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Arme Schweine

Schweinefleisch in Deutschland muss vor allem billig sein. Entsprechend schlimm sieht es in den Ställen aus. Bio ist eine Alternative. Doch nicht jeder, der Bio-Schnitzel kaufen möchte, kann das tun...

Alle wollen Bio-Schnitzel. Im vergangenen Jahr haben die Menschen in Deutschland fast 50 Prozent mehr Bio-Schweinefleisch gekauft als im Jahr davor. So könnte es weiter gehen...

Doch noch mehr Bio-Schnitzel gibt es nicht. „Weiterhin könnte jedes Bio-Schwein mehrfach verkauft werden“, schrieb die Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) Mitte Mai. Die Nachfrage sei weit größer als das Angebot. Das bestätigt auch Tom Reiter, Geschäftsführer von Chiemgauer Naturfleisch: „Dank unserer langjährigen engen Verbindung zu den regionalen Bio-Bauern ist unsere Grundversorgung ziemlich gewährleistet“. Doch für die vom Markt gewünschten Ausweitungen bräuchte es zusätzliche Ware, die nirgends zu bekommen sei. „Eine Ausweitung der Erzeugung scheitert vor allem am eklatanten Ferkelmangel“, erklärt Reiter.

So funktioniert die Schweineproduktion in Deutschland

Ein Schwein, konventionell und bio, verbringt sein Leben meist auf zwei Betrieben, beim Ferkelerzeuger und beim Schweinemäster. Der Ferkelerzeuger hält Zuchtsauen, besamt sie und nach 115 Tagen werfen die Tiere zehn bis 15 Ferkel. Diese werden erst von der Sau gesäugt, später vom Landwirt gefüttert und nach acht bis zehn Wochen an den Mäster verkauft. Da wiegen die Ferkel schon 25 bis 28 Kilogramm. Der Mäster füttert sie vier Monate lang, bis sie 120 bis 125 Kilogramm wiegen. Dann kommen die Schweine – gerade geschlechtsreif geworden – zum Schlachter. Bezahlt wird der Mäster nach dem Schlachtgewicht, also ohne Innereien. Das sind etwa 100 Kilogramm je Schwein.

Ist der Kastenstand auch in der Bio-Schweinehaltung erlaubt?

Bei Hubert Heigl kommen jedes Jahr gut 2000 zur Welt. Der Bio-Bauer aus Kallmünz in der Oberpfalz hält 100 Muttersauen und kennt das Problem: „Es ist für konventionelle Ferkelerzeuger sehr schwierig umzustellen, weil Bio ganz anders funktioniert“. Die Schweine sind dabei nicht – wie in einem konventionellen Betrieb üblich – in einem Kastenstand eingesperrt, sondern können sich in ihrer geräumigen Abferkelbucht mit Stroh ein Nest bauen, in dem sie dann ihre Ferkel zur Welt bringen. „Den konventionellen Kollegen ist jahrzehntelang eingebläut worden, dass die Sau ohne Kastenstand ihre Ferkel erdrückt“, sagt Heigl. „Doch wenn die Tiere genug Platz haben, passiert das nicht“.

So viel Platz haben Schweine im Kastenstand

7,5 Quadratmeter schreibt die EU-Öko-Verordnung für eine säugende Muttersau und ihre Ferkel vor, dazu weitere 2,5 Quadratmeter im Außenbereich. Ein konventioneller Kastenstand dagegen bietet der Sau gerade mal 1,4 Quadratmeter Platz, sie kann sich darin nicht einmal umdrehen. Mindestens fünf Wochen bleiben die Sauen dort, von den Tagen vor der Geburt bis zum Absetzen der Ferkel. Obwohl Gerichte diese Praxis schon seit Jahren verboten haben, haben sich Bund und Länder 2020 darauf geeinigt, dass die Kastenstände noch die nächsten acht Jahre erlaubt bleiben – und für fünf Tage vor und nach der Geburt sogar darüber hinaus.

