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Weidepflicht bringt Bio-Höfe in Bedrängnis

Ab 2026 müssen Bio-Rinder auf die Weide – das fordert die EU-Öko-Verordnung. Was als Beitrag zu mehr Tierwohl gedacht ist, bringt viele Bio-Höfe an ihre Grenzen.

Bio-Landwirt Markus Küfner aus Oberfranken ist frustriert. Seit 35 Jahren bewirtschaftet er seinen Hof in der Nähe von Bayreuth ökologisch. Auf seinen 80 Hektar Grünland und 80 Hektar Ackerland hat er noch nie in seinem Leben Chemie versprüht. Seine 300 Rinder – darunter 160 Milchkühe – wohnen komfortabel in einem großzügigen, halboffenen Stall. 

„Meine Tiere können sich im Stall frei bewegen und bekommen viel frisches Grünfutter. Sie entscheiden selbst, ob sie lieber in der Sonne baden, im Schatten stehen oder sich an der Kuhbürste eine Massage gönnen möchten. Ihnen geht es gut“, sagt der Landwirt überzeugt. Als Küfner den Stall vor 20 Jahren baute, galt er in der Region als Vorzeigebauer, dem Natur und Tierwohl am Herzen liegen. Doch jetzt könnte für ihn Schluss sein mit Bio. Der Grund: Seine Tiere können nicht auf die Weide.

Druck auf Bio-Milchbauern wächst

Tierwohl hat in der Bio-Landwirtschaft schon immer einen hohen Stellenwert. Für Pflanzenfresser sind Weiden artgerechte Lebensräume, in denen sie sich bewegen und ihr Futter selbst suchen können. Auch Klima und Biodiversität profitieren, denn Weideland speichert mehr CO₂ als Ackerflächen und bietet Wildpflanzen, Vögeln und Insekten einen vielfältigen Lebensraum. Deshalb schreibt die EU-Öko-Verordnung schon seit 2007 vor, dass alle Öko-Betriebe ihren Rindern, Schafen, Ziegen und Pferden Weidezugang ermöglichen müssen. Doch jahrzehntelang wurde eine Stallhaltung wie im Fall von Markus Küfner aus strukturellen Gründen toleriert – wenn etwa ein Betrieb mitten im Ort lag oder keine geeigneten Weideflächen bereitstellen konnte. Das erlaubt die EU jetzt nicht mehr. Nur Witterung, Bodenzustand oder Seuchenschutz können den Weidegang noch verhindern. Betriebe ohne Weidezugang müssen in diesem Jahr ein Weidekonzept erstellen und dieses spätestens 2026 umsetzen.

Keine Weide, keine Bio-Milch?

Vor Küfners Hof fährt alle 30 Minuten der Stadtbus vorbei. Auch eine Autobahn- und eine ICE-Strecke liegen in unmittelbarer Nähe. Weiden gibt es hier zwar, doch nicht direkt am Stall, wo die Tiere zweimal täglich gemolken werden. „Es ist zu gefährlich, meine Kühe jeden Tag zweimal zum Melken in den Stall zu treiben. Und besonders im Sommer, wenn die Arbeitsbelastung im Betrieb sowieso schon am Limit ist, schaffen wir das auch personell nicht“, erklärt der Landwirt und klagt: „Ich habe noch nie Kunstdünger gestreut, bin Mitglied im Biokreis-Verband und habe viele Kollegen überhaupt erst von Bio überzeugt. Aber aktuell sieht es so aus, als würde ich dieses Jahr meine Bio-Zertifizierung verlieren.“ Dann kann er seine jährlich rund 1,2 Millionen Liter Milch nur noch zum konventionellen Preis verkaufen – etwa 10 Cent weniger je Liter.

Was ist Weidemilch?

Kühe grasen auf der Weide

In Deutschland ist der Begriff Weidemilch nicht gesetzlich geschützt. Das bedeutet, dass nicht klar geregelt ist, wie lange Kühe auf der Weide sein sollen, damit ihre Milch als Weidemilch verkauft werden darf. Das freiwillige Pro-Weideland-Label hingegen schreibt vor: Weidegang an mindestens 120 Tagen im Jahr mit insgesamt 720 Stunden. Dies wird in einem Weidekalender dokumentiert. Durch die Verschärfung der Weidepflicht ist denkbar, dass künftig mehr Bio-Betriebe ihre Milch als Weidemilch verkaufen werden. Übrigens: Weidemilch ist nicht automatisch auch Bio-Milch

Die Verluste müsste er irgendwie ausgleichen. Etwa durch billigeres, konventionelles Futter oder durch höhere Erträge auf den Feldern – mithilfe von Kunstdünger und Pestiziden. Ein Teufelskreis, bei dem auch die Bio-Fördergelder aus dem bayrischen Kulturlandschaftsprogramm wegfallen würden. Keine geringe Summe: In Bayern beträgt die Förderung im Schnitt 300 Euro pro Jahr und Hektar. Allerdings: bio und konventioneller Milchpreis lagen in  den letzten Jahren oft nicht allzu weit auseinander. Dadurch sei die Hemmschwelle, auf konventionelle Landwirtschaft rückumzustellen, geringer geworden, sagt der Biokreis-Verband. 

