Essen

Arme Schweine

Schweinefleisch in Deutschland muss vor allem billig sein. Entsprechend schlimm sieht es in den StÀllen aus. Bio ist eine Alternative. Doch nicht jeder, der Bio-Schnitzel kaufen möchte, kann das tun...

Alle wollen Bio-Schnitzel: 2020 haben die Menschen in Deutschland fast 50 Prozent mehr Bio-Schweinefleisch gekauft als im Jahr davor. So könnte es weiter gehen... Doch mehr Bio-Schnitzel gibt es nicht.

 „Weiterhin könnte jedes Bio-Schwein mehrfach verkauft werden“, schrieb die Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) 2021. Die Nachfrage sei weit grĂ¶ĂŸer als das Angebot. Das bestĂ€tigt auch Tom Reiter, GeschĂ€ftsfĂŒhrer von Chiemgauer Naturfleisch: „Dank unserer langjĂ€hrigen engen Verbindung zu den regionalen Bio-Bauern ist unsere Grundversorgung ziemlich gewĂ€hrleistet“. Doch fĂŒr die vom Markt gewĂŒnschten Ausweitungen brĂ€uchte es zusĂ€tzliche Ware, die nirgends zu bekommen sei. „Eine Ausweitung der Erzeugung scheitert vor allem am eklatanten Ferkelmangel“, erklĂ€rt Reiter.

So funktioniert die Schweineproduktion in Deutschland

Ein Schwein, egal ob konventionell und bio, verbringt sein Leben meist auf zwei Betrieben, beim Ferkelerzeuger und beim SchweinemĂ€ster. Der Ferkelerzeuger hĂ€lt Zuchtsauen, besamt sie und nach 115 Tagen werfen die Tiere zehn bis 15 Ferkel. Diese werden erst von der Sau gesĂ€ugt, spĂ€ter vom Landwirt gefĂŒttert und nach acht bis zehn Wochen an den MĂ€ster verkauft. Da wiegen die Ferkel schon 25 bis 28 Kilogramm. 

Der MĂ€ster fĂŒttert sie vier Monate lang, bis sie 120 bis 125 Kilogramm wiegen. Dann kommen die Schweine – gerade geschlechtsreif geworden – zum Schlachter. Bezahlt wird der MĂ€ster nach dem Schlachtgewicht, also ohne Innereien. Das sind etwa 100 Kilogramm je Schwein.

Umwelt

Schweinehaltung: Ringelschwanz-WG im Wald

Anders als ihre Artgenossen in konventionellen StĂ€llen dĂŒrfen die Schweine vom Schultenhof im Wald leben. Was sie dort tun? Dösen, wĂŒhlen und vor allem: Eicheln fressen.

Ist der Kastenstand auch in der Bio-Schweinehaltung erlaubt?

Bei Hubert Heigl kommen jedes Jahr gut 2.000 zur Welt. Der Bio-Bauer aus KallmĂŒnz in der Oberpfalz hĂ€lt 100 Muttersauen und kennt das Problem: „Es ist fĂŒr konventionelle Ferkelerzeuger sehr schwierig umzustellen, weil Bio ganz anders funktioniert“. 

Die Schweine sind dabei nicht – wie in einem konventionellen Betrieb ĂŒblich – in einem Kastenstand eingesperrt, sondern können sich in ihrer gerĂ€umigen Abferkelbucht mit Stroh ein Nest bauen, in dem sie dann ihre Ferkel zur Welt bringen. 

„Den konventionellen Kollegen ist jahrzehntelang eingeblĂ€ut worden, dass die Sau ohne Kastenstand ihre Ferkel erdrĂŒckt“, sagt Heigl. „Doch wenn die Tiere genug Platz haben, passiert das nicht“.

So viel Platz haben Schweine im Kastenstand

7,5 Quadratmeter schreibt die EU-Öko-Verordnung fĂŒr eine sĂ€ugende Muttersau und ihre Ferkel vor, dazu weitere 2,5 Quadratmeter im Außenbereich. Ein konventioneller Kastenstand dagegen bietet der Sau gerade mal 1,4 Quadratmeter Platz, sie kann sich darin nicht einmal umdrehen. 