Um den für Bio-Sauen nötigen Platz zu schaffen, müssten konventionelle Ferkelerzeuger ihren Stall aufwendig umbauen oder gleich neu bauen. Denn es braucht Ausläufe an der frischen Luft und mehr Platz für die Ferkel. Zudem müssen die Liegebereiche mit Stroh ausgestreut und die Spaltenböden mindestens zur Hälfte durch durchgehende Böden ersetzt werden. Durch die Spalten der Böden fallen Harn und Kot der Tiere in die darunter liegende Güllegrube. Das spart das Entmisten, schädigt aber die Beine der Schweine und lässt sie lahmen.

Hubert Heigl schätzt den finanziellen Aufwand für einen biogerechten Stall auf etwa 11.000 Euro je Sauenplatz. „Für einen Landwirt, der seinen jetzigen Stall noch abbezahlen muss, ist das kaum zu leisten“. Hinzu kommt, dass Bio-Landwirte genug eigene Felder für Mist und Gülle ihrer Tiere nachweisen müssen. Diese sogenannte Flächenbindung verhindert, dass zu viel Dünger ausgebracht wird. Auch machen Bio-Sauen durch das freie Abferkeln, die Einstreu und den Verzicht auf Hormone doppelt soviel Arbeit. In konventionellen Betrieben sorgen die Hormongaben zum Beispiel dafür, dass eine Gruppe Sauen gleichzeitig rauschig wird und gedeckt werden kann. Das macht die Arbeit effektiver.

Warum konventionelle Schweinemäster nicht auf Bio umstellen

Auch ein Schweinemäster muss umbauen und Platz schaffen, wenn er auf Bio umstellen will. Statt der in der konventionellen Tierhaltung erlaubten 0,75 Quadratmeter muss ein 100-Kilo-Bioschwein mindestens 1,3 Quadratmeter innen und einen Quadratmeter draußen Platz haben, also etwa das Dreifache. Natürlich eingestreut. Den Aufwand für einen neuen Stall beziffert die AMI auf 1300 Euro je Mastplatz. Das wären bei der im Bio-Bereich üblichen Größe von 500 bis 1000 Tieren 650.000 bis 1,3 Millionen Euro. Eine schwere Hypothek für einen Start in die Bio-Zukunft.

Doch nicht das Geld alleine hindere die Kollegen am Umstellen, sagt Hubert Heigl. Als Ferkelerzeuger und Präsident des Bio-Verbandes Naturland führt er viele Gespräche und weiß: „Sie trauen dem System nicht mehr“. Alle paar Jahre würden sie vom Gesetzgeber oder vom Handel mit neuen Anforderungen konfrontiert. „Die sagen, wenn ich jetzt auf Bio umstelle, nehme ich viel Geld in die Hand, und dann ändern sich in drei Jahren die Bedingungen. Lieber hör ich ganz auf.“ Allein von Mai 2020 bis Mai 2021 sind nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes von rund 30.000 konventionellen Schweinehaltern 700 mit 840.000 Tieren ausgestiegen. Weil es sich nicht mehr rechnet.

Kastration: Damit Ferkel nicht muffeln

  • Männliche Ferkel werden eine Woche nach der Geburt kastriert, damit ihr Fleisch beim Schlachten in der Pubertät nicht nach Eber muffelt. Seit Anfang 2021 müssen die Tiere zum Kastrieren betäubt werden. Bio-Verbände hatten die Betäubung schon früher verlangt. Für EU-Bio-Ferkel galt bis Anfang 2021, dass die Gabe eines Schmerzmittels reichte.
  • Als Alternative zur Kastration gilt eine Impfung mit dem Wirkstoff Improvac, der die Pubertät hinausschiebt. Aus Sicht der Tierschutzverbände ist das die verträglichste Lösung. Der Bio-Verband Naturland ließ Improvac zu, die anderen Bio-Verbände nicht. Sie sind der Meinung, dass diese Methode nicht mit den Zielen des Öko-Landbaus vereinbar sei.
  • Das sieht auch die EU-Kommission so, hat dies aber nicht in der EU-Bio-Verordnung festgeschrieben. Deshalb erlaubt z.B. Niedersachsen die Impfung von Bio-Ferkeln, während es andere Bundesländer verboten haben.