Bio-Verbände fordern Übergangsfristen

Viele Experten rechnen damit, dass einige Milchvieh-Betriebe dem Öko-Landbau nun aus wirtschaftlichen Gründen den Rücken kehren werden. Das träfe auch die Molkereien. Der Bayrische Bauernverband BBV geht davon aus, dass allein in Bayern durch die Weidepflicht rund 40 Prozent der Bio-Milch wegfallen könnten. Von den Demeter-zertifizierten Milchbauern der Schrotzberger Molkereigenossenschaft dürfen bislang 70 Prozent der Kühe auf der Weide grasen. „Die detaillierten Vorschriften sowie die kurzfristige Information von Politik und Behörden werden das Aus für viele Betriebe bedeuten“, heißt es in einer Pressemitteilung der Genossenschaft. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft bemängelt, dass die Weidepflicht weder Härtefälle berücksichtigt noch Flexibilität für regionale und betriebliche Besonderheiten bietet. Längere Übergangsfristen seien notwendig, damit möglichst viele Betriebe bio bleiben, betont der Bio-Spitzenverband in einer Stellungnahme. 

Investieren oder aufgeben?

Die Weidepflicht trifft vor allem Betriebe in Süddeutschland. Hier sind landwirtschaftliche Flächen oft klein, die Eigentumsverhältnisse kompliziert und potenzielle Weiden oft nur über vielbefahrene Straßen erreichbar. Der Bund Deutscher Milchviehhalter schätzt, dass bisher etwa ein Viertel der süddeutschen Bio-Milcherzeuger ihre Kühe nicht auf die Weide lassen.
So auch der Bio-Hof Knauer in Taing, 30 Kilometer nordöstlich von München gelegen. Die Geschwister Paul und Rosa Knauer führen den Naturland-zertifizierten Familienbetrieb in siebter Generation. Der Stall für ihre 70 Milchkühe hat sogar einen Kuhbalkon – aber keinen direkten Weidezugang. Paul Knauer sagt: „Unsere Jungrinder lassen wir heute schon auf die Weide. Doch das tägliche Ein- und Austreiben der Milchkühe zum Melken ist nicht machbar. Wir kriegen die Straßen nicht weg und können auch keine Tunnel oder Brücken bauen.“ 

Vergeblich hat der Junglandwirt versucht, hofnahe Flächen mit anderen Betrieben zu tauschen. Nun plant Familie Knauer einen Stallneubau im Grünen. Rund zwei Millionen Euro kostet diese Betriebsaussiedlung, weniger als ein Drittel davon kann über Fördergelder finanziert werden. Obwohl die Knauers dann Platz für fast doppelt so viele Tiere haben, geht ihre Rechnung ohne Idealismus nicht auf. „Wir treffen hier generationenübergreifende Investitionsentscheidungen in einem politisch unsicheren Rahmen. Wir können nur hoffen, dass sich die Regeln nicht in zehn Jahren schon wieder ändern“, so Paul Knauer

Viel Zeit bleibt ihm nicht für seinen Stallbau. Die Chancen auf längere Übergangsfristen und weitere Ausnahmeregelungen stehen schlecht. In Österreich wurde die Weidepflicht bereits 2022 scharfgestellt. Schätzungen zufolge haben vier bis zehn Prozent der Bio-Betriebe in der Folge auf konventionelle Wirtschaftsweise rückumgestellt oder sogar ganz aufgegeben. Für mehr Bio-Tierhaltung in Deutschland sind das keine gute Aussichten.

Weide oder Stall – was wollen die Kühe?

Interview

Porträt von Dr. Solveig March

Dr. Solveig March ist Tierwohl-Expertin am Thünen-Institut. Sie erforscht unter anderem, welchen Einfluss der Weidegang auf Milchkühe hat.

Sorgt Weidegang für mehr Tierwohl?  
Tierwohl umfasst drei Dimensionen: Gesundheit, Verhalten und Emotionen. Viele Studien sprechen dafür, dass Weidehaltung alle drei Bereiche positiv beeinflussen kann. Im Vergleich zu Betonböden bieten Weiden einen weichen, natürlichen Untergrund, der artgerechtes Verhalten ermöglicht. Regelmäßiger Weidegang schont die Gliedmaßen und kann helfen, Klauenerkrankungen vorzubeugen. Auf einer Weide können die Tiere außerdem ihre Individualdistanzen besser einhalten, was Stress reduziert. Einige Studien belegen sogar eine geringere Sterblichkeitsrate bei Weidetieren. Grundvoraussetzung für diese positiven Effekte ist jedoch ein gutes Weidemanagement. 

Kann Weidehaltung denn auch Nachteile für die Tiere haben?
Auf der Weide ist es schwieriger, sicherzustellen, dass die Tiere in ausreichendem Maß das richtige Futter fressen. Das kann vor allem bei Hochleistungskühen problematisch sein. Zudem sind Weidetiere häufiger von Endoparasiten wie Magen-Darm-Würmern betroffen. Und hohe Temperaturen ohne die Möglichkeit, Schatten aufzusuchen, sorgen für Hitzestress – bei Rindern schon ab 20 °C.

Gibt es Studien, die belegen, wie sehr Kühe von sich aus auf die Weide wollen?
Eine Studie der University of British Columbia hat untersucht, inwieweit Kühe dafür arbeiten, auf die Weide zu gelangen. Dafür mussten sie ein beschwertes Tor anschieben. Die Studienautorinnen und -autoren stellten fest, dass Kühe ebenso hart für den Zugang zur Weide arbeiteten wie für den Zugang zu frischem Futter. Das ist ein Indikator dafür, dass sie großes Interesse am Weidegang haben. 

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