Essen

Angelika Hilbeck: „Wir sind keine Maschinen“

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Seit Jahren kritisiert die renommierte Agrarökologin Angelika Hilbeck die Biotechnologie scharf. Auch neuere Gentechnik-Verfahren überzeugen die Schweizerin nicht.

Frau Hilbeck, in der Gentechnik gibt es neue, präzisere Verfahren. Anlass für Sie, Ihre Skepsis abzulegen?

Mit den neuen Werkzeugen greift man immer noch in ein Gefüge ein, dessen Funktionsweise wir noch nicht ausreichend verstehen. Man weiß zwar jetzt einigermaßen, wo man eingreift, aber immer noch nicht genau, wie und in was. Und dem Ganzen liegt immer noch die Idee zugrunde, dass Gene lineare Konstruktionsanweisungen seien, Baupläne für Organismen. Wir wissen aus der Grundlagenforschung der Genetik, dass dem nicht so ist. Die meisten Gene sind multifunktional, und es gibt Wechselwirkungen zwischen ihnen. Manche Grundlagenforscher gehen noch weiter und stellen das Konzept „Gen“ selbst infrage. Es ist ja auch in erster Linie ein Modell, ein Versuch, zu verstehen, was in Genom und Zelle geschieht.

Das tönt verrückt.

Finde ich nicht. Denn je mehr sich die Grundlagenforscher mit den Prozessen des Lebens auseinandersetzen, desto mehr sehen sie, dass die Fülle der Eigenschaften in Organismen auf verschiedene Weisen zustande kommt. Ich vergleiche den Zellkern immer mehr mit einem Ökosystem. Da geht es zu wie auf einer Erde im Kleinformat.

Das macht Gentechnik ziemlich schwierig, oder?

Ja. Ich finde es verblüffend, wie wenig diese Grundlagenforschung Eingang findet in die angewandte Biotechnologie. Dort herrscht der totale Reduktionismus, bis hin zu Fantasien von synthetischen Gehirnen oder vom molekularen Computer: Man stellt sich vor, dass man mit den vier Bestandteilen der Gene, den Nukleotiden, Baupläne erstellen und daraus Organismen zusammenbauen kann – also den binären durch einen quartären Code ersetzen. Wäre ja toll, wenn es so einfach wäre.

Glauben Sie, dass das möglich ist?

Nein. Vielleicht bei den allerprimitivsten einzelligen Lebensformen – mit einem riesigen Aufwand –, aber nicht bei komplexeren Lebewesen.

Warum?

Weil es nicht so funktioniert, ganz einfach! Die Erkenntnisse in der Grundlagenforschung deuten in eine völlig andere Richtung. Sicher nicht dahin, dass Gen eins und Gen zwei zusammen immer präzise die Eigenschaft x ergeben. Das ist aber das Fundament, auf dem die Bastelanleitung aufbaut.

Das bringt aber auch die Risikoforschung in Schwierigkeiten. Wenn Sie Ratten mit Gentechmais füttern, kann es also sein, dass manche reagieren …

… und andere nicht. Selbstverständlich.

Aber so kann man ja keine Studie machen, die heutigen Sicherheitsanforderungen genügt.

Das ist ein bekanntes Problem. Sie reagieren auf bestimmte Substanzen anders als ich. Das ist genau die Diversität, die Plastizität, die Lebewesen haben. Weil sie eben keine Maschinen sind.

Was heißt das für die Risikoforschung?

Dass man vorsichtig sein muss und dass es riskant ist, immer alles gleich zur kommerziellen Anwendung bringen zu wollen. Solange man auch einfachste Abklärungen für überflüssig hält und die Energien vor allem darin investiert, gegen Langzeitversuche zu lobbyieren, lege ich keinen Wert auf Gentechprodukte.

Dabei wird in solche Forschung viel Geld investiert.

Milliarden! Die Investoren sind ja keine Biologen, die können nicht hinterfragen, ob das überhaupt irgendeine Basis hat oder reine Science-Fiction ist. Und mit den Kritikern reden sie nicht, sondern nur mit den Überzeugten. Von denen kriegen sie die tollsten Storys zu hören, das ist ein selbstreferenzielles System.