Was billiges Fleisch für Tier und Umwelt bedeuten

Im Dezember 2020 bekamen die konventionellen Schweinemäster nur noch 1,20 Euro für das Kilo Schlachtgewicht, das deckt bei weitem nicht die Kosten. Inzwischen sind die Preise wieder auf 1,40 Euro gestiegen, doch nach Ansicht der Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) bräuchten ihre Mitglieder mindestens 1,70 Euro pro Kilogramm – damit sich die derzeitige Art der Schweinehaltung überhaupt rechnet. Und die ist nicht nur wegen der Kastenstände in der Sauenhaltung alles andere als tiergerecht. Den Ferkeln werden routinemäßig die Eckzähne abgeschliffen und die Schwänze gekürzt, damit sie sich vor Langeweile nicht gegenseitig verletzen. Denn sie wachsen in engen Abteilen auf Spaltenböden, in ätzender Luft, ohne Beschäftigung und ohne Einstreu heran.

Diese Haltungsbedingungen sind darauf ausgerichtet, möglichst effektiv und billig große Mengen Schweinefleisch zu erzeugen. Für die großen Supermärkte und Discounter, die dann das Kilo Schnitzel für 4,99 Euro oder marinierte Steaks für 5,75 Euro anbieten. Aber auch für den Export. Die Hälfte des in Deutschlands erzeugten Schweinefleisches verkaufen die großen Schlachtbetriebe in andere EU-Länder und darüber hinaus bis nach China. Schwächelt der Export, rauschen die Preise für die Landwirte in den Keller. Schweinehalter hatten in den letzten Jahren nur eine Wahl: Wachsen oder Weichen. Von 2010 bis 2020 hat sich ihre Zahl in Deutschland nahezu halbiert, während die der gehaltenen Schweine mit 26 Millionen Tieren kaum abnahm. Inzwischen lebt fast die Hälfte aller Tiere in Betrieben mit mehr als 2000 Schweinen.

Seit Jahren stößt diese Form der Schweinemast auf immer stärkere Proteste, wegen der Tierqual, aber auch wegen der Umweltauswirkungen: Gülleüberschüsse, die das Grundwasser mit Nitrat verdrecken und Äcker mit Antibiotika belasten. Sojaimporte aus Südamerika, für die dort der Regenwald brennt. Schon 2015 forderte der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums einen Umbau der Nutztierhaltung. Sie sei wegen ihrer Defizite beim Tier- und Umweltschutz nicht zukunftsfähig, so das Urteil der Experten.

Ist mehr Tierwohl möglich?

Was also braucht es – für mehr Bio-Schweine und einen Umbau der konventionellen Schweinehaltung? „Alle Fleischverarbeiter und Händler sind gefordert, den Bio-Landwirten eine verlässliche und auskömmliche Perspektive zu bieten“, sagt Patrik Müller, Geschäftsführer des Bio-Wurstspezialisten Ökoland. Derzeit bewegt sich der Bio-Schweinepreis auf vier Euro für das Kilo Schlachtgewicht zu. „Die braucht es auch, damit die Bio-Landwirte vernünftig wirtschaften können“, bestätigt Hubert Heigl Müllers Einschätzung. Deshalb ist Bio-Fleisch auch deutlich teurer. Doch die steigende Nachfrage zeigt, dass immer mehr Verbraucher akzeptieren, dass mehr Tierwohl und Umweltschutz seinen Preis hat. Allerdings liegt der Bio-Anteil bei Schweinefleisch noch bei nur knapp einem Prozent. Von den 26,3 Millionen Schweinen der großen Viehzählung im März 2020 lebten 212.000 in Bio-Ställen.

