Wieder und wieder werde ich gefragt, ob denn die Tage gezählt seien, in denen der ökologische Landbau wächst und gedeiht und als Zukunftsmodell für Landwirtschaft und Ernährung dienen kann. Mir ist diese Situation bekannt. Schon 1992 gab es für Bio einen Dämpfer und dieselben mitleidigen Fragen. Aber davor und danach gab es nur eine Richtung für die Entwicklung von Bio – nach oben.
Das wird auch jetzt wieder so sein. Und ob wir dann eines der vielen politischen Ziele – zum Beispiel 25 Prozent Bio in der EU oder 30 Prozent Bio in Deutschland, Bayern oder Hessen – wirklich erreichen, das treibt mich nicht um. Mir geht es um die Dynamik. Sie muss weiter in die richtige Richtung zeigen. Und noch wichtiger: Die politischen Instrumente müssen an diesen Zielen ausgerichtet werden. Die Politik muss also in die Erreichung der Ziele investieren. In die Forschung für den ökologischen Landbau zum Beispiel. Oder in die dauerhafte Finanzierung artgerechter Tierhaltung.
„Es macht einfach auch Spaß den Beruf des Bauern ökologisch auszuüben.“
Warum Bio-Landbau funktioniert
Die Frage, ob Bio funktioniert, die stellt sich schon längst nicht mehr. 36 680 Betriebe zeigen auf 1,9 Millionen Hektar allein in Deutschland, wie Öko-Landbau produktionstechnisch geht – und zwar auf jedem Standort. Ich finde es lustig, wenn mir Berufskollegen sagen: „Bei mir ist der Boden zu gut. Oder zu schlecht. Oder der Regen zu viel. Oder zu wenig. Da geht Öko-Landbau nicht.“ Stimmt eben nicht. Und wirtschaftlich funktioniert es auch. Sicher nicht für jeden Betrieb. Tut es ja auch nicht für jeden konventionellen Betrieb. Ich habe einen Freund, der bewirtschaftet in Franken erheblich mehr Fläche als wir in Habitzheim. Er hat vor vier Jahren umgestellt. Neulich traf ich ihn und er meinte: „Es gibt nur eins, was mich ärgert. Dass ich‘s nicht schon viel früher gemacht habe!“ Denn es macht einfach auch Spaß, den Beruf der Bäuerin oder des Bauern, der ohnehin der schönste der Welt ist, ökologisch auszuüben.
Zum Autor
Felix Prinz zu Löwenstein hat eine lange Bio-Geschichte. Er ist Bio-Bauer, war 19 Jahre Vorstandsvorsitzender des Bio-Dachverbands BÖLW und hat zwei Bücher veröffentlicht, u.a. „Foodcrash – Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr“. Das Buch ist hierzulande noch als E-Book verfügbar, wurde aber gerade in den USA auf Englisch publiziert.
Kann Bio die Welt ernähren?
„Wie wollt ihr denn mit Bio die Welt ernähren? Hat zu wenig Ertrag. Braucht zu viel Fläche. Das ist doch Luxus für die, die sich ein gutes Gewissen leisten!“ Kommen Ihnen diese Worte bekannt vor? Mir begegnet diese Argumentation seit Jahrzehnten. Und es bleibt mir nichts übrig – ich muss darauf eingehen. Damals schon als Vertreter der Bio-Branche im Bio-Dachverband BÖLW und heute. Aber eigentlich ist diese Frage Unsinn. Nicht nur, weil es ohnehin niemanden gibt, „der die Welt ernährt“. Das tun Milliarden von großen und vor allem sehr kleinen bäuerlichen Betrieben rund um den Globus. Sie sind es, die für sich und für ihre Mitmenschen Lebensmittel produzieren. Die Frage ist auch deshalb irrelevant, weil wir noch weit davon entfernt sind, dass der Öko-Landbau einen relevanten Flächenanteil einnimmt.
Warum die industrielle Landwirtschaft keine Zukunft hat
Die Frage muss genau anders herum gestellt werden: Kann man mit konventioneller, industrieller Landwirtschaft genug Nahrung für eine weiter wachsende Weltbevölkerung herstellen? Auf Dauer? Mein Freund Jeff Moyer, ehemals Chef des Rodale Institutes im US-Bundesstaat Pennsylvania hat mir beigebracht, von was wir reden, wenn wir „nachhaltig“ sagen: von den nächsten 10 000 Jahren. Wir müssen also so wirtschaften, dass es weitere 10 000 Jahre möglich bleibt. Recht hat er!
„Die biologische Vielfalt schwindet und mit ihr das Immunsystem der Erde.“
Leider ist aber klar: So wie bisher können wir das auf keinen Fall. Weil wir jährlich so viel landwirtschaftliche Nutzfläche weltweit durch Erosion, Versalzung oder andere Formen von Bodendegradation verlieren, wie wir insgesamt in Deutschland beackern. Weil die biologische Vielfalt weltweit dahinschwindet und mit ihr das Immunsystem der Erde. Weil die Fruchtbarkeit unserer Böden leidet und die Qualität unseres Wassers. Und weil unser Ernährungssystem wesentlich zum Klimawandel beiträgt. Was konventionell heißt, weil es fast überall zum Normalfall der Landwirtschaft geworden ist, geht also nicht mehr. Um eine grundlegende Transformation der Landnutzung und unserer Ernährung kommen wir nicht mehr herum. Je länger wir sie hinausschieben, desto schmerzhafter werden die Veränderungen – was diejenigen offenbar nicht verstanden haben, die PS-stark für den Erhalt des Status quo demonstrieren.