Es ist symptomatisch, dass alles gleichzeitig prekär wird

Angelika Hilbeck
In der Medizin hatte die Gentechnik doch einige Erfolge.

Natürlich gab es Fortschritte, aber nur graduell. Wir bekämpfen Krebs immer noch mit Chemotherapien, nur die Nebenwirkungen können wir besser lindern. Aber die Strategie ist die gleiche wie in meinen Kindheitsjahren. Medikamentenbasierte Therapien, Impfungen oder neue Antibiotika – wo sind die versprochenen Durchbrüche? Aids, Krebs, neurodegenerative Krankheiten: unbesiegt, bis heute. Der Bereich, in dem es Quantensprünge gab, ist die Chirurgie. Die Mechanik!

Welche Forschung würden Sie denn fördern?

Ich würde verstärkt in eine andere Richtung schauen: darauf, wie Organismen gesamthaft funktionieren und wie Lebensführung und Umgebung Einfluss nehmen. Und vor allem dafür sorgen, dass wir eine giftfreie Umgebung bekommen. Giftfreie Landwirtschaft und Nahrung, das wäre schon ein guter Anfang. Denn bis mir das Gegenteil bewiesen wird, gehe ich davon aus, dass der Cocktail von Hunderttausenden von künstlichen Substanzen, die die Menschen auf diesen Planeten losgelassen haben, Auswirkungen hat.

Sie meinen all die Stoffe, die es in der Natur nicht gab?

Ja, die Auswirkungen dieser Riesenanzahl von Substanzen, viele mit giftigen Eigenschaften, werden wir selbstverständlich nie erforschen können. Aber wenn man begreift, dass das völlig unmöglich ist, kann die Devise eigentlich nur noch heißen: Weniger ist besser. Uns gehen auch die Ressourcen für die aufwendige Herstellung aus. Es ist symptomatisch, dass alles gleichzeitig prekär wird: Wir ruinieren das Klima, das Klima wirkt sich auf die Landwirtschaft aus, der Wasserhaushalt gerät durcheinander. Alles hängt zusammen und verstärkt sich gegenseitig. Da sind wir in einer fatalen Spirale.

Sie sagten einmal, Sie wünschten sich eine Forschung, die versucht, „die Geschehnisse auf diesem Planeten in ihrer Gesamtheit zu erfassen“. Klingt sehr altmodisch im heutigen Uni-Betrieb.

In der Tat. Die Universitäten werden immer mehr zu Zulieferbetrieben der Industrie. Aber wenn Sie sich mal überlegen, worauf unser Erfolg fußt: genau darauf, dass wir schon immer versucht haben, diesen Planeten zu verstehen.

Sie meinen unseren Erfolg als Spezies?

Ja, den Erfolg der Menschheit, wenn ich es als Erfolg bezeichnen darf, dass wir uns auf eine Spirale der Zerstörung begeben haben (lacht). Aber ich gehöre nicht zu denen, die die ganze Wissenschaft für Teufelswerk halten. Wir haben grandiose Leistungen erbracht, weil sich zu bestimmten Zeitpunkten Wissenschaftler aufmachten, Erkenntnisse zu gewinnen. Völlig losgelöst davon, ob man das vermarkten kann.

Das Gespräch ist ein Auszug aus dem Interview, das in ganzer Länge am 26.02.2015 in der Schweizer Wochenzeitung WOZ erschienen ist.

Zur Person

Die Agrarökologin Angelika Hilbeck hat in Hohenheim studiert und in North Carolina promoviert. Heute arbeitet sie als Dozentin und Forscherin am Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich. Die Expertin für Insektenökologie hat sich immer wieder mit den Auswirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen auf Ökosysteme beschäftigt. Zusammen mit über 400 Expert*innen aus der ganzen Welt hat Hilbeck außerdem am 2008 erschienenen Weltagrarbericht mitgearbeitet, der eine Wende zu agrarökologischen Methoden fordert.

Veröffentlicht am

Kommentare

Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.

Das könnte interessant sein

Unsere Empfehlung

Ähnliche Beiträge