. Für Naturata wird Puderzucker aus Rohrohrzucker der Sorte "Syramena" (Eigenname) gewonnen, den man in Paraguay anbauen lässt. Nach dem Trocknen wird er staubfein vermahlen, mehr nicht. Mit der Sorte "Demerara" (aus Guatemala) führt Naturata noch einen zweiten Rohrohrzucker, der kürzer zentrifugiert wird und so etwas mehr Melasse enthält. Noch malziger schmeckt der "Sucanat Vollrohrzucker" aus Costa Rica, der am geringsten verarbeitete Zucker im reichhaltigen Sortiment. Zu diesem gehört außerdem Würfelzucker, den man aus "Sy-ramena Rohrohrzucker" herstellt, der mit Wasser befeuchtet und entsprechend geformt wurde.
Care Naturkost in Sittensen hat sich ganz auf Rohrohrzucker verlegt, den man aus Brasilien und Argentinien importiert. Das Zuckerrohr (Saccharum officiarum), ein tropi-sches Gras, wird zu dem Zeitpunkt kurz über dem Boden abgeschlagen, wenn der Sac-charosegehalt ein Maximum erreicht hat, meist in trockenen und kühlen Wetterperioden. Da der Saccharosegehalt mit der Lagerung abnimmt, muss die Ernte schnell vor Ort verarbeitet werden. Der Rohsaft wird mit Kalk (CaO) versetzt und gereinigt, um den Säurewert höher einzustellen. Nach Erhitzen im Wärmetauscher (100-105 Grad), Ver-dampfung unter Vakuum und nochmaligem Kochen des Konzentrats im Vakuumkocher (65 Grad) beträgt der Wasseranteil statt der ursprünglich 75 Prozent im frischen Zucker-rohr nur noch maximal 0,08 Prozent. Qualitativ hochwertiger Zucker, so schreibt Care, sollte möglichst gleich große Kristalle aufweisen, je mehr Feinkorn er enthält, desto eher könne er bei der Weiterverarbeitung verklumpen.
Die Davert-Mühle, die Rohrohrzucker aus Süd-Brasilien einführt und hier verkauft, möchte ihn auf keinen Fall verwechselt wissen mit konventionellem braunen Zucker. Ein Irrtum, dem schlecht informierte Verbraucher oft erliegen. Bei gewöhnlichem Braunzucker nämlich handelt es sich um stark verarbeiteten Weißzucker, dem man nachträglich etwas Muttersirup beigibt. Der nur leicht verarbeitete Rohrohrzucker, so heißt es, sei dem braunen Zucker (dazu zählt auch Kandis) eindeutig überlegen. Er ist heller als Vollrohrzu-cker, sehr rieselfähig und lässt sich zur Herstellung von Biskuitteigen, Plätzchen, Kuchen und Puddings oder auch zum Süßen von Kaffee und Tee verwenden.
Ganz andere Wege geht das eingangs erwähnte Unternehmen Byodo, das Zucker aus in Deutschland angebauten Zuckerrüben gewinnt. Analytisch gesehen ist Rübenzucker mit (weißem) Rohrzucker identisch, doch während in Ostindien bereits um 300 nach Christi Geburt aus Zuckerrohr Sirup gemacht wurde, hat der Berliner Apotheker und Chemiker Andreas Sigismund Marggraf das Herstellungsverfahren für Rübenzucker erst 1749 entdeckt. Es wurde mit der Zeit noch verfeinert, hat aber im Prinzip noch heute Bestand. Für Byodo werden die Rüben nach der Ernte zerschnitzelt und im Brühtrog vorgewärmt. In 70 Grad heißem Wasser löst sich der Zucker aus den Rübenzellen und man erhält den Rohsaft. Der wird mit Kalk und Kohlensäure gereinigt, die die Nichtzu-ckerstoffe binden. Der klare Dünnsaft (Zuckergehalt: 16 Prozent) wird in mehreren Stufen eingedickt, übrig bleibt ein goldbrauner Dicksaft mit einem Zuckergehalt von 67 Prozent. Es folgen Einkochen, Zentrifugieren und Spülen mit Wasser, das den sich bildenden Sirupüberzug von den Kristallen entfernt. Durch häufiges Wiederholen dieser Schritte entsteht die so genannte Raffinade, ein weißer Kristallzucker.