Immerhin haben große Handelsketten wie Aldi und Rewe angekündigt, ab 2030 nur noch Fleisch der Haltungsformen 3 und 4 zu verkaufen. Der Handel hat die Stufen selbst entwickelt (haltungsform.de). Die Stufen 1 und 2 gehen gar nicht oder kaum über gesetzlichen Vorgaben hinaus. Stufe 3 bedeutet für die Tiere etwas mehr Platz und zumindest frische Luft, 4 umfasst Auslauf, Einstreu und doppelt so viel Platz wie gesetzlich vorgeschrieben. Bio geht da noch weiter, wird aber von den Händlern ebenfalls bei 4 eingeordnet. Offen bleibt, ob die Handelskonzerne den Landwirten auch die Preise zahlen, die sie für mehr Tierwohl brauchen.

Die Bauern sind aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen skeptisch. Auch gegenüber der Politik, von der bisher wenig kam. Dabei hat die vom Bundeslandwirtschaftsministerium eingesetzte Borchert-Kommission bereits Anfang 2020 empfohlen, tiergerechte Ställe massiv zu fördern und die Landwirte mit zusätzlichen Tierwohlprämien zu unterstützen. Um das zu finanzieren, schlug sie eine Tierwohlabgabe auf tierische Lebensmittel vor. Dann wäre das konventionelle Schnitzel allerdings nicht mehr ganz so billig.

Interview: „Was Klöckner in Gang gebracht hat ist gleich Null“

Thomas Schröder ist Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.

Wie beurteilen Sie aus Sicht der Schweine die Amtszeit der Bundeslandwirtschaftsministerin?
Da könnten Sie eine leere Seite abdrucken. Im Koalitionsvertrag stand: „Wir wollen die Lücken im Tierschutzrecht schließen“. Statt dessen wurde die unbetäubte Ferkelkastration verlängert. Und auch bei Kastenständen hat Frau Klöckner den tierschutzwidrigen Zustand verlängert. Bei Puten und Rindern ist gar nichts passiert.

Steht auch etwas Positives in Ihrer Bilanz?
Was Klöckner selber in Gang gebracht hat ist gleich Null. Dabei ist sie auch Tierschutzministerin. Das ist ein grundsätzliches Problem, dass der Tierschutz bei den Tiernutzern untergebracht ist. Von seiner gesellschaftlichen Relevanz her und weil er ein klassisches Querschnittsthema ist, gehört er ähnlich wie die Digitalisierung ins Kanzleramt.

Was müsste der nächste Minister am Dringlichsten angehen?
Ich glaube, dass es in der nächsten Regierung kein Landwirtschaftsministerium mehr geben wird. Das ganze Thema gehört in ein großes Klima- und Umweltministerium, weil sich die Landwirtschaft so stark auf beides auswirkt. Bezogen auf Schweine – und andere Nutztiere – ist das Wichtigste, die Flächenbindung durchzusetzen und dabei auch zu regeln, welche Bestandsgrößen aus Tierschutzsicht noch akzeptabel sind. Auch sollten nur noch Ställe mit Außenklima oder Freilandhaltung neu gebaut werden dürfen.

Was den Zielen großer Supermarktketten entspricht...
Ja, der Handel hat mit seiner Ankündigung klar gesagt, dass die gesetzlichen Standards nicht ausreichen, um den Kunden das an Tierwohl verkaufen zu können, was sie verlangen. Das ist eine Klatsche für Frau Klöckner.

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Initiativen gegen Tierfabriken

Buchtipps

Norbert Hackl: Dürfen Schweine glücklich sein? Wie ein Biobauer die Schweinebranche auf den Kopf stellt. Verlag Leykam, 2018, 214 Seiten, 24,90 Euro

Mechthild Baumann: War mein Schnitzel glücklich? Unsere Haltung zum Tierwohl. Verlag Twentysix, 2020, 144 Seiten, 14,99 Euro

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