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Der faire Unterschied

HANDEL In vielen Geschäften gibt es fair-gesiegelte Produkte – selbst in Discountern. Dennoch ist es nicht egal, wo man sie kauft.

HANDEL In vielen Geschäften gibt es fair-gesiegelte Produkte – selbst in Discountern. Dennoch ist es nicht egal, wo man sie kauft. // Leo Frühschütz

Bio und Fair sind Geschwister: Gezeugt vom Geist der 68er-Jahre, der die Welt ökologischer und gerechter machen wollte. Zusammen sind sie groß geworden, die eine in den Bio-Läden, die andere in Eine-Welt-Läden und Aktionsgruppen. Von dort haben sie sich aufgemacht in die weite Welt des Konsums. Heute stehen Bio und Fair in jedem Supermarkt und Discounter. Doch zu Hause sind sie dort nicht.

Bio-Lebensmittel kommen in Supermärkten und Discountern im Schnitt auf einen Marktanteil von drei Prozent. Ähnlich gering ist der Anteil von Fair- Trade-Tee und -Kaffee in ihrer Warengruppe. Anders gesagt: In konventionellen Supermärkten und Discountern sind 97 Prozent des Angebots weder bio noch fair – dafür aber oft sehr billig. Die Folgen davon tragen deutsche Milchbauern ebenso wie Kakaoerzeuger in Ghana oder die Arbeiter auf Ananas-Plantagen in Costa Rica (siehe Kasten). Gezielt nutzen manche Handelsketten die wenigen bio-fairen Produkte im Regal, um von den Schäden abzulenken, die sie mit dem Großteil ihres Sortiments und mit der Art und Weise ihres Handelns anrichten. Greenwashing nennt man das.

Gelebte Überzeugung

In Naturkostläden gibt es Bio-Lebensmittel nicht in geringen Mengen, um das Image aufzupolieren. Ihre Betreiber sind von Bio überzeugt und leben das in ihrem Ladenalltag. Auch fair gelabelte Lebensmittel finden sich dort, allerdings nicht so viele wie man unter Geschwistern vielleicht erwarten würde. Doch das lässt sich einfach erklären. Als die ersten Bio-Pioniere in den 80er-Jahren begannen, nach Produkten aus den Ländern des Südens in Bio-Qualität zu suchen, gab es zwar schon einige Fairhandels-Projekte, bei ihnen stand jedoch ein gerechtes Einkommen für die Kleinbauern an erster Stelle. Bio spielte im fairen Handel damals keine große Rolle – auch wenn das heute anders ist und über 70 Prozent der Fair-Trade-zertifizierten Lebensmittel aus Bio-Anbau stammen.

Aus der Not machten die Bio-Hersteller damals eine Tugend und bauten selbst Projekte auf. Sie kümmerten sich um Beratung und Zertifizierung ihrer Lieferanten, um die Qualität der Produkte und setzten nebenbei ihre Ansprüche an einen fairen und gerechten Handel um – ganz ohne Zertifizierung. Daraus entwickelten sich bei einigen traditionellen Naturkostherstellern langfristige Partnerschaften, in denen sie sich auch stark sozial engagieren, ohne dies groß nach außen zu tragen. Einzig Rapunzel hat mit seinen Hand-in-Hand-Kriterien ein eigenes, von externen Kontrolleuren zertifiziertes Fairhandelssystem geschaffen und kommuniziert das über ein eigenes Logo.

Ohne eine solche Zertifizierung müssen die Kunden den Fairhandels-Aussagen eines Herstellers schlicht vertrauen – oder nachfragen, wie er die einschlägigen Kriterien des fairen Handels umsetzt. Dazu zählen langfristige, transparente und partnerschaftliche Handelsbeziehungen ohne Zwischenhändler. Nur wer direkt bei den Erzeugern einkauft und sie regelmäßig besucht, lernt die Verhältnisse vor Ort kennen. Und ohne Zwischenhändler bleibt den Bauern mehr Geld.

Gezahlt werden im fairen Handel Preise, die die Produktions- und Lebenshaltungskosten der Bauern decken. Idealerweise werden sie auf Augenhöhe und einvernehmlich ausgehandelt, ohne auf das kurzfristige Auf und Ab der Rohstoffbörsen zu schielen. Für einige Standardprodukte wie Kaffee, Kakaobohnen und Bananen hat die Internationale Fair-Trade-Organisation FLO Mindestpreise festgelegt. Sie gelten allgemein als unterste Grenze dessen, was – auch ohne Siegel – als fairer Preis anzusehen ist. Üblich sind im fairen Handel auch Zuschläge, meist in der Höhe von 10 bis 15 Prozent des vereinbarten Preises. Sie fließen in Projekte vor Ort, die von der dortigen Gemeinschaft beschlossen werden. Das kann ebenso ein Brunnen wie ein Gesundheitszentrum, eine Schule oder eine ordentliche Lagerhalle sein.

Der faire Handel stärkt die Rechte der Kleinbauern und Arbeiter, unterstützt sie bei der Qualifizierung und fördert den Umweltschutz. Deshalb sind existenzsichernde Löhne auf den Plantagen genauso Thema wie Kranken- und Sozialversicherung, ordentliche Arbeitsverträge und Gewerkschaftsfreiheit. Bildungs- und politische Kampagnenarbeit, um die Regeln des Welthandels gerechter zu gestalten, sind ein weiterer wichtiger Bestandteil des fairen Handels.

Der Verbraucher sollte sich informieren, was „fair“ bei einem Produkt bedeutet. Nachfragen ist wichtig, weil Begriffe wie fair und nachhaltig auch in der Bio-Branche schnell mal auf der Verpackung stehen. Das gilt besonders bei Unternehmen, die Bio nur nebenbei machen, ansonsten aber auf dem konventionellen Markt mit ihren wenig fairen Gepflogenheiten zu Hause sind.

Nicht jedes Logo ist fair

Doch auch bei manchen der im Handel üblichen Fair-Nachhaltigkeits-Siegel ist Nachhaken angesagt. Denn sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte und haben deshalb verschiedene Kriterien, nach denen sie Erzeuger zertifizieren. So steht beim wichtigsten Logo, dem Fairtrade-Siegel, der faire Handel im Vordergrund, während der Bio-Anbau zwar gefördert, aber nicht gefordert wird. Der Fairtrade-Kakao, den große Schoko-Konzerne wie Ferrero oder Mars seit Kurzem kaufen, stammt etwa komplett aus konventionellem Anbau. Die Rainforest Alliance legt den Schwerpunkt auf den Schutz des Regenwaldes und darauf, konventionelle Plantagen zu einem etwas umweltverträglicheren Anbau zu bewegen. Die niederländische Organisation Utz Certified setzt stark auf die Qualifikation und Ausbildung der Erzeuger. Sie sollen nachhaltig arbeiten, hochwertigere Ware produzieren und so mehr Geld verdienen. Rainforest Alliance und Utz legen keinen großen Wert auf Bio-Anbau, sondern zielen auf den konventionellen Massenmarkt, den sie nachhaltiger machen wollen. Stiftung Warentest hat im Frühjahr Nachhaltigkeitssiegel unter die Lupe genommen. Sie attestierte dem Fairtrade-Siegel ebenso wie dem Hand-in-Hand-Logo von Rapunzel eine hohe Aussagekraft.

Die beiden im konventionellen Handel häufigen Siegel von Rainforest Alliance und Utz Certified schnitten hingegen weniger gut ab. Die Tester bemängelten fehlende Mindestpreise und wenig anspruchsvolle Kriterien. Testsieger war Naturland Fair. „Starke ökologische und sehr starke soziale Ausrichtung“, lobte die Stiftung Warentest das Siegel.

Ananas im Supermarkt

Oxfam kritisierte jüngst die Bedingungen auf Plantagen, die Ananas und Bananen für deutsche Handelsketten produzieren.

Flores Farm: Aktive Förderung von Kleinbauern

2005 stießen Jochen Wolf und Martin Steckdaub auf der indonesischen Insel Flores zufällig auf ein Bio-Cashewkern-Projekt. 560 Kleinbauern, tolle Kerne und keine Abnehmer. Kurz entschlossen kauften sie 60 Tonnen Nüsse und waren plötzlich Naturkosthersteller. „Weil wir von einem Projekt nicht leben konnten, machten wir uns auf die Suche nach besonderen Nüssen und Trockenfrüchten“, erzählt Jochen Wolf. In Peru bauten sie eine kleinbäuerliche Produktion von Bio-Physalis auf. „Das stand manchmal auf Messers Schneide, aber inzwischen steht unser Partner AgroAndino auf eigenen Füßen.“ Mittlerweile hat Flores Farm sechs solcher Projekte initiiert. Das Unternehmen unterstützt die Kleinbauern, baut die Verarbeitung auf oder finanziert die Bio-Zertifizierung. Noch kommt es ohne Fairhandels-Logo aus. Doch in einer Masterarbeit lässt Flores Farm erheben, „wie unsere Kunden die vielen Fair- Siegel bewerten und was sie von uns erwarten. Wir wollen wissen, wie wir unsere Arbeit am besten transparent machen.“

Dr. Goerg: Engagiert für Bauern und Kinder auf den Philippinen

Als Manfred Görg vor über zehn Jahren nach Lieferanten für seine damals geplanten Kokosprodukte suchte, machte ihn ein Freund, der dort lebt, auf die Philippinen aufmerksam. „Ich war direkt begeistert von der Kultur und Mentalität, der Herzlichkeit und Offenheit der Bevölkerung.“ Gemeinsam mit philippinischen Geschäftspartnern baute Manfred Görg dann ein Kokosnussprojekt auf. „Ein in diesem Projekt arbeitender Kokosbauer verdient etwa 400 bis 500 US-Dollar pro Monat“, sagt er und fügt hinzu, dass dies mehr als dreimal so viel sei wie bei zertifizierten Fairhandelsprojekten in Sri Lanka. „Wir kaufen kein Fair Trade – wir leben Fair Trade.“ Deshalb stattete das Unternehmen die beliefernden Kleinbauern mit 10 000 Kokospalmensetzlingen aus. Seit Jahren unterstützt Dr. Goerg auch das Hospicio de San José, eine der großen Sozialstationen in der Hauptstadt Manila. „Damit diese Hilfe ohne Umwege bei denen ankommt, die sie brauchen, verzichten wir bewusst auf kostenintensive Zertifizierungen.“

Oxfam-Bericht über Plantagen: Süße Früchte, bittere Erkenntnisse

Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat Plantagen in Costa Rica und Ecuador überprüft, auf denen für deutsche Handelsketten Ananas und Bananen produziert werden. Sie berichtet von Arbeitern, die weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten, und vom rücksichtslosen Einsatz giftiger Pestizide. Dabei waren zahlreiche Plantagen von Rainforest Alliance zertifiziert worden.

Das Logo der Rainforest Alliance – ein grüner Frosch – prangt auf konventionellen Produkten wie Kaffee, Kakao oder Tropenfrüchten. Es verspricht einen nachhaltigen Anbau und strenge Sozialkriterien.

„Unsere Recherchen vor Ort belegen, dass hierdurch die größten Probleme wie die Belastung durch Pestizide und die Verletzung von Arbeitsrechten nicht gelöst werden“, kritisiert Oxfam die Zertifizierung der Rainforest Alliance.

In einer ersten Stellungnahme schrieb Rainforest Alliance, dass kurzfristig eingeleitete Ermittlungen „die Anschuldigungen durch Oxfam nicht bestätigen“ konnten. Oxfam konterte, man habe anders als Rainforest Alliance bei den Recherchen Gewerkschaften und Arbeiter einbezogen. Nun wollen beide Organisationen zusammen „die arbeitsrechtliche Situation und die Lage des Umweltschutzes auf Rainforest-Alliance-zertifizierten Farmen“ überprüfen.

Oxfam und Rainforest Alliance sind sich darin einig, dass „nicht alle Probleme schnell bzw. ausschließlich durch Zertifizierungen behoben werden“ können, weil sie systemischer Natur seien. „Während Supermarktketten gegenüber Lieferanten Preise drücken und Kos-ten senken, brüsten sie sich vor Verbraucher/innen mit immer mehr Nachhaltigkeitssiegeln“, so Franziska Humbert von Oxfam.

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