Mit entscheidend für die Aufnahme von Rübenzucker ins Byodo-Sortiment war die Ab-sicht, den heimischen Zuckerrübenanbau zu unterstützen. Außerdem kann Byodo den Rübenzucker bei der Herstellung eigener Produkte einsetzen, was mit anderen Zuckerar-ten vorher nicht möglich gewesen sei. Der mit Vollrohrzucker gesüßte süße Senf, so erklärt Andrea Sonnberger, fing bei höheren Temperaturen im Sommer an zu gären. Vor allem wegen der Eiweißpartikel, die darin noch zu finden sind. Seit man den reineren Rübenzucker verarbeite, sei das Problem gelöst. Auch geschmackliche Gründe hätten zu der Umstellung geführt. Byodo hat sich bewusst für die Einführung eines weißen Zuckers entschieden, und der Rübenzucker hat, wie betont wird, "das eindeutig schönste Weiß".
Eine weitere Lücke im Zucker-Angebot der Naturkostläden schließen Biovita und Ra-punzel. Beide Firmen bieten Vanillezucker an, hergestellt aus Rohrohrzucker bzw. Vollrohrzucker und Bourbon-Vanille.
Als bisher einziger Hersteller hat Biovita Gelierzucker gelistet, ein Erzeugnis aus Rohrohrzucker und Apfelpektin. Das Pektin ist konventioneller Herkunft, da man die benötigten Mengen nicht in Bio-Qualität bekomme, so der Inhaber Thomas Schneider. Allerdings handle es sich um nicht standardisierte Ware, "die reinste Stufe" und laut EG-Bioverordnung für ökologische Lebensmittel zugelassen. Damit die Aufstriche und Mar-meladen beim heimischen Einkochen nicht zu süß werden, nimmt man zwei Teile Früchte und einen Teil Gelierzucker. Weil Pektin ein säuerliches Milieu braucht, um richtig zu "kleben", gibt man je nach Bedarf etwas Zitronensaft hinzu.
Hans Krautstein
Zucker im Naturkostladen
Biovita
Bourbon Vanillezucker
hergestellt aus Rohrohrzucker* und Bourbon-Vanille*
Gelierzucker
hergestellt aus Rohrohrzucker* und Apfelpektin
Byodo
Rübenzucker
hergestellt aus Zuckerrüben*
Care
Rohrohrzucker (Brasilien)
hergestellt aus Zuckerrohr*, eine Raffinationsstufe
Rohrohrzucker (Argentinien)
hergestellt aus Zuckerrohr*, eine Raffinationsstufe
Davert-Mühle
Rohrohrzucker
hergestellt aus Zuckerrohr*, eine Raffinationsstufe
Naturata
Sucanat Vollrohrzucker
hergestellt aus ganzem Zuckerrohr*, zerkleinert
Demerara Rohrohrzucker
hergestellt aus Zuckerrohr*, eine Raffinationsstufe
Syramena Rohrohrzucker
hergestellt aus Zuckerrohr*, eine Raffinationsstufe
Puderzucker
hergestellt aus Syramena-Rohrohrzucker*, staubfein zermahlen
Würfelzucker
hergestellt aus Syramena Rohrohrzucker*, gepresst
Rapunzel
Rapadura Vollrohrzucker
hergestellt aus ganzem Zuckerrohr*, zerkleinert
Rapadura Puderzucker
hergestellt aus Vollrohrzucker*, staubfein zermahlen
Cristallino Rohrohrzucker
hergestellt aus Zuckerrohr*, eine Raffinationsstufe
Rohrzuckermelasse
Nebenprodukt der Vollrohrzucker-Raffination*
Vanillezucker
hergestellt aus Vollrohrzucker* und Bourbon-Vanille*
- Vollrohrzucker enthält noch einige Begleitstoffe, zum Beispiel rund 1,5 Prozent Mineralstoffe
- Rohrohrzucker eignet sich besonders gut zum Süßen von Desserts und feinem Gebäck
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