Bio ist die Lösung für viele Probleme
Wir müssen also unser Ernährungssystem umbauen. Den Weg dahin kennen wir. 2019 hat das staatliche Thünen-Institut eine Meta-Studie zu den „Leistungen des ökologischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft“ veröffentlicht. Die erste Studie, in der so viele weltweite Studien zu diesem Thema zusammenfassend ausgewertet wurden. Den Thünen-Report findet man problemlos auf der Webseite www.thuenen.de – und es lohnt, ihn zu lesen: Zu all den oben geschilderten Herausforderungen bietet der ökologische Landbau Lösungen. Ganz sicher nicht abschließend – da geht noch mehr. Denn der Bedarf an Forschung und Fortentwicklung ist noch enorm. Schließlich sind nur Minianteile der Forschungsmilliarden, die jährlich für Landwirtschaft ausgegeben werden, in die Fragestellungen des Öko-Landbaus gegangen. Wie viel Potenzial schon heute ausgeschöpft werden könnte, ist bei den spannenden Pionierinnen und Pionieren hierzulande und weltweit zu sehen. Sie zeigen, wohin wir, die breite Praxis der Bio-Betriebe, uns entwickeln können. Gut finanzierte Öko-Landbauforschung, die im System denkt und die Innovationskompetenz von Bäuerinnen und Bauern auf Augenhöhe mit einbezieht, kann da noch erheblich mehr bewirken. Öko-Landbau funktioniert und allen Unkenrufen zum Trotz wächst er auch weiter. Auch in Afrika, wo satt werden für viel mehr Menschen eine Herausforderung ist, als bei uns. Oder in Indien, wo sich ganze Bundesstaaten auf den Weg zu 100 Prozent Bio gemacht haben.
Warum 30 Prozent Öko-Landbau nicht genug sind
Trotzdem bleibt noch eine wichtige weitere Frage: Selbst wenn wir in Europa bis 2030 25 Prozent Öko-Landbau haben – und wir sind uns sicher einig, dass das ein sehr ehrgeiziges Ziel ist – dann bleiben doch noch drei Viertel, die nicht Bio sind. Was ist damit? Kann das einfach so bleiben, wie’s ist? Sicher nicht! Dafür ist der Zustand unserer Öko-Systeme dramatisch schlecht.
Auch die konventionelle Landwirtschaft muss sich tiefgreifend verändern. Damit das geschieht, braucht es einen erheblichen Umbau der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Auf diesem Weg kommt dem Öko-Landbau eine wichtige Rolle zu. Er darf wegen seiner Richtlinien viele der bequemen Abkürzungen, welche die Agrarchemie bietet, nicht nehmen. Deshalb hat er schon seit einem Jahrhundert andere Wege entwickeln müssen. „Nature based solutions“ nennt man so was heute. Und das sind genau die Wege, die unsere konventionellen Kolleginnen und Kollegen gehen müssen, damit unser Planet auch in den nächsten 10 000 Jahren noch Nahrung für seine Bewohner hervorbringen kann.
Bio oder regenerativ? Welche Landwirtschaft ist fit für die Zukunft?
Es kann schon ziemlich verwirrend sein, mit wie vielen Begriffen der Umbau der Landwirtschaft beschrieben wird. Öko-Landbau und Bio-Landbau – was zwei Begriffe für dasselbe sind – kennen wir. Sie sind durch europäische Gesetzgebung in unendlicher Detailtiefe beschrieben, mit einem Kontrollsystem versehen und gesetzlich geschützt.
Was aber ist die „Regenerative Landwirtschaft“, von der heute so viel zu lesen ist? Dahinter steht ein Gedanke, der aus den USA kommt: Es reicht nicht, zu erhalten, was wir haben, weil schon so viel verloren ist. Wir müssen wiederherstellen, regenerieren. Der Fokus liegt dabei vor allem auf dem Boden, seiner Fruchtbarkeit und dem Aufbau von organischer Substanz (Humus).
- Um das zu bewirken, wird ein Set von Maßnahmen beschrieben. Manche davon sind auch in den Bio-Richtlinien festgelegt, manche – wie zum Beispiel die pfluglose Bodenbearbeitung oder eine möglichst dauerhafte Begrünung der Flächen – gehen darüber hinaus. So etwas ist für Öko-Betriebe eine spannende Fortentwicklung. Manche dieser Maßnahmen können auch konventionelle Betriebe anwenden und damit wichtige Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit gehen.
- Eines ist „Regenerative Landwirtschaft“ aber nicht: Sie ist kein verbindlich beschriebenes und kontrolliertes, in sich vollständiges System von Ackerbau, Tierhaltung und Lebensmittelverarbeitung. Deshalb kann es auch kein Label „regenerativ“ geben.
- Das Konzept bietet eine echte Bereicherung für ökologische und auch für konventionelle Betriebe. Aber es birgt auch eine Gefahr: Es gibt keine gesetzliche oder privatrechtliche Regelung, die genau definiert, was bei „regenerativ“ erlaubt, verboten oder erforderlich ist. Das macht es der agrochemischen Industrie leicht, den Begriff zu nutzen, um ihre Wirtschaftsweise schönzureden. Zum Beispiel pfluglose Bodenbearbeitung unter Anwendung von Glyphosat oder den Einsatz von Gentechnik. Umso wichtiger bleiben auch weiterhin die Bio-Kennzeichnung der EU und die Label der Verbände des ökologischen Landbaus.
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