Mindestens fĂŒnf Wochen bleiben die Sauen dort, von den Tagen vor der Geburt bis zum Absetzen der Ferkel. Obwohl Gerichte diese Praxis schon seit Jahren verboten haben, haben sich Bund und LĂ€nder 2020 darauf geeinigt, dass die KastenstĂ€nde noch die nĂ€chsten acht Jahre erlaubt bleiben – und fĂŒr fĂŒnf Tage vor und nach der Geburt sogar darĂŒber hinaus.

Um den fĂŒr Bio-Sauen nötigen Platz zu schaffen, mĂŒssten konventionelle Ferkelerzeuger ihren Stall aufwendig umbauen oder gleich neu bauen. Denn es braucht AuslĂ€ufe an der frischen Luft und mehr Platz fĂŒr die Ferkel. Zudem mĂŒssen die Liegebereiche mit Stroh ausgestreut und die Spaltenböden mindestens zur HĂ€lfte durch durchgehende Böden ersetzt werden. Durch die Spalten der Böden fallen Harn und Kot der Tiere in die darunter liegende GĂŒllegrube. Das spart das Entmisten, schĂ€digt aber die Beine der Schweine und lĂ€sst sie lahmen.

Hubert Heigl schĂ€tzt den finanziellen Aufwand fĂŒr einen biogerechten Stall auf etwa 11.000 Euro je Sauenplatz. „FĂŒr einen Landwirt, der seinen jetzigen Stall noch abbezahlen muss, ist das kaum zu leisten“. Hinzu kommt, dass Bio-Landwirte genug eigene Felder fĂŒr Mist und GĂŒlle ihrer Tiere nachweisen mĂŒssen. Diese sogenannte FlĂ€chenbindung verhindert, dass zu viel DĂŒnger ausgebracht wird.

Auch machen Bio-Sauen durch das freie Abferkeln, die Einstreu und den Verzicht auf Hormone doppelt soviel Arbeit. In konventionellen Betrieben sorgen die Hormongaben zum Beispiel dafĂŒr, dass eine Gruppe Sauen gleichzeitig rauschig wird und gedeckt werden kann. Das macht die Arbeit effektiver.

Essen

Warenkunde: Bio-SchweineFleisch

Braten oder Kotelett – bei ihrem Lieblingsfleisch kommen immer mehr auf den Bio-Geschmack. Je artgerechter das Schwein gehalten wird, desto besser scheint es zu schmecken. // Sylvia Meise

Warum konventionelle SchweinemÀster nicht auf Bio umstellen

Auch ein SchweinemĂ€ster muss umbauen und Platz schaffen, wenn er auf Bio umstellen will. Statt der in der konventionellen Tierhaltung erlaubten 0,75 Quadratmeter muss ein 100-Kilo-Bioschwein mindestens 1,3 Quadratmeter innen und einen Quadratmeter draußen Platz haben, also etwa das Dreifache. NatĂŒrlich eingestreut. 

Den Aufwand fĂŒr einen neuen Stall beziffert die AMI auf 1.300 Euro je Mastplatz. Das wĂ€ren bei der im Bio-Bereich ĂŒblichen GrĂ¶ĂŸe von 500 bis 1.000 Tieren 650.000 bis 1,3 Millionen Euro. Eine schwere Hypothek fĂŒr einen Start in die Bio-Zukunft.

Doch nicht das Geld alleine hindere die Kollegen am Umstellen, sagt Hubert Heigl. Als Ferkelerzeuger und PrĂ€sident des Bio-Verbandes Naturland fĂŒhrt er viele GesprĂ€che und weiß: „Sie trauen dem System nicht mehr“. Alle paar Jahre wĂŒrden sie vom Gesetzgeber oder vom Handel mit neuen Anforderungen konfrontiert. 

„Die sagen, wenn ich jetzt auf Bio umstelle, nehme ich viel Geld in die Hand, und dann Ă€ndern sich in drei Jahren die Bedingungen. Lieber hör ich ganz auf.“ Allein von Mai 2020 bis Mai 2021 sind nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes von rund 30.000 konventionellen Schweinehaltern 700 mit 840.000 Tieren ausgestiegen. Weil es sich nicht mehr rechnet.

Kastration: Damit Ferkel nicht muffeln

  • MĂ€nnliche Ferkel werden eine Woche nach der Geburt kastriert, damit ihr Fleisch beim Schlachten in der PubertĂ€t nicht nach Eber muffelt. Seit Anfang 2021 mĂŒssen die Tiere zum Kastrieren betĂ€ubt werden. Bio-VerbĂ€nde hatten die BetĂ€ubung schon frĂŒher verlangt. FĂŒr EU-Bio-Ferkel galt bis Anfang 2021, dass die Gabe eines Schmerzmittels reichte.
  • Als Alternative zur Kastration gilt eine Impfung mit dem Wirkstoff Improvac, der die PubertĂ€t hinausschiebt. Aus Sicht der TierschutzverbĂ€nde ist das die vertrĂ€glichste Lösung. Der Bio-Verband Naturland ließ Improvac zu, die anderen Bio-VerbĂ€nde nicht. Sie sind der Meinung, dass diese Methode nicht mit den Zielen des Öko-Landbaus vereinbar sei.
  • Das sieht auch die EU-Kommission so, hat dies aber nicht in der EU-Bio-Verordnung festgeschrieben. Deshalb erlaubt z.B. Niedersachsen die Impfung von Bio-Ferkeln, wĂ€hrend es andere BundeslĂ€nder verboten haben.

Was billiges Fleisch fĂŒr Tier und Umwelt bedeuten

Im Dezember 2020 bekamen die konventionellen SchweinemĂ€ster nur noch 1,20 Euro fĂŒr das Kilo Schlachtgewicht, das deckt bei weitem nicht die Kosten. Inzwischen sind die Preise wieder auf 1,40 Euro gestiegen, doch nach Ansicht der Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) brĂ€uchten ihre Mitglieder mindestens 1,70 Euro pro Kilogramm – damit sich die derzeitige Art der Schweinehaltung ĂŒberhaupt rechnet. 

Und die ist nicht nur wegen der KastenstĂ€nde in der Sauenhaltung alles andere als tiergerecht. Den Ferkeln werden routinemĂ€ĂŸig die EckzĂ€hne abgeschliffen und die SchwĂ€nze gekĂŒrzt, damit sie sich vor Langeweile nicht gegenseitig verletzen. Denn sie wachsen in engen Abteilen auf Spaltenböden, in Ă€tzender Luft, ohne BeschĂ€ftigung und ohne Einstreu heran.

Diese Haltungsbedingungen sind darauf ausgerichtet, möglichst effektiv und billig große Mengen Schweinefleisch zu erzeugen. FĂŒr die großen SupermĂ€rkte und Discounter, die dann das Kilo Schnitzel fĂŒr 4,99 Euro oder marinierte Steaks fĂŒr 5,75 Euro anbieten. Aber auch fĂŒr den Export. Die HĂ€lfte des in Deutschlands erzeugten Schweinefleisches verkaufen die großen Schlachtbetriebe in andere EU-LĂ€nder und darĂŒber hinaus bis nach China. SchwĂ€chelt der Export, rauschen die Preise fĂŒr die Landwirte in den Keller. 

Schweinehalter hatten in den letzten Jahren nur eine Wahl: Wachsen oder Weichen. Von 2010 bis 2020 hat sich ihre Zahl in Deutschland nahezu halbiert, wÀhrend die der gehaltenen Schweine mit 26 Millionen Tieren kaum abnahm. Inzwischen lebt fast die HÀlfte aller Tiere in Betrieben mit mehr als 2.000 Schweinen.

Seit Jahren stĂ¶ĂŸt diese Form der Schweinemast auf immer stĂ€rkere Proteste, wegen der Tierqual, aber auch wegen der Umweltauswirkungen: GĂŒlleĂŒberschĂŒsse, die das Grundwasser mit Nitrat verdrecken und Äcker mit Antibiotika belasten. Sojaimporte aus SĂŒdamerika, fĂŒr die dort der Regenwald brennt. 

Schon 2015 forderte der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums einen Umbau der Nutztierhaltung. Sie sei wegen ihrer Defizite beim Tier- und Umweltschutz nicht zukunftsfÀhig, so das Urteil der Experten.

Ist mehr Tierwohl möglich?

Was also braucht es – fĂŒr mehr Bio-Schweine und einen Umbau der konventionellen Schweinehaltung? „Alle Fleischverarbeiter und HĂ€ndler sind gefordert, den Bio-Landwirten eine verlĂ€ssliche und auskömmliche Perspektive zu bieten“, sagt Patrik MĂŒller, GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Bio-Wurstspezialisten Ökoland. Derzeit bewegt sich der Bio-Schweinepreis auf vier Euro fĂŒr das Kilo Schlachtgewicht zu. 

„Die braucht es auch, damit die Bio-Landwirte vernĂŒnftig wirtschaften können“, bestĂ€tigt Hubert Heigl MĂŒllers EinschĂ€tzung. Deshalb ist Bio-Fleisch auch deutlich teurer. Doch die steigende Nachfrage zeigt, dass immer mehr Verbraucher akzeptieren, dass mehr Tierwohl und Umweltschutz seinen Preis hat. Allerdings liegt der Bio-Anteil bei Schweinefleisch noch bei nur knapp einem Prozent. Von den 26,3 Millionen Schweinen der großen ViehzĂ€hlung im MĂ€rz 2020 lebten 212.000 in Bio-StĂ€llen.

Immerhin haben große Handelsketten wie Aldi und Rewe angekĂŒndigt, ab 2030 nur noch Fleisch der Haltungsformen 3 und 4 zu verkaufen. Der Handel hat die Stufen selbst entwickelt (haltungsform.de). Die Stufen 1 und 2 gehen gar nicht oder kaum ĂŒber gesetzlichen Vorgaben hinaus. Stufe 3 bedeutet fĂŒr die Tiere etwas mehr Platz und zumindest frische Luft, 4 umfasst Auslauf, Einstreu und doppelt so viel Platz wie gesetzlich vorgeschrieben. Bio geht noch weiter und wird als Stufe 5 eingeordnet. 

Offen bleibt, ob die Handelskonzerne den Landwirten auch die Preise zahlen, die sie fĂŒr mehr Tierwohl brauchen. Die Bauern sind aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen skeptisch. Auch gegenĂŒber der Politik, von der bisher wenig kam. Dabei hat die vom Bundeslandwirtschaftsministerium eingesetzte Borchert-Kommission bereits Anfang 2020 empfohlen, tiergerechte StĂ€lle massiv zu fördern und die Landwirte mit zusĂ€tzlichen TierwohlprĂ€mien zu unterstĂŒtzen. Um das zu finanzieren, schlug sie eine Tierwohlabgabe auf tierische Lebensmittel vor. Dann wĂ€re das konventionelle Schnitzel allerdings nicht mehr ganz so billig.

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Buchtipps

Norbert Hackl: DĂŒrfen Schweine glĂŒcklich sein? 
Wie ein Biobauer die Schweinebranche auf den Kopf stellt. Verlag Leykam, 2018, 214 Seiten, 24,90 Euro

Mechthild Baumann: War mein Schnitzel glĂŒcklich? 
Unsere Haltung zum Tierwohl. Verlag Twentysix, 2020, 144 Seiten, 14,99 Euro

Veröffentlicht am - aktualisiert am 06.09.2024

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