Kolumne

Das Schwein in uns

Was der Kastenstand in der Schweinehaltung über uns Menschen und die Fleischindustrie verrät, fragt sich Fred Grimm in seiner Kolumne.

So eine Muttersau ist eigentlich auch nicht anders als wir. Kurz vor der Geburt setzt der Nestbautrieb ein. Ein weiches Plätzchen soll es werden, mit Gras und Laub, windgeschützt und möglichst warm. Wenn das Kind dann da ist, hat die Sau es am liebsten ungestört, schubst die Ferkel mit ein paar Nasenstubsern zu den Zitzen und genießt das Zusammensein der ersten Tage. Ansonsten sind Schweine ziemlich gesellige Tiere. Sie haben ein gutes Gedächtnis, sind neugierig, ausgesprochen reinlich und ziemlich schlau. Bei einigen Menschen, die sich noch immer dafür einsetzen, Muttersauen in den sogenannten „Kastenstand“ zu zwingen, wäre ich da nicht so sicher.

So ein „Kasten“, in den Schweinefleisch­fabrikanten ihre Tiere quetschen, ist im Prinzip nichts anderes als ein viel zu enger Käfig: 70 Zentimeter breit, 200 Zentimeter lang, ein Gestänge. Ein knappes halbes Jahr verbringt eine Zuchtsau aus der Massentierhaltung darin gefangen. Sie kann sich nicht um ihre Ferkel kümmern, gerät darüber unter großen Stress, hält – als reinliches Tier – verzweifelt Kot und Urin zurück, weil sie ihren Kindern nicht das Nest vollkacken will.

Dass sie – im Schnitt 90 Zentimeter hoch – sich nicht mal problemlos auf die Seite legen oder gar drehen kann, stört in der ganz, ganz großen Koalition aus CDU­CSUSPDFDP und Grünen, die diese Form der Tierhaltung im Bundesrat unlängst für die nächsten 15 Jahre durchgewunken hat, offenbar niemanden. Anstatt die von den Gerichten seit Jahren verdammte und von den Fleischfabrikanten seit Jahrzehnten geübte Praxis unverzüglich zu beenden, stecken wir in der nächsten „Übergangsfrist“ fest wie die Sau im Kasten. Jeder Zentimeter mehr Platz fürs Tier drückt Gewinne und Renditen. Ohne ginge es leider nicht. Die „nicht fixierte“ Muttersau würde ihre Brut zerdrücken. Eigentlich ein Wunder, dass Schweine in den vielen europäischen Ländern, in denen der Kastenstand verboten ist, nicht längst ausgestorben sind.

Ein System, das die Welt in wertes und zu verwertendes Leben teilt.

Fred Grimm

Hinter dem Muttersaukäfig – als eines von vielen Beispielen für die staatlich legitimierte Tierquälerei in Deutschland – steckt kein Sadismus, sondern die Logik eines Systems, das die Welt in wertes und zu verwertendes Leben teilt. Für uns mögen da hilflose Schweine stehen und leiden, für die politisch gehätschelte Schweinewirtschaft wird so unter optimierten Bedingungen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Fleisch produziert.

Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass dieses Denken auf Tiere beschränkt ist. Betrachtet man die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen, in denen so ein trauriges Sauleben endet, sieht man unterbezahlte Menschen auf engstem Raum, die unter hohem Druck in kürzester Zeit die immer gleichen monotonen Handgriffe verrichten müssen. In diesem System der totalen Effizienz, wie es die Fleischindustrie stilbildend für andere Branchen vorexerziert, steckt irgendwann auch der Mensch selbst im Kastenstand.

Fred Grimm